Die Last der Verantwortung

980 30 1
                                    

Seit ich denken kann, liebe ich die unendliche Freiheit, die sich mir bietet. Ich liebe die Natur und die Unabhängigkeit. Ich liebe es rastlos zu sein auf einer Reise die niemals endet ... doch in den letzten Monaten hat sich einiges geändert und meine Familie und ich haben zum ersten Mal einen festen Wohnsitz. Für viele ist das wohl selbstverständlich, doch was für die meisten als „normal" bezeichnet wird, ist für uns ungewöhnlich, denn wir sind Wanderer. Seit Generationen schon gehört meine Familie zu den Wanderern. Wir reisen von Stadt zu Stadt von Dorf zu Dorf, schlagen unsere Zelte auf und bleiben nie länger als nötig an einem Ort. Ich kannte nie etwas anderes, doch jetzt wo wir einmal einen festen Wohnsitz haben, sehne ich mich nach der nie endenden Reise, die ich seit meiner Geburt beschritten hatte. Seit schon fünf Monaten leben wir in einem kleinem, heruntergekommen Haus abseits der Stadt. Es war ein ziemlich schäbiges Haus im Gegensatz zu den in der Stadt, doch niemand von uns beschwerte sich. Wir waren überhaupt schon froh, dass unser Geld für dieses Haus ausgereicht hat. Ich war jedoch sehr erleichtert darüber abseits der Stadt zu wohnen. Auch wenn die Bewohner uns ohne jegliche Probleme duldeten, so konnte ich trotz allem ihre Abneigung uns gegenüber in ihren Augen sehen. Wir Wanderer waren noch nie beliebt unter den „zivilisierten" Menschen. Wir lehnten es ab mit der Zeit zu gehen und lebten dem entsprechend. Unser Geld verdienten wir in dem wir die Menschen unterhielten. Viele bezeichneten es als betteln, doch das war Schwachsinn. Wir zwangen nie jemanden uns Almosen zu geben. Wir tanzten und sangen, spielten und sprangen auf der Straße und wenn es den Leuten gefiel, konnten sie selbst entscheiden, ob sie uns dafür etwas schenken wollten. Ich verstand nie, warum die Menschen so abgeneigt von uns waren. So wie ein Bäcker Brote backte und dafür entlohnt wurde, so unterhielten wir die Menschen. Das hatte doch rein gar nichts mit betteln zu tun. Natürlich konnten wir mit solch einer Arbeit kein Luxusleben führen, doch das wollten wir auch gar nicht. Wir brauchten diese ganzen neuartigen Technologien nicht. Ich hatte nicht das Bedürfnis mit einem Handy jederzeit und an jedem Ort erreichbar zu sein. Das ist doch lästig. Und einen Computer wollten ich und meine Familie schon gar nicht besitzen. Diese ganzen Technologien machten einen abhängig und ließen die Menschen verblöden. Warum noch sein Gehirn anstrengen, wenn man doch das Internet hatte? Nein danke, darauf konnte ich gern verzichten. Meine Eltern unterrichteten uns zu Hause, so dass wir wahrscheinlich noch die letzten Menschen sind die aus Büchern lernte. Heutzutage gab es kaum noch Bücher. Alles war elektronisch. Sogar das Schreiben wurde nicht mehr in den Schulen beigebracht. Wozu denn? In unserer Gesellschaft mussten man ja nur noch tippen können. „Saku, wir wollen los!", schrie meine kleine Schwester Sayuri nach mir. Schon seit dem Aufstehen saß ich im Garten und genoss die frische Luft. Ich konnte mich einfach nicht daran gewöhnen jetzt ständig in einem Haus eingesperrt zu sein. Es ließ mich fast ersticken. „Saku, komm schon!", rief meine Schwester nochmal und unfreiwillig ging ich zum Haus. „Ich gehe kurz zu Mom.", sagte ich zu ihr und strich über ihr weiches blondes Haar bevor ich wieder ins Haus ging. Für ihr Alter übernahm sie viel zu viel Verantwortung. „Hey Mom, wie geht es dir heute?", kniete ich mich an das einzige Bett im Haus und strich ihr eine braune Locke aus dem Gesicht. „Blendend, mein Schatz!", lächelte sie mich schwach an und ich konnte mein Seufzen nicht unterdrücken. Tag für Tag verschlechterte sich der Zustand meiner Mutter. Nachdem der Arzt uns mitgeteilt hatte, dass sie an Lungenkrebs Krebs litt, hatten wir beschlossen uns niederzulassen. Wenn wir nicht bald genug Geld haben würden, um sie richtig behandeln zu lassen, würde sie sterben. „Ruh dich einfach aus!", sagte ich zu ihr bevor ich wieder das Zimmer verließ. Meine Mutter würde nie zu geben, wie schlecht es ihr in Wahrheit ging auch wenn der Tod ihr schon im Gesicht stand, versuchte sie immer die Starke zu sein. Ich wusste noch nicht wie, doch ich musste irgendwoher schnell und viel Geld auftreiben ...

Seit Stunden saß ich schon auf einer Decke im Central Park der Stadt. Es war Mittwoch und deswegen Zukunftstag. Meine Schwester und ich hatten uns für jeden Tag der Woche eine andere Attraktion ausgedacht. Heute sagte ich den Menschen, die meine Dienste in Anspruch nahmen die Zukunft voraus. Es hörte sich lächerlich an, aber ich konnte wirklich einige Dinge vorhersagen. Nichts Genaues oder Konkretes, doch ich konnte Ereignisse oder Entscheidungen sehen, die im Leben eines Menschen zu kamen. Meine Mutter nannte es immer eine göttlich Gabe, doch ich sah es eher als ein Fluch. Denn ich konnte sehen, dass die Zukunft meiner Mutter sich langsam auflöste und verschwamm. Und auch wenn ich noch nie zuvor den Tod vorausgesehen hatte, so wusste ich, dass es dieser war, der meine Mutter heimsuchte. Deswegen untersagte es mir mein Vater die Zukunft unserer Familienmitglieder vorherzusehen. Er meinte, es hatte einen triftigen Grund, warum ich nicht meine eigene Zukunft sehen konnte und zu meinem eigenen Schutz sollte ich es unterlassen in die von ihnen zu sehen und außerdem konnte sich die Zukunft mit jeder kleinen Entscheidung ändern und deswegen waren meine vorhersagen nicht hundertprozentig zutreffend. Jetzt saß ich hier und wartete bis Sayuri irgendwelche Freiwillige überzeugte, sich die Zukunft von mir vorhersagen zu lassen. Heutzutage glaubten die wenigsten Leute an diesen Hokuspokus. Ich glaube, ich würde selbst nicht daran glauben, wenn ich nicht selbst diese Gabe hätte. Doch Sayuri schaffte es immer einige der Passanten zu überzeugen sich doch darauf einzulassen. Meine kleine Schwester war ein Naturtalent darin Menschen um ihren Finger zu wickeln. Dabei waren ihre großen blauen Augen wahrscheinlich kein Nachteil, doch sie hatte so viel mehr, sie hatte dieses Gewisse etwas, dass die Menschen sie einfach nur lieben konnten. Meine Eltern meinen immer, dass wir uns darin ähnlich sind. Doch das war absurd! Ich hatte keinen Funken von ihrem Charme. Im Gegensatz zu mir war Sayuri ein Wirbelwind voller Leben. Ich war nur ruhig und viel zu verträumt. „Kommen sie schon! Es tut auch gar nicht weh!", schleppte Sayuri einen dunkelhaarigen, jungen Mann hinter sich her. „Herr, für sowas haben wir keine Zeit.", sprach ein älterer Mann hinter den Beiden. „Hab dich doch nicht so, Kakashi. Wir sind doch eh zu spät dran. Auf die eine Minute kommt es auch nicht mehr an.", lächelte der junge Mann meine Schwester an und ließ damit ihre Augen vor Freude strahlen. „Setzen Sie sich.", lächelte ich den jungen Mann zu, der meiner Aufforderung ohne zu zögern freundlich nach ging. Wie jedes Mal setzte sich Sayuri währenddessen auf meinem Schoss. „Danke!", flüsterte ich in ihr Haar und gab ihr einen leichten Kuss auf den Hinterkopf. Was würde ich nur ohne diesen kleinen Sonnenschein tun? Auch Sayuri war sich stets im Klaren, wie dringend wir Geld brauchten und tat alles in ihrer Macht stehende um einen Beitrag zu zahlen. „Geben Sie mir ihre Hand und schauen Sie in meine Augen.", forderte ich den Unbekannten auf und hielt ihm meine rechte Hand hin. Um in die Zukunft eines Menschen zu schauen, brauchte ich den Augen- und Körperkontakt des jeweiligen. Ohne zu Zögern ging er meiner Aufforderung nach. „Ich sehe ein großes Ereignis von dem Ihre Zukunft abhängt. Sie müssen eine wichtige Entscheidung treffen, die niemand Ihnen abnehmen kann. Mit dem Ende dieser Entscheidung kommt eine große Last auf Sie zu. Doch wenn Sie sich richtig entscheiden, müssen Sie diese Last nicht alleine tragen.", beendete ich meine Vorhersage ohne den Blickkontakt abzubrechen, ließ ich seine Hand los um sie ihm sogleich auf seine Brust zu legen. „Hören Sie auf ihr Herz. Nur ihr Herz kann Ihnen den rechten Weg zeigen.", lächelte ich ihn an und nahm meine Hand wieder weg und strich Sayuri übers Haar. Es war mir unangenehm einen Fremden nah sein zu müssen und ließ meine Wangen vor Scham glühen. Noch eine Ewigkeit, so kam es mir vor, sah mich der junge Mann noch an. „Herr, wir müssen wirklich los!", sprach nun der Ältere wieder und rettete mich vor den durchdringenden Blicken des Dunkelhaarigen. „Ja, schon gut!", antwortete er genervt und stand auf. „Sie sind wirklich eine bemerkenswerte junge Frau. Wie viel schulde ich Ihnen?", wandte er sich wieder mir zu und verflogen war sein genervter Unterton. „Sie schulden mir gar nichts! Das geht schon so in Ordnung!", sagte ich nervös. Ich nahm kein Geld für meine Dienste an. Die Menschen konnten selbst entscheiden, ob sie mir etwas gaben. „Oh, das geht doch nicht. Sie haben mir wirklich geholfen.", lächelte charmant und ließ mich wieder erröten. „Es ist schon okay, das hab ich gern getan!", flüsterte ich und biss mir auf die Lippen. „Hmm... dann bekommt die Kleine meinen Dank, dass sie mich zu Ihnen geführt hat.", sprach er freundlich und drückte Sayuri einen Schein in die Hand. „Kauft euch davon etwas Schönes. Bis bald!", lächelte er noch bevor er sich umdrehte und seinen Weg fortsetzte und mich mit einem seltsam Gefühl im Bauch zurückließ ...

Die Auswahl - Der Bruder des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt