6. Rettung In Letzter Sekunde

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Der Schrei hallte in der riesigen Barriere wie ein Echo nach. Eine Speichelspur, die sich an meinem Mund gebildet hatte, suchte ihren Weg zum Boden. Der Klang, der vermutlich durch eine Schusswaffe verursacht worden war, lähmte nahezu meinen Körper.

Danach hörte ich ganz leise, wie vereinzelnde Schritte auf mich zu stapften. Ehe ich mich versah, resignierte ich einen muskulösen Mann vor mir. Im Gegensatz zu Roy wirkte er gigantisch, wie ein Riese, seine strubbelig braunen Haare fielen ihm knapp über die Schulter, wobei ein schwarzer Cowboy-Hut sein Gesicht verdeckte. Als ich ihn weiter musterte fiel mir sofort die Schusswaffe in den Blick, dessen Klang ich eben vernommen hatte.

,,Du brauchst keine Angst mehr zu haben, junge Dame", bellte er und richtete erneut die Schusswaffe auf Loki. Der Rotschopf schien jedoch nichts davon zur Kenntnis zu nehmen, da er nur regungslos auf Balders Körper lag.

Dieser Mann wollte Loki tatsächlich töten!

,,Tun Sie das nicht!", rief ich und schaffte es endlich mich aus Roys Ranken zu befreien. Der blauhaarige schien dies gar nicht wahrzunehmen, da er viel zu fokussiert auf den fremden Mann war.

Glück für mich. Ich werde Loki hier ganz sicher nicht sterben lassen. Zwar lebe ich erst seit ein paar Tagen bei ihnen, jedoch konnte ich weder Noel noch Loki wirklich kennen lernen. Es kann hier also- nein, es darf hier nicht so enden!

Mit letzter Kraft raffte ich mich auf, meine Beine fühlten sich zentnerschwer an, während ich auf Loki zuging. Mein Herz pochte in meiner Brust, als ich mich schützend vor den Rotschopf stellte.

,,Bist du lebensmüde? Geh sofort von dieser blutrünstigen Kreatur weg!", fauchte der Unbekannte mich sofort an. Seine gesamte Aura strahlte Boshaftigkeit aus, obwohl er nur ein ganz normaler Mensch zu sein schien. Skepsis lag in seinen Augen verborgen. Anscheinend verstand er nicht, warum ich einen Vampir in Schutz nahm. Aber das doch selbstverständlich.

Vampire sind doch auch nur Lebewesen.

So wie wir Menschen auch.

,,V-Vampire sind nicht alle böse, sehen Sie, er tut mir doch gar nicht weh." Ich hörte mich selbst stottern. Lange würde ich das nicht durchhalten. Bitte, geben Sie Loki eine Chance. Er ist doch noch ein Kind. 

Innerlich betete ich und hoffte, dass er die Waffe zurückzog - doch im Gegenteil, er entschärfte sie sogar. Ich war weder wie Loki ein Vampir noch wie Roy ein Werwolf, also war die Überlebenschance für mich gering.

,,Wenn du nicht weggehen willst, dann tut es mir äußerst Leid für dich, junge Dame!", brüllte er und zog noch eine weitere Pistole aus seiner Manteltasche. Starr vor Angst konnte ich mich nicht rühren, weder weg von Loki noch vor diesem Mann. Im Hintergrund glaubte ich Balders unregelmäßige Atmung zu hören. Er lebte also doch noch. Ein Glück.

,,Mister!" Flehend sah ich ihn an, hielt die Hände sichtbar über meinen Kopf- doch in seinen Augen lag kein Erbarmen, keine Freundlichkeit und schon gar keine Fürsorge. Im nächsten Moment hörte ich ein leises keuchen, dann ein verzerrtes jaulen. ,,Das war bloß eine Holzkugel mit ganz wenig Eisenkraut. Sehen Sie hinter sich, er lebt!", erklärte er und deutete mit der Pistole hinter mich. Verwirrt drehte ich mich um - nur um einen sich vor Schmerz krümmenden Loki zu sehen.

,,Jetzt siehst du seine wahre Natur, sieh schon hin!"

Ich schaute auf den Rotschopf hinab, wie er sich quälend aufrappelte und versuchte sein Gleichgewicht zu halten. Schweißperlen tropften von seiner Stirn, hielten sein wildes rotes Haar an Ort und Stelle, seine kindlich rehbraunen Augen waren nun blutunterlaufen, während perlenweiße Eckzähne aus seinem Mund hervorstachen. Seine sonst so kindlichen Gesichtszüge wurden durch die eines Vampirs ersetzt. Ich erkannte keinen Teil von Loki mehr in diesem Jungen.

Todessbiss Am MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt