Kapitel 12 - Der Schwangerschaftstest

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Den Rest der Mittagspause harre ich in der Kabine auf der Mädchentoilette aus. Erst als der Unterricht schon seit über zehn Minuten begonnen hat, wage ich mich endlich aus meinem Versteck heraus. Ich verliere keine Zeit und verlasse mit gesenktem Blick und ohne dass ich mich abgemeldet habe das Schulgelände.

Auf dem Nachhauseweg rufe ich sofort in der Tankstelle an, um mich für den heutigen Tag krank zu melden. So kann ich mich dort auf gar keinen Fall blicken lassen. Es wird mich den ganzen Nachmittag kosten, den Edding von meiner Stirn zu schrubben. Wenn ich Glück habe, ist davon morgen nichts mehr zu sehen.

Obwohl ich die Menschen, die mir entgegen kommen, keines Blickes würdige, spüre ich ihre Blicke auf mir.

Zu Hause angekommen stürme ich an der Küche vorbei, in der meine Mutter und Kurt sitzen, und sperre mich im Badezimmer ein, wo ich mich ans Waschbecken stelle und in den Spiegel schaue.

Meine Augen sind gerötet vom vielen Weinen. Die großen, schwarzen Buchstaben auf meiner Stirn sind kaum zu übersehen. Psycho. Bin ich ein Psycho? Weil ich Ben geschlagen habe und mich nicht dafür entschuldigt habe? Immerhin tut es ihm auch nicht leid, was er über meine Mutter und über mich vor den Ohren der ganzen Klasse gesagt hat. Mein Verhalten ist nicht richtig gewesen, das weiß ich. Gewalt ist nie eine Lösung. Aber Ben hat mich provoziert.

„Du wirst es bitter bereuen", erinnere ich mich an Bens Worte.

Hat er Emma und die anderen Mädchen auf mich gehetzt, um sich so an mir zu rächen, wenn ich am wenigsten damit rechne? Er hat sich so ungewöhnlich still verhalten, dass ich mich in Sicherheit gewogen habe. Ich frage mich, was sie davon haben mir das Leben noch mehr zur Hölle zu machen, als es ohnehin schon ist.

Meine Sicht verschwimmt wieder, doch ich blinzele die Tränen weg, die sich in meinen Augenwinkeln gebildet haben. Was Emma, Katie, Diana und Lena mir angetan haben, hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und ich bezweifle, dass ich es so schnell wieder vergessen werde. Sie haben mich schon oft gedemütigt, völlig fertig gemacht und mich an meine Grenzen getrieben, doch das, was heute passiert ist, toppt alles andere.

Ich drehe den Wasserhahn auf und benetze meine Stirn mit dem warmen Wasser, ehe ich mit meinem Handballen beginne über meine Haut zu reiben. Da es jedoch nicht wirklich etwas bringt, greife ich zu dem Nagellackentferner meiner Mutter. Irgendwo habe ich mal gehört, dass das was bringen soll. Es kostet mich tatsächlich über eine Stunde, bis die Spuren des Eddings auf meiner Stirn beseitigt sind. Dafür ist meine Stirn nun total gereizt und gerötet, doch das stört mich nicht.

„Nori?", ertönt die Stimme meiner Mutter vor der Tür.

Ein Seufzen entweicht meinen Lippen. „Ja?", frage ich und will die benutzten, zum Teil zerfetzten Wattepads in den Mülleimer werfen, als etwas sehr alarmierendes meine Aufmerksamkeit erregt.

„Was machst du so lange im Badezimmer?", erkundigt meine Mutter sich.

Ihre Frage ignorierend fische ich meine Entdeckung aus dem Mülleimer. Es ist ein Schwangerschaftstest. Ich werfe einen Blick auf das Ergebnis. Positiv.

„Nori?" Ich hasse es, wenn sie mich so nennt.

Noch immer wie gelähmt starre ich auf den positiven Schwangerschaftstest in meinen Händen. Der Test kann nur meiner Mutter gehören, wem auch sonst? Sie ist schwanger. Von wem? Von Kurt? Hat er deshalb meine Klassenfahrt bezahlt und möchte er mich deshalb besser kennenlernen? Damit wir so tun können, als seien wir eine Familie? Selbst wenn der Test nicht falsch positiv ist, wird Kurt es nicht lange mit meiner Mutter aushalten. Sie wird ihn abschießen, wenn er ihr zu langweilig wird oder er wird sie verlassen, wenn er merkt, wie verkorkst sie ist. Und dieses Kind? Es wird in schlechten Verhältnissen aufwachsen. Es wird sich nicht geliebt fühlen, wird dieselben Probleme haben, wie ich. Eine Alkoholikerin als Mutter, die das Geld aus dem Fenster wirft und ihr Kind vernachlässigt.

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