Familientreffen der anderen Art

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Kippen, Nadeln und Glas lagen auf dem Boden, während man sich gleichzeitig nicht über den bestialischen Gestank wundern konnte, der von den dunklen Flecken an den Wänden kam. Was es war, konnte niemand sagen, jedoch vermutete man, dass sich ein Blob in diesem Haus aufhielt. Oder es waren doch nur Geister.

Zaghaft stieg sie die verbogene Treppe hinauf und versuchte sich gleichzeitig an der Wand entlang zu hangeln, denn der Aufzug schon längst kaputt und niemand schien sich, darum zu kümmern. Eher gesagt, noch bevor sie geboren wurde war er schon hin, jedoch brauchte sie auch nur in den ersten Stocke zu gelangen, denn Annemone war etwas anders als Coraline in diesem Verhältnis. Sie wollte erreichbar sein und liebte es in dieser Umgebung zu sein, weil sie angeblich dadurch wuchs, die Wahrheit darüber wissen, tat nur sie wirklich.

So junge Dämoninnen wie sie verströmten einen gewissen Duft und der Duft war extrem gefährlich, wenn man älter wurde, doch es klappte. Auch, wenn man ihn dazu benutzte, um Menschen, deren Sinne eher verkümmert waren, ins Bett zu bekommen.

Sex, Drogen und Alkohol, ansonsten fand man hier nichts, dass noch ungefähr normal war. Den Meisten hier war es egal und sie brachten ihre Kinder gerne in diese Welt hinein, doch gingen einige auch schnellstmöglich, damit es nicht so eine Katastrophe wurde, wie sie annahm.

Somit klingelte die junge Frau nicht einmal, sondern trat gleich in die Wohnung ein. Ihre Augen bewusst nicht nach oben gerichtet, da sie bereits im Augenwinkel die Fallen erkennen konnte, welche an die Decke gemalt wurden, um unwillkommene Gäste draußen zu halten. Anscheinend aber nicht sie, obwohl Coraline als eine andere Person dieses Viertel verlassen hatte damals, noch bevor Ehm und Rayen wirklich in ihr Leben getreten waren.

Klein und lang waren einige Flecken auf den Boden, die man nicht zuordnen konnte, jedoch hatte sich die Farbe so tief ins Holz gefressen, dass man es immer noch erkenne konnte, außer-

»Cora!«

Aus großen Augen schaute sie eine Blondine an, deren Äußeres so viel weiblicher wirkte als ihres.

»Warum bist du hier?«

Der Ton schon, der ihr nur ein Zucken mit den Schultern entlocken ließ, genügte, damit sie sich Rayen hier her wünschte. Keine Umarmung, keine Grüße, stattdessen wollte man sie verscheuchen aus dieser Welt oder sie abhalten, näher zu kommen. Was denn sonst? Immerhin war es bereits nicht anders gewesen, als sie noch wirkliche Kinder waren, dennoch zählte Annemone auch nicht zu den Erwachsenen.

»Nicht viel, Mone, aber ich brauch einen Tropfen von deinem Blut.«

»Warum nicht deins?«

Wieder blieb sie still, nachdem Coralines Schwester kurzzeitig zum Fauchen übergegangen war.

Alles, was war, war Geschichte und mit dieser kleinen Geste erinnerte sie sich ständig daran, auch wenn sie rein war und der Rest ihrer Familie nicht.

»Weil meines ungeeignet-«

Das gackernde Lachend ihrer Schwester unterbrach sie, doch blieb es dabei, denn anscheinend hatte es Annemone verstanden.

»Klar, wer gab dir den Auftrag? Der Wolf? Dein Gefährte, der die ganze Stadt flachlegt?« Und mich gleich dazu, hielt die Blondine in ihren Gedanken zurück, weil es ansonsten zu weit gegangen wäre und Sukkuben eben auch andere Wesen waren als nur sexsüchtige Traumwandler.

»Nein, Herzogin Beastauex.«

Fremd verließ der Name den Mund der jungen Frau, woraufhin selbst ihre Schwester schwieg.

Herzogin. Rayen war eine, jedoch nur, weil sie den weißen Mann als ihren Gefährten hatte; auch wenn vielleicht nicht freiwillig. Nur bekam Coraline so, was sie von ihrer blauäugigen Schwester wollte, nämlich ihr Blut.

Wie Frühling und Winter standen sie sich gegenüber und blieben doch immer irgendwie voneinander entfernt, doch das hieß natürlich nicht, dass sie noch irgendeine gemeinsame Zukunft besaßen. Nur blieb der Rothaarigen nichts als ein kleines Lächeln übrig, das eine Verabschiedung bis irgendwann sein sollte, denn wer wusste schon, ob sie nicht auf ein Himmelfahrtskommando mitging.

»Bye, Cora.«

Mehr sagte auch Annemone nicht, jedoch tat keiner der beiden etwas oder wollte den Moment beenden.

Seit kurzem war Ruhe zwischen ihnen, weshalb keiner von ihnen die Ruhe stören wollte, doch dann wandte sie sich ab und verschwand langsam aus der Wohnung.

Diese Vertrautheit war weg, nachdem die kleine Phiole, deren Glas sofort beschlug, mit Blut überreicht wurde. Es war kein Neid, kein Leid, dennoch war die Schuld in beiden zu groß, um sich auf eine einzelne Sache zu konzentrieren, welche nicht damit zu tun hatte. Dabei war es nur natürlich, dass Cora sich an Ehm hielt, wenn die Wahrheit nicht mehr erkennbar war, denn beide wussten, was die ganze Zeit vorgefallen war.

Nur nicht für die Familie Seyer, denn dort ging nichts vor, außer das eigene Blut und Sex. Also musste es so passieren, oder? Es gab nichts, was man hätte anders machen müssen. Na ja, vielleicht ein paar Dinge, die niemand direkt erkennen konnte.

So war das Leben eben, weswegen sie sich problemlos wieder zu Rayen in den Wagen setzen konnte, um ihr das Fläschchen zu überreichen. »

Danke, Cora«, schnurrte diese, wobei dem jungen Sukkubus das erste Mal das Leid in den Gliedern der Dämonin auffiel. Kein Mensch hatte wohl so viel durchgemacht, jedoch kannte Coraline die Geschichte nicht und wollte sie auch nicht hören, weshalb nur ein leises Bitte ihre Lippen verließ.

»Wie wäre es, wenn du den Tag noch in der Menschenwelt verbringst, anstatt in den Spiegeln?«

Ein Ja wollte raus, jedoch blieb es wie sonst auch bei einem Nein.

Kopfschüttelnd murmelte die junge Frau: »Ich kenn genug abscheuliche Wesen, die sich Menschen nennen.«

Nur die Wahrheit kam nicht raus, weil sie dafür schon zu lange unter Verschluss war. Niemand erzählte seit Generationen davon und doch blieb es eine Bürde. Dieser Name sollte auch nie jemand erlangen, denn die sukkubischen Gesetze schrieben deswegen etwas vor, was sie selbst der höchsten Dämonin nicht wirklich sagen konnte.

Rayen - Von Nacht zu NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt