An guten Tagen fiel es Sebastian schwer, Moriarty anzusehen. An schlechten Tagen konnte er nicht wegsehen.
Es sollten gute Tage sein, denn Sebastian hatte Moriarty seit sechs Monaten nicht mehr gesehen. Das sollte doch eigentlich »aus den Augen, aus den Sinn« bedeuten, oder?
Stattdessen waren Sebastians Gedanken nie so oft zu Moriarty gewandert wie in diesen sechs Monaten. Dass er ihn nicht sah, würde ihn wahrscheinlich noch in den Wahnsinn treiben, aber wann immer er Moriarty doch sah, war es, als wäre er bereits wahnsinnig. Moriarty war wie eine Fata Morgana, etwas, das ihm zeigte, dass er kurz vor dem Tod stand.
Seine Obsession mit Moriarty hätte heißen können, dass er ihn noch immer begehrte. Dass eine verlorene Liebe aufgetaucht war und Sebastian ihre Flammen erneut in sich züngeln spürte.
Wäre es das gewesen, hätte Sebastian vielleicht ruhig schlafen können. Mit unerwiderter Liebe kam er klar. Mit Moriarty konnte er hingegen nicht klarkommen; das konnte vermutlich niemand und Sebastian war schon lange keine Ausnahme mehr.
Sebastian arbeitete jetzt seit knapp einem Jahr für Moriarty und es war gut, schätzte er. So gut wie es sein konnte, als Auftragskiller für einen Unterwelt-Giganten zu arbeiten. Aber Sebastian wartete noch immer. Er wartete noch immer darauf, eines Tages irgendwo zu stehen - vielleicht mit einem Kaffee in der Hand, vielleicht, wenn er gerade sein Gewehr zusammenpackte - und dann Peng! schoss ihm jemand eine Kugel ins Hirn.
Es musste passieren, das wusste Sebastian. Er war ein Risiko. Er war der lose Stein in Moriartys Mauer der Unantastbarkeit.
Denn er kannte Jim. Jim war sein Zimmergenosse gewesen, er war sein Freund gewesen. Er hatte ihm so viel über sich preisgegeben, er hatte ihm seine Familie vorgestellt, er hatte Geheimnisse mit ihm geteilt und neue mit ihm geschaffen; er hatte einen Menschen für ihn umgebracht.
Er hatte ihn geküsst.
Dieser letzte Fakt war es besonders, der Sebastian jederzeit damit rechnen ließ, irgendwann nicht mehr aufzuwachen. Er hatte Jim nahegestanden; egal, wie verdreht diese Nähe zum Teil gewesen war. Moriarty konnte sich keinerlei Nähe irgendeiner Art leisten.
Aber Sebastian lebte noch. Er verdiente gut und machte seinen Job noch besser. Er befolgte Befehle, obwohl er bezweifelte, dass die Hälfte von ihnen überhaupt direkt von Moriarty kamen.
Anfangs hatte er gedacht, alles würde von Moriarty ausgehen, dass der alles lenken würde. Und zum großen Teil tat er das auch. Doch egal, wie viel Macht Moriarty auch besaß, ein so weitreichendes Reich wie das seine überstieg auch Moriartys Kompetenzen. Dafür hatte er Handlanger, die die weniger wichtigen Aufgaben übernahmen: Zeugen, unkomplizierte Aufträge, Geldübergaben. Sie waren nicht wichtig genug, als dass Moriarty sie nicht sofort losschneiden könnte, würden sie Ärger machen, aber sie spielten genug eine Rolle, um sie als Sündenbock vorzuschicken, wenn die Polizei doch einmal etwas zu nah an sie herankam. Sie alle waren gefährlich, aber sie wurden von Moriarty kontrolliert - waren ihm teils sogar loyal ergeben - und das machte sie wohl zu so etwas wie Moriartys verlängerte Arme, die sein ganzes Reich umarmten und sich in jede winzigste Ecke strecken konnten.
Sebastian war der Handlanger der Handlanger. Deshalb sah er Moriarty so selten, deshalb bekam er langsam das Gefühl, dass dieses letzte Treffen vor sechs Monaten, das sich mehr angefühlt hatte, als wolle Moriarty prüfen, wie sich seine Investition so machte, das letzte gewesen sein könnte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste, dass er froh sein sollte.
Aber da war weiterhin Jim, in dem Hintergrund seiner Gedanken, und er hielt nie seine verdammte Klappe.
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How To: Keep On Living
FanfictionZwanzig Jahre sind vergangen und Sebastians und Moriartys Wege haben sich wieder gekreuzt. Nun arbeitet Sebastian unter Moriarty und während seine Vergangenheit ihn noch immer nicht ruhen lässt, bröckelt Moriartys Reich, und irgendwie endet Sebastia...