Unbekannt

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Es fröstelte ihn.

Sein ganzer Körper war gefangen in einer eisigen Umarmung, derer er sich kaum entziehen konnte. Ein leises Schwappen drang an seine Ohren und immer wieder benetzte etwas Nasses seine Wange. Diese Momente waren die schlimmsten; wenn das kalte Nass zurückkehrte, über seine Haut glitt und das Gefühl der Taubheit nur noch verstärkte. Er fühlte keinen Schmerz, doch vielleicht lag er bereits so lange in der Kälte, dass diese ihm sämtliche Empfindungen geraubt hatte. Ein fernes Donnern war zu vernehmen, hörte sich an wie ... ein Wasserfall?

Wo war er?

Nur schwer ließen sich seine verklebten Lider voneinander trennen. Über ihm schwebte eine steinerne Decke; die einzelnen Backsteine sahen so aus, als hätte ein kleines Kind sie aneinandergereiht während ein Erwachsener einfach nur noch Mörtel alle Zwischenräume zugekleistert hatte, damit es irgendwie hielt. Das Grollen drang noch immer zu ihm. Vielleicht war es auch einfach nur der unheilverkündende Vorbote einer drohenden Gefahr, wie der Einsturz der Decke. Er sollte sich bewegen, um wegzukommen, sämtliche Überlebensinstinkte in ihm schrien regelrecht danach.

Doch es war so schwer, sich zu bewegen.

„Ah ... du bist wach. Sehr schön."

Die Stimme war knarzig und klang so, als hätte dieser jemand viel zu viel Tabak geraucht. Vorsichtig versuchte er, den Kopf zu wenden. Die eine Hälfte seines Gesichts landete im eisig kalten Wasser, die andere präsentierte sich einem kühlen Luftzug. Seine Augen erfassten in der Dunkelheit eine Gestalt, die vor ihm im plätschernden Wasser kniete. Immer wieder griffen ihre langen Finger, die in schwarzen Handschuhen steckten nach etwas in dem Nass und räumten es in eine große Tasche mit silbern-glänzender Schnalle. War da ein Symbol zu erkennen?

Er glaubte, eine Nadel zu sehen. Eine Nadel, aus dessen Spitze ein Tropfen quoll.

Hinter der kauernden Person erhoben sich hohe Säulen aus dem Boden. Auf jeden der Socke saß eine steinerne Statue, deren weit aufgerissene Mäuler zwei Reihen spitzer Zähne präsentierten. Kurze Flügel zierten ihre gekrümmten Rücken, halb ausgebreitet und mit widerlichen Krallen bestückt. Die Klauen gruben sich in den Sockel der Säule, hinterließen tiefe Kerben, in denen sie Halt fanden. Die Augen mit den geschlitzten Pupillen schienen ihn direkt anzugucken.

Gargoyles.

Doch es waren nur Statuen.

Nur Statuen.

Oder?

Es fiel ihm schwer, den Blick abzuwenden und sich wieder der Person zu widmen, die mit einem lauten, in dem Tunnel widerhallenden Klicken seine Tasche schloss und sich aufrichtete.

„Warte." Er erschrak vor seiner eigenen Stimme. Hatte er tatsächlich gesprochen? Sie hörte sich in seinen eigenen Ohren so dunkel und rau an, als würden kleine Kiesel an seinen Stimmbändern schaben. „Bitte, warte." Nein, so hörte er sich tatsächlich an. Es war ihm fremd. Überhaupt fühlte sein ganzer Körper sich fremd an. Als würden die einzelnen Gliedmaßen nicht zu ihm gehören. Als wäre er ein Parasit in dem Geist eines anderen.

Die Person hielt inne und wandte ihm ihr Gesicht zu. Ein Hut mit breiter Krempe legte einen Schatten über sein Gesicht. Nur eine weiße Wolke manifestierte sich vor seinen Lippen. Ein beruhigender Anblick, wie er fand. Es bedeutete, dass die Gestalt vor ihm atmete und lebte. Zumindest hoffte er das.

Vorsichtig versuchte er ebenfalls, sich aufzurichten. Es gelang ihm erstaunlich gut. Er patschte mit seinen behandschuhten Händen in das Wasser und spürte das kalte Nass durch seine Kleidung dringen. Er zitterte, doch er wusste nicht, ob er es tatsächlich aufgrund der klirrenden Kälte tat oder weil er sich an nichts erinnern konnte.

Die Kirche des reinen Blutes (Runen aus Fleisch und Kreide 01)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt