Ach. Lass mich doch einfach in Frieden.
Diese Nachricht verschickte sie zwei Mal. Einmal an ihre Mutter und einmal an ihren Vater. Sollten sie doch ruhig merken, dass sie wütend war. Fürchterlich wütend. Gerade als das Mädchen ihr Handy beiseite legen wollte, klingelte es. Sie schaute auf den Display
Papa
Weg drücken.
Wieder klingelte es.Papa
Selbes Vorgehen.
Mama
Selbes Vorgehen.
Papa
Selbes Vorgehen.
Mama
Selbes Vorgehen
Meine Fresse, jetzt lasst mich doch in Frieden pennen.
Wieder sendete das Mädchen diese Nachricht sowohl an ihre Mutter als auch an ihren Vater.
Sie wartete. Packte das Handy nicht beiseite. Starrte auf den Display. Saß wie versteinert da. Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten...plötzlich verschwam ihr Blick. Was war los? Ein Wassertropfen auf dem Display. Und da noch einer. Und noch einer. Was war das? Sie blinzelte ein paar mal. Nichts änderte sich. Ihr ganzer Blick war verwaschen und verschwommen. Als wäre sie unter Wasser. Mittlerweile war das Display vollkommen nass. Von wo kam das nur?
Erst Sekunden später merkte das Mädchen, dass sie weinte. Stumme Tränen. Ein kleiner Wasserfall floss ihr über die Wange. Warum weinte sie? Das ergab keinen Sinn. Sie schüttelte den Kopf, rieb ihre Augen und versuchte den Tränenfluss einzustellen. Mit Erfolg. Immernoch kopfschüttelnd über sich selber, erlosch sie das Licht und legte sich in Ihr Bett. Griff sich ihr Kuschel-Schaf und zerdrückte es.
Wieder nahm das Mädchen ihr Handy. Keine Nachricht.
Naja. Zumindest hatten ihre Eltern verstanden, dass sie ihre Ruhe wollte. Wieder überkam sie diese fürchterliche Wut.Einige Zeit blieb sie wütend in ihrem Bett liegen. Plötzlich ein Geräusch. War das die Haustür? Oder war ihr Bruder nur aufs Klo gegangen. Sicherlich war er nur auf der Toilette...oder...könnte es möglich sein, dass ihre Mutter nach Hause gekommen war? Um zu gucken was mit ihr los war?
Sie schüttelte den Kopf. Selbst wenn es so wäre...das Mädchen wollte nicht mit ihr reden. Auf keinen Fall. Sie würde sich schlafend stellen, wenn sie es wäre.
Ich will kein Wort mit Der sprechen. Weder mit ihr noch mit Papa.
Ob er mitgekommen war? Ob er ihre Mutter begleitet hatte, obwohl es nicht nötig war?
Ob die Beiden gekommen waren um nach ihr zu sehen? Mit ihr zu sprechen?
Sie versuchte auf weitere Geräusche zu achten. Erfolglos. Ihr Herz schlug viel zu laut. Warum schlug ihr Herz so laut? Das ergab keinen Sinn.
Da! Wieder ein Geräusch!
Aufgeregt lag das Mädchen in ihrem Bett.
Nein. Ich werde nicht mit ihnen reden. Soll Papa doch wieder zu seinen Kumpels. Soll er doch seinen Abschied weiter feiern. Und sollte Mama doch mit. Weil es ja total normal ist, wenn Exfrau und Exmann zusammen feiern. Und ihre Kinder alleine lassen.
Nein. Das Mädchen würde mit keinen von beiden reden. Das nahm sie sich fest vor.
Und trotzdem formte sie in ihren Gedanken ein anderes Szenario.Diesmal merkte das Mädchen sofort, dass sie weinte. Aber diese Tränen waren nicht mehr stumm. Es reichte ihnen nicht einfach nur still zu kommen und wieder zu gehen. Sie schnürten dem Mädchen den Hals zu. Raubten ihr die Luft, nahmen ihr die Sicht und breiteten sich mit dem furchtbarsten Gefühl überhaupt in ihrer Brust aus. Aber nicht nur dort. Das Gefühl verbreitete sich. In ihren ganzen Körper, von den Zehen bis zu ihren Haarspitzen. Es ließ sie erzittern.
Und so lag das Mädchen in ihrem Bett. Weinend, zitternd, schluchzend. Unfähig sich zu bewegen. Unfähig irgendetwas zu tun. Nur am Rande wurde ihr bewusst, dass weder ihre Mutter noch ihr Vater gekommen waren. Es war also wirklich ihr Bruder. Diese Tatsache bahnte sich immer mehr den Weg in ihr Bewusstsein.Sie sind nicht gekommen.
Das Mädchen weinte weiter. Konnte nicht mehr aufhören.
In ihren Gedanken schrie sie ihren Eltern immer wieder das selbe ins Gesicht.
Wieso ich so wütend bin? Ihr fragt euch ernsthaft warum ich so wütend bin?
Denkt doch mal nach. Was glaubt ihr denn? Ihr beide sitzt da, in der Wohnung die seit 10 Jahren mein zweites zu Hause ist. Das zu Hause, welches jetzt leer geräumt ist. Und ihr feiert. Feiert die Tatsache, dass es das letzte mal in dieser Wohnung ist. Ihr feiert verdammt noch mal, dass Papa wegzieht. Weg von hier, von seiner Familie, weg von seinem Sohn, weg von mir. Und nein. Auch wenn es nicht weit von hier ist. Es ist weg. Weg von uns. Du feierst, dass du zu einem dummen Weibsstück ziehst. Eine Frau die ich abgrundtief hasse. Eine Frau die du nicht liebst. Eine Frau, bei der du nur bleibst, damit du nicht alleine bist. Damit du nicht den ganzen Tag alleine zu Hause sitzt. Jeden Tag, bei jedem Gespräch höre ich dir deutlich an, dass du nicht glücklich bist. Schaffst es aber nicht mir irgendetwas anzuvertrauen. Nein. Du ziehst lieber zu dieser Frau. Ziehst zu dieser Frau und lässt uns alllein. Nimmst uns die Möglichkeit dich spontan zu besuchen. Dich unter der Woche zu sehen. Ich verabscheue es dort. Diesen Ort. Diese Wohnung. Und das weißt du. Und es ist dir egal. Du nimmst mir auch noch die letzte Möglichkeit dich zu sehen.
Und Mama, du feierst natürlich mit. Immer dahin wo die Party ist stimmts? Scheiß auf deine Kinder. Hauptsache du kannst dich aufbrezeln und Komplimente einfangen. Egal wo du dich dafür einmischen musst. Egal wenn du dafür alleine lässt. Ist dir eigentlich mal in den Sinn gekommen, dass ich heute vielleicht etwas wichtiges mit dir bereden wollte? Etwas, was ich schon so oft nicht ansprechen konnte, weil du nicht da warst. Aber nein. Das kommt dir natürlich nicht in den Sinn.
Und nicht nur das. Ihr badet beide so sehr in euren Problemem und zerreißt mir das Herz. Ja. Ich weiß ihr habt es nicht leicht und ja ich wünsche mir nach wie vor, dass ihr mir beide erzählt was los ist. Aber es kann nicht sein, dass ich all meine Probleme euch nicht erzählen kann. Ich...ich...mir geht es auch schlecht. Und keinen von euch interessiert es. Keinen. Niemanden.Wenn dieser Gedankengang beendet war, begann er wieder von forne. Wie ein Lied das dauernd wiederholt wurde. Wie ein Mantra lief dies alles durch den Kopf des Mädchens. Wieder und wieder schrie sie imaginär ihre Eltern an. Immer und immer wieder.
Ihre Gefühle griffen über. Sie hatte keinerlei Kontrolle mehr über sich. Sie weinte und weinte und weinte. Und niemand interessierte es. Niemand...keiner...
So lag sie da. Weinend, elendig zitternd und am Boden zerstört lag sie in ihrem Bett.
Bleibt bei mir. Bitte lasst mich nicht allein.
Ohne es zu merken wiederholte sie diese Worte immer wieder.
Nach einer unendlichen Weile, lag das Mädchen still in ihrem Bett. Ihre Tränen waren versiegt. Oder ausgegangen. Es war ihr egal. Sie fühlte sich elend. Mit oder ohne Tränen.
Sie spitze ihre Ohren. Diesesmal hörte sie wirklich etwas. Erst der Fahrstuhl, dann die Tür. Dann ihre Mama.
Mama...
Sie dachte kurz an ihren Papa
Ich wünschte Papa wäre auch hier.
Sie würde jetzt sicherlich in ihr Zimmer gehen und fragen was los war. Das Mädchen entschied immernoch nicht mit ihrer Mutter zu reden. Und doch wünschte sie sich mit einem unendlichen Verlagen, dass ihre Mutter rein kam. Sie fragte. Sie anmeckerte.
Das Mädchen lauschte. Die Schritte kamen immer näher. Ihr Herz raste, als hätte sie einen Marathon gelaufen. Gleich. Gleich würde ihre Tür aufgehen.Ihre Mutter kam nicht.
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Kurzgeschichten
Short StoryEinfach ein paar Kurzgeschichten die mir so eingefallen sind :]