Obwohl sie in der letzten Nacht dank den Geschehnissen des vergangenen Tages weder gut, noch sonderlich lang geschlafen hatte, erwachte Melusine am Neujahrsmorgen sehr früh. Stöhnend richtete sie sich auf und krabbelte unter ihrer kuscheligen Bettdecke hervor. Im Zimmer war es angenehm warm, einem genialen Zauber der Hauselfen zum Dank, und so konnte sie ohne Probleme barfuß über die Steinplatten laufen. Melusine tapste leise bis zum gegenüberliegenden Fenster und zog die Vorhänge beiseite. Draußen war es noch dunkel und die blasse Mondsichel warf ein unheimliches Licht auf das Meer.
Einige Minuten stand sie da und starrte stumm auf das Meer hinaus. Von außen musste es ein seltsames Bild abgeben, eine Zwölfjährige im Nachthemd und barfuß, schweigend, mit unbeweglicher Miene, in den frühen Morgenstunden. Normalerweise erfüllte der Anblick des nächtlichen Meeres sie mit einer eigentümlichen Ruhe und ermöglichte ihr einen traumlosen Schlaf, aber heute war es anders. Heute konnte sie ihre innere Unruhe nicht besänftigen.
Urplötzlich wirbelte Melusine herum, von einer heftigen, unerklärlichen Angst ergriffen, und fasste sich röchelnd an den Hals. Sie konnte es spüren, sie fühlte, wie ihr jemand die Hände um den Hals legte und zudrückte. Die Welt um sie herum verschwamm, wirbelte wie ein Strudel bunter Farben umher und zog sie in die Tiefe. Sie wollte schreien, aber kein Ton verließ ihren Mund. Mit weit aufgerissenen Augen sank sie haltlos zu Boden. Sie glaubte, jede Sekunde ersticken zu müssen und heißen Tränen der Verzweiflung liefen ihr übers Gesicht. Endlich ließ der Druck nach und eiskalte Luft füllte ihre Lungen. Keuchend atmete Melusine ein und aus. Dann hörte sie es. Ein Flüstern. Ein leises, aber beständiges Flüstern, ein Wirrwarr ihr unbekannter Stimmen, das sich im ganzen Raum ausbreitete und immer lauter zu werden schien. Die Stimmen hallten von den Wänden wider, übertrumpften sich gegenseitig und verursachten einen bohrenden Schmerz in ihrem Kopf. In blinder Panik wälzte sie sich auf dem kalten Steinboden und krallte ihre Finger in die Bettdecke, die bis zum Boden herabhing. Sie wusste nicht, woher die Stimmen kamen, ob sie vielleicht nur in ihrem Kopf existierten, aber sie wusste, wenn sie nicht sofort schwiegen, würde sie sterben. Hier und jetzt, auf dem Fußboden, allein.
Und mit einem Mal herrschte Stille.
Die Wände hörten auf, sich in ständigen Kreisen zu drehen, und langsam sickerte die angenehme Wärme zurück in den Körper des Mädchens. Melusine richtete sich auf und betrat das angrenzende Bad, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Als sie ihren Kopf wieder hob und mit ihrem Spiegelbild konfrontiert wurde, wich sie überrascht ein Stück zurück. Sie sah alles andere als gut aus, ihr Gesicht war blass, ihr Haar wirr und ihre Augen rot. Melusine fasste sich an die glühende Stirn. Ihre Hände waren angenehm kühl und sie atmete einige Sekunden tief ein und aus. Dann schlich sie erschöpft zurück in ihr Bett und schlief fast augenblicklich ein.
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Die restlichen Ferientage rauschten an Melusine vorbei, wie ein Film, den sie nur teilnahmslos mitansah. Sie verbrachte die meiste Zeit auf ihrem Zimmer und tat keins der Dinge, die sie eigentlich hatte tun wollen. Sie schrieb weder Benjamin, noch Florence einen einzigen Brief, sie stellte keine Nachforschungen an, sie nahm keinen Kontakt zu Mercur auf. Nicht einmal ihr neues Tagebuch rührte sie an.
Jeden Tag musste sie die Schmerzen ertragen, die ihr Vater ihr zufügte, um sie „abzuhärten", wie er sagte. Ihren Zauberstab war sie dank der Launen ihrer Mutter längst wieder losgeworden. Generell hatte sich das Verhalten ihrer Mutter verändert, um nicht zu sagen, verschlimmert. Sie wirkte stets unruhig und verhetzt, regte sich bei jeder Kleinigkeit auf und wütete dann hysterisch schreiend durch das Familienanwesen. Noch merkwürdiger war jedoch die Tatsache, dass ihr Vater den Zustand seiner Frau völlig unkommentiert ließ. Er wies sie weder zurecht, noch verlor er überhaupt ein Wort ihr gegenüber.
Erst der Morgen des 10. Januars rüttelte Melusine wieder auf. Heute sollte es zurück nach Beauxbatons gehen. Ihr Koffer war bereits gepackt und in die Kutsche verladen, sie suchte nur noch einige Dinge für ihre Handtasche zusammen. Nach langem Zögern warf sie schließlich das in Samt gebundene Notizbuch in ihre Handtasche und wollte eilig das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf die dunkle Kommode fiel, die neben der Tür an der Wand stand. Darauf lag das Päckchen, das Florence ihr an Silvester überreicht hatte. Im Vorbeigehen griff sie danach und verließ dann mit schnellen Schritten die obere Etage.
Ihr Vater stand bereits in der Eingangshalle und verabschiedete sie steif mit den Worten, sie solle ihm keine Schande bereiten und sich zusammenreißen. Außerdem erwarte er jede Woche einen Brief, ansonsten fände er jemand anderen, der ihn genaustens über seine Tochter informierte.
Ergeben bejahte Melusine jedes Wort ihres Vaters. Bevor sie jedoch endgültig durch das Eingangstor treten konnte, hielt eine weibliche Stimme sie zurück.
„Du wolltest doch wohl nicht gehen, ohne dich von deiner Mutter zu verabschieden?!", keifte Bastiane du Saturne, während sie energisch das Gewölbe durchquerte. Bei jedem Schritt hallte das Klackern ihrer hohen Schuhe von den Wänden wider und Melusine wurde zunehmend unruhig, je näher ihre Mutter ihr kam. Was ihr am meisten Angst bereitete, war, dass sie ihre Mutter nicht einschätzen konnte. Wenn ihr Vater wütend oder schlechter Laune war, war ihm dies zumeist leicht anzusehen und sie wusste, wie er reagierte oder zu welchen Mitteln er griff. Bei ihrer Mutter aber verhielt es sich anders. Sie war innerhalb der letzten zwei Wochen geradezu unberechenbar geworden, ihre Launen wechselten minütlich und nie war abzusehen, wie heftig sie reagierte.
Schließlich standen Mutter und Tochter sich direkt gegenüber. Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Die Markgräfin beugte sich zu ihrer Tochter hinab und legte ihr eine Hand an die Wange. Von außen mochte diese Geste liebevoll aussehen, in Wahrheit lag nichts mütterliches darin. Die schlanken Finger verkrampften sich und ein stechender Schmerz durchfuhr Melusine, als die langen Fingernägel ihrer Mutter sich in ihre Haut bohrten.
„Sei brav, mein Kind." Das Lächeln auf dem Gesicht der Älteren hätte falscher nicht sein können.
Sie zog ihre Hand zurück, zog ihren Zauberstab und murmelte ein leises Episkey. Dann gab sie ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. „Geh jetzt!"
Melusine nickte ihren Eltern ein letztes Mal zu und drehte sich um, nur um im selben Augenblick einen Zauberstab genau an der Stelle ihres Rückens zu spüren, an der ihre Haut von dem s-förmigen Tattoo geziert wurde. Sie keuchte auf und krallte sie am Türrahmen fest.
„Vergiss niemals, wo dein Platz ist", flüsterte ihre Mutter Melusine ins Ohr und schubste sie von sich. Ohne zurückzublicken ging sie geradewegs auf die Kutsche zu, riss die Tür auf und hechtete hinein.
Die Kutsche setzte sich in Bewegung und als sie gerade über die Brücke fuhr, die Insel und Festland miteinander verband, wagte Melusine einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Doch alles, was sie sah, waren die traurigen Augen von Madame Dubois, der Gärtnerin. Erschrocken musste sie feststellen, dass sie die liebenswürdige Frau seit den Sommerferien weder gesehen, gar gesprochen hatte.
Qu'est-ce qui m'est arrivé?
***
Hattet ihr schöne Feiertage? Ich auf jeden Fall. Hoffentlich seid ihr auch alle gesund und munter ins neue Jahr gestartet.
Was meinen Tag aber noch besser machen würde, wären ein paar Meinungen eurerseits zu diesem Kapitel! ;)
🍄Alle Rechte an dem Bild liegen bei @saneej
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Medusa | Fred Weasley
FanfictionWie ein Löwe eine Schlange beschwört und wie eine Schlange zur Löwin wird. ©Alle bekannten Figuren und Orte aus der Harry Potter Saga gehören selbstverständlich J.K. Rowling. Die verwendeten Bilder gehören ebenfalls nicht mir. Ansonsten liegen alle...