Ein magisches Glitzern lag in der Luft.
Sand feiner als man ihn sich vorstellen konnte, bildete eine Wolke, die auf ihrer Handfläche ruhte, wie der Nebel, der früh morgens über den Feldern hing.
Sie blickte auf das junge Mädchen hinunter, das bereits selig schlummerte. Atmung und Puls hatten sich verlangsamt, aber die Grenze zum Tiefschlaf hatte sie noch nicht überschritten.
Denn das konnte niemand ohne die Hilfe ihresgleichen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich über die Menschen wunderte. Sie verstand nicht, wie sie sich anderen Lebewesen dieses Planeten so überlegen fühlen konnten, aber nicht in der Lage waren, von selbst in den Erholungsmodus zu gelangen.
Dabei war er so wichtig für jeden von ihnen. Erst im Tiefschlaf konnten die Körperzellen sich regenerieren und der Körper sich erholen.
Kopfschüttelnd seufzte sie. Niemand würde je erfahren, dass die Menschen ohne sie nicht in der Lage waren zu überleben. Sie wussten ja nicht einmal, dass sie existierten. Die anderen, die wie sie waren, hatten sich damit abgefunden. Aber sie nicht. Sie haderte seit Jahrhunderten mit ihrem Schicksal.
Vorsichtig beugte sie sich leicht über das schlummernde Kind und führte die Hand mit der Wolke aus feinem Sand vor das junge Gesicht. Ein Blick auf die kleine Sanduhr, die sie neben sich auf den Nachttisch gestellt hatte, verriet ihr, dass sie sich beeilen musste. Ansonsten würde das Mädchen die ganze Nacht nur vor sich hindösen und sich morgen früh wie gerädert fühlen.
Das letzte Sandkorn fiel; und sie hauchte gegen die Wolke auf ihrer Hand, die sich gleich darauf in Bewegung setzte und sich über das friedliche Antlitz unter ihr legte. Nach und nach löste der glitzernde Schleier sich auf, und der junge Körper entspannte sich. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo sie gehen und sich dem nächsten Menschen auf ihrer Liste widmen konnte.
Ihr Körper zerfiel zu Staub und löste sich auf den Dielen des Fußbodens auf. Nichts durfte zurückbleiben. Ihr Geheimnis musste gewahrt werden.
Ehe sie sich wieder vollständig im großen Traumsaal materialisierte, wurde ihr bewusst, dass sie die Sanduhr auf dem Nachttisch hatte stehen lassen. Der Sandmann würde durchdrehen, wenn er erfahren würde, dass sie schon wieder kurz davor war, sie alle auffliegen zulassen.
»Du bist schon zurück, Suena?«
Erschrocken wirbelte sie herum. Er saß oben auf der riesigen goldenen Sanduhr auf seinem Thron, der ebenso prunkvoll war.
Fragend zog er die Augenbrauen hoch, während er mit den Fingern kleine Sandkörner formte, die glitzernd in die Tiefe der Sanduhr fielen. Dort ruhten sie, bis sie an der Reihe waren, sich durch die Verengung des Glases zu quetschen.
Auf keinen Fall konnte sie ihm die Wahrheit sagen. Dieses Mal musste sie es selbst regeln. Sie räusperte sich und deutete mit dem Finger auf den lederartigen Beutel an ihrer Hüfte. »Ich brauche Nachschub.« Es klang in ihren eigenen Ohren mehr wie eine Frage.
Der Sandmann lächelte auf sie herab und entblößte dabei sein zahnloses Zahnfleisch. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab - es erinnerte sie an das, was man sich über ihn und die Zahnfee erzählte. Aber das war eine andere Geschichte.
Es war jedenfalls kein Wunder, dass er nur noch sehr selten selbst die Welt der Menschen betrat. Würde ihn jemand bei seiner Arbeit erwischen, so würde vermutlich der gesamte Vorrat an Schlafsand nicht ausreichen, diese Person je wieder ruhig schlafen zu lassen. Es gab Momente, da gruselte sie sich selbst vor ihm.
»Dein Beutel füllt sich nicht von alleine, Suena.«
»Ja«, stammelte sie nickend, löste den Beutel von ihrem Gürtel und trat vor die große Sanduhr. Jetzt, wo sie direkt davor stand, konnte sie kaum noch das obere Ende erkennen. Ein kleiner goldener Hahn befand sich auf Höhe ihrer Hüfte, aus dem der feine glitzernde Sand in ihren Beutel rieselte.
»Ich bin dann mal wieder weg«, rief sie nach oben, aber sie konnte den Sandmann erst wieder sehen, als sie ein paar Schritte zurück trat. Fest zog sie den Beutel zu und band ihn sich wieder um die Hüften. Sie ärgerte sich, dass sie aufgrund ihrer Dummheit nun eine weitere Schicht einlegen musste. Aber zuerst musste sie ihre vergessene Sanduhr zurückholen, bevor ihr Versagen auffiel und es mächtig Ärger gab.
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INSOMNIA
FantasySuena bringt den Schlaf. Gelangweilt von ihrer Tätigkeit, schleichen sich ihr immer öfter Fehler ein. Wie gut, dass ihr Boss, der Sandmann, diese Fehler immer wieder aus dem Gedächtnis der Menschen löschen kann. Als sie aber Will begegnet und er sie...