Kapitel 3

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Es gibt Dinge, die wir nicht verstehen wollen und daher auch nicht verstehen können.
- Betxel

Warschau, Polen
13. Juni 2021

»Ihr Schlüssel zum Zimmer 301.« Die Rezeptionistin des Hotels reicht mir meinen Schlüssel, nachdem sie Admir bereits einen für sein eigenes Zimmer gegeben hat. »Beide Zimmer befinden sich in der dritten Etage. Einen Moment bitte, ich rufe einen Kollegen her, der Ihre Koffer entnimmt.«

Ihre Hand greift schon zum Telefon, jedoch hebe ich meine Hand, die ihre Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt. »Nicht nötig. Der Herr wird wohl stark genug sein, um die paar Koffer mitzunehmen.«

»Ihnen wünsche ich einen schönen Tag noch.« Ohne Admir oder die Rezeptionistin zu beachten, schlendere ich zum Aufzug und lasse meine zwei Koffer bei Admir stehen. Der leere Aufzug springt auf, ich trete hinein und drücke den Knopf zur dritten Etage. Langsam schließen sich die Türen wieder, jedoch stellt sich ein weinroter Koffer dazwischen. Meiner.

Mein Kinn reckend, ignoriere ich Admir wie er mit den drei Koffern und einer großen Reisetasche nach und nach den Aufzug betritt. Der Aufzug schließt sich wieder und fährt los, während ich meine Haare im Spiegel richte.

»Du hättest gleich sagen können, dass du von mir bedient werden willst.«

Der Aufzug springt auf. Erneut kriegt er meine kalte Schulter zu spüren, als ich ihn ignorierend aussteige. Meine Augen suchen müde die Tür, die die drei magischen Zahlen trägt. Nachdem ich sie finde, muss ich feststellen, dass ich keine unerwünschte Präsenz neben mir verspüre.

Mein Kopf schnellt nach hinten, wo ich meine zwei Koffer vor dem Aufzug entdecke. Ich scanne den Flur und schrecke zusammen, als ich eine Tür neben mir knartschen höre. »Ich glaube du hast dort etwas vergessen, Frau Ateş.«

Spitzbübisch grinst mich mein Zimmernachbar an, während er seinen schwarzen Koffer in das Zimmer schiebt. Müsste das Zimmer 308 nicht ein wenig weiter weg sein?

»Ich wusste, dass du nichts taugst. So etwas beeindruckt die kleine Rezeptionistin nicht.« Meine Stimme klingt gleichgültig, müde und lustlos.

»Würde ich sie beeindrucken wollen, hätte ich ganz andere Methoden. Scharf ist sie trotzdem.« Das Grinsen verschiebt sich auf die linke Seite seines Gesichtes, verschwindet aber, als er sein Zimmer einweiht.

Mit großen Schritten packe ich meine schweren Koffer und betrete mein Zimmer. Es ist nichts besonderes, es ist nichts was ich nicht bereits gesehen habe. Es passt sich der hölzernen Einrichtung des Hotels an und wird mit weißen Akzenten kombiniert. Obwohl dieses Ambiente für ein Gefühl von Zuhause sorgen soll, bewirkt es bei mir das Gegenteil. Ich bin hier absolut falsch.

Ich sollte hier nicht sein. Ich sollte jetzt bei meinem wahren Zuhause sein, glücklich. Ich sollte jetzt mein neues Leben beginnen. Sollte.

Meine erschöpften Beine geben nach und lassen mich auf das weiß bezogenene, hölzerne Doppelbett fallen. Ich starre auf die weiße Decke und schlucke einen fetten Kloß herunter. Was mache ich bloß hier?

Meinen linken Arm werfe ich auf das zweite Kopfkissen und schaue dorthin. Aus lauter Frust kralle ich meine Hand hinein und schließe für einen Moment meine Augen.

Warum ist dieses Zimmer nicht braun kombiniert mit blau oderso? Warum unbedingt weiß? Für einen guten Eindruck der Sauberkeit des Hotels? Was nützt der Menschheit ein sauber aussehendes Hotelzimmer, wenn wir doch eh alle innerlich verdreckt sind?

Eine Träne ist kurz davor meinem Auge zu entfallen, wird aber gehindert, indem ich erschrocken werde. Ich höre durch die dünne Wand wie Admir sich auf sein Bett schmeißt, was genau hinter meinem liegen muss. Ein Wunder, dass das Bett nicht unter seinem Gewicht zusammengekracht ist.

Ich werfe den Gedanken an ihn weg und wende mich meinem alten zu. Wozu tue ich mir das eigentlich an?

Plötzlich versucht er sein Ladegerät in die Steckdose neben dem Bett zu stecken. Genervt mahle ich meine Zähne und richte mich energisch auf. Nicht einmal traurig sein, kann man in Ruhe. Gereizt stehe ich auf, ziehe die Gardinen zu und löse meinen strengen Pferdeschwanz. Da mir warm geworden ist, reiße ich meine schwarze Lederjacke vom Körper.

Ein drittes Mal werde ich gestört, als es an meiner Wand klopft. »Sentido«, ruft Admir unser Codeword für Numa durch die Wand.

Seufzend lege ich meinen Kopf schief, damit das Gerät in meinem Ohr angeht. »- in einer halben Stunde«, erklärt Numa Admir irgendetwas.

Da Numa ebenfalls einer der besten in dem Gebiet des Hackens ist, arbeitet sie mit uns zusammen. Sie ist so wie unser sechster Sinn, unser Verstand und unser Gefühl, wenn wir keines mehr besitzen, daher auch das passende spanische Wort sentido für die entsprechende Spanierin.

»Was ist in einer Stunde?«, mische ich mich neugierig ein.

»Hola, bist du auch mal da?«, tadelt sie mich belustigt.

»Wie lange redet ihr denn schon?«, hake ich misstrauisch nach. »Paar Minuten. Wo warst du?«

Admir hat mir bewusst zu spät bescheid gegeben. »Komm einfach zur Sache Numa, den Rest kannst du deinen Kollegen fragen, wenn ich aus der Leitung bin.«

»Verstehe schon. Ich habe ein wenig herumgewerkelt und in Piotrowski's Server herausgefunden, dass sie heute Abend die gefälschten Euros an Ramírez Männer übergeben. Ich habe euch die Adresse zur Lagerhalle geschickt, die ein paar Kilometer weiter von euch im Industriegebiet liegt. In einer Stunde kommt die Ladung dort an.« Während sie redet, entdecke ich die Adresse mit ein paar anderen Informationen zusammen auf meinem Handy.

»Einschleusen und herausfinden wohin die Ladung hingeht. Mit Sicherheit wird das Geld dazu benutzt, um die Drogen und die Waffen zu kaufen«, höre ich Admirs raue Stimme plötzlich aus dem nirgendwo. Ich hatte ihn kurz ausgeblendet, aber bin mir wieder in Klaren geworden, dass wir die Mission gemeinsam antreten.

»Richtig«, bestätigt Numa. »Viel Glück und bleibt erreichbar.«

Ich schalte mich aus der Leitung und ziehe mich zügig um. Dank Numa wissen wir, dass wir Alltagsklamotten anziehen sollen, die nicht zu auffällig sind - genauso wie die Arbeiter Piotrowski's.

Zwei Minuten später verlasse ich mein Hotelzimmer durch die Tür und bemerke im ersten Moment Admir, der mit mir zeitgleich die Tür abschließt. Sein langer, äußerst muskulöser Körper ist ebenfalls in Alltagskleidung gekleidet. Mehr Aufmerksamkeit schenke ich ihm nicht, wende ihm daher meinen Rücken zu. Er kann mich mal.

Dieses Mal benutze ich die Treppen gefolgt von Admir, da der Aufzug zu viel Zeit entnimmt. Unten an dem Thresen vorbeigehend, wünsche ich der hübschen Rezeptionistin erneut einen schönen Abend. »Dobry wieczór!«

»Dobry wieczór!« Ein Lächeln ihrerseits ruht auf mir, wird aber gleich Admir geschenkt. Anhand der Art wie beide atmen, weiß ich, dass er sein Zahnpastalächeln raushängen lässt.

Dieser Typ ist so nervig!

AlevWo Geschichten leben. Entdecke jetzt