Kapitel 1

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Berlin, Deutschland
08. August. 2018

18:08 Uhr.

Mahir ist genau acht Minuten zu spät.

Mein Bruder ist nie zu spät, geschweige denn ist sein Handy ausgeschaltet oder er verlässt das Haus für mehrere Stunden ohne mir bescheid zu geben.

Auch wenn wir nicht zerstritten sind wie jetzt gerade.

Das ist absolut nicht typisch für meinen großen Bruder, der auf Pünktlichkeit und Genauigkeit große Acht legt. Außer er ist nicht hier. Außer er arbeitet in einem anderen Land und macht Menschen für die Regierung fertig.

Ein Leben als Geheimagent ist eben nicht so einfach.

Er muss sich mit Idioten beschäftigen, wenn er arbeitet und wenn er Zuhause ist, beschäftigt er sich mit seiner kleinen Schwester.

Kaum zu glauben, dass ich kurz davor bin in der Agentur eine ähnlich hohe Position wie Mahir zu bekommen. Langzeit Missionen außerhalb Deutschlands und minimale Freizeit werden dann mein Leben einnehmen.

Die letzten Spaghetti um meine Gabel wickelnd, führe ich sie in meinen Mund und ergattere den herzhaften Geschmack der Bolognese. Nachdenklich kaue ich auf ihr herum und starre auf seinen leeren, bereitgestellten Teller.

Die silberne Gabel und der Löffel, der zur Hilfe dienen sollte, liegen unberührt neben dem Teller. Der Tisch ist nicht voller Soße und es schmatzt keiner meine Ohren voll. Niemand erzählt mir Witze und bringt mich zum Lachen.

Es ist so ungewohnt ohne ihn, doch so gewohnt.

Allmählich verstehe ich wieder warum ich seinem Job nachgehe. Ich mache etwas Gutes, reise bald um die Welt, bringe meine Talente zum Vorschein und bin nicht mehr Zuhause. Dieses dürre Leben ist weit entfernt. Diese endlosee Einsamkeit.

Meine einzige Bitte besteht nur darin später keine weiteren nervigen Arbeitskollegen zu kriegen. Vor allem keinen Partner wie den beschissenen Albaner Admir Ademi, den mein Bruder ertragen muss.

Ich verstehe bis heute nicht wieso Admir und Mahir auch außerhalb der Arbeit so gut miteinander sind. Sie sind so unterschiedlich und das in jeder Art und Weise. Als ob es nicht reicht, dass sie während der Arbeit den ganzen Tag miteinander verbringen, hängt Admir außerhalb der Arbeit wie eine Klette an ihm und klaut uns unsere Familienzeit!

Bei dem Gedanken an Admir fängt das Blut unter meiner Haut an zu brodeln.

Um den Gedanken an Admir zu unterdrücken, kratze ich mit meinem Besteck über meinen Teller. Das unangenehm schrille Geräusch fährt durch meinen Körper und verschafft mir einen klaren Kopf.

Ich stehe auf und räume den Tisch ab. Danach räume ich meine drei Utensilien in die Spülmaschine, denn ich habe absolut keine Lust zu spülen. Das habe ich nie, weshalb Mahir es immer übernimmt, wenn er da ist.

Wofür ist die Spülmaschine sonst da?

In schleichenden Schritten wandere ich in sein blau möbliertes Zimmer und schmeiße mich auf das bequeme Boxspringbett. Der vertraute Geruch bahnt seine Wege durch meine Nase und lässt das beklemmende Gefühl in mir stärker werden.

Wir hätten uns nicht streiten sollen.

Ich hätte ihn nicht anschreien sollen.

Aber was sollte ich machen?

AlevWo Geschichten leben. Entdecke jetzt