Malena hatte die letzten beiden Stunden am Laptop verbracht und alles zur bipolaren Störung recherchiert, was sie auf Anhieb gefunden hatte. Erst hatte sie sich auf der Seite der DGBS, der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen, umgeschaut, dann hatte sie Erfahrungsberichte auf Youtube angesehen. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass bipolare Störungen sehr unterschiedlich sein konnten. Grob unterschied man bipolare Störungen in zwei Typen, I und II. Bei Typ II hatte man nur depressive und hypomanische (oft auch hypomane genannte) Episoden. Bei Typ I hatte man auch manische Episoden und/oder gemischte Episoden. Sie würde Eleanor fragen, welchen Typ sie hatte. Aber selbst innerhalb der Typen war das Erleben wohl recht unterschiedlich. Manche Betroffene hatten in schwereren Episoden noch psychotische Symptome, also einen Realitätsverlust mit Wahnvorstellungen und/oder Halluzinationen. Einige Betroffene hatten nur einmal im Jahr oder alle paar Jahre eine Episode, aber dafür einige Monate lang, andere hatten sogenanntes »Rapid Cycling«, bei dem sie mindestens vier Episoden im Jahr hatten. Es gab sogar eine Form, die »Ultradian Cycling« hieß, bei der die Zustände innerhalb eines Tages wechselten. Das hatte Eleanor wohl eher nicht, aber nach Rapid Cycling würde Malena sie auch fragen.
Die Berichte von Angehörigen interessierten Malena. Es machte ihr Angst, dass Betroffene in der Manie oft überhaupt nicht mehr zurechnungsfähig waren. So war ihr Eleanor in ihrer Hypomanie aber nicht vorgekommen. Ziemlich abgedreht, ja, aber zurechnungsfähig. Malena las, dass man Konflikte in Kauf nehmen sollte, statt dem oder der anderen nur nach dem Mund zu reden. Das klang einleuchtend, aber schwierig.
Als Malena im Bett lag, kamen ihr noch einige Gedanken, bevor sie schlafen konnte. Sie wollte Eleanor kennenlernen. Kennenlernen, wie sie wirklich war. Ein Stück weit hatte sie den Eindruck, dass manische und hypomanische Menschen nicht ganz sie selbst waren in diesen Episoden. Und jetzt in der Depression? Schon eher. Aber wie sollte sie das wirklich beurteilen? Auch das konnte sie Eleanor fragen.
Sie nahm ihr Handy. Es war schon für die Nacht im Flugmodus. Sie tippte auf das Flugzeugsymbol und schrieb Eleanor eine Nachricht.
»Ich freue mich schon dich wiederzusehen. Ich habe ein paar Fragen zu deiner bipolaren Störung, wenn das okay ist. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
Eine Minute später kam die Antwort: »Frag gern. Ich freue mich auch dich wiederzusehen. Schlaf schön.«
Dieses Mal wollten sie sich einen Kaffee holen und dann an die Saar. Eigentlich hatte Malena »spazieren« vorgeschlagen, aber Eleanor erschien das gerade unmöglich.
»Wir können es versuchen«, hatte sie geantwortet. »Aber, wenn es mir zu anstrengend wird, können wir uns ja hinsetzen.«
Sie hatte eines der Gothic-Kleider angezogen, die sie in den Second Hand Läden in Köln gekauft hatte und ihre Haare mit einer Spange hochgesteckt. Für Flechtfrisuren waren sie leider mittlerweile zu kurz. Schade eigentlich. Auch wenn es sie einiges an Anstrengung kostete, hatte Eleanor diesmal auch Lidschatten und Lippenstift aufgetragen. Das erste Mal seit Tagen dachte sie, dass sie gut aussah. Aber sie hatte nicht das Gefühl, dass diese junge hübsch zurecht gemachte Frau im Spiegel sie selbst war. Es war, als blicke sie in das Gesicht einer Fremden.
Dieses Mal hatte sie sich also zurecht gemacht, aber sie würde es nicht auch noch schaffen, zu laufen. Also fuhr sie wieder die lächerlichen beiden Haltestellen Straßenbahn.
Sie trafen sich wieder am Brunnen. Zuerst gingen sie in ein Café und holten sich Kaffee zum Mitnehmen. Malena hatte wieder ihren Gothic-Kaffeebecher dabei. Auch Eleanor hatte einen Kaffeebecher dabei. Ihrer war mit Paisley Muster bedruckt.
»Ich sehe, du bist genauso öko«, sagte Malena und schenkte Eleanor ein Lächeln. Wie süß sie war, wenn sie lächelte.
»Ein Latte Macchiato mit Hafermilch zum Mitnehmen bitte«, sagte Malena zu der Bedienung und hielt ihr den Becher hin.
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Wenn die Sonnentage vergehen
RomanceMalenas Leben ist ziemlich eintönig, bis sie Eleanor kennenlernt. Diese hat immer eine verrückte Idee und so fahren die beiden ohne sich zu kennen kurzerhand für ein paar Tage zu zweit nach Köln. Was Malena nicht weiß: Eleanor hat eine bipolare Stör...