❁ 69 ❁

1.3K 219 506
                                    

"Der Wind macht schöne Wellen." 2800 Words

Harry's POV

Tatsächlich konnte ich mir Anfangs gar nicht wirklich vorstellen, wie die Reha für mich verlaufen würde. Mir war klar, dass ich hauptsächlich für Olivia's Psyche mitgekommen war, doch niemals hätte ich mir denken können, dass ich in so viele Bereiche einen Einblick bekommen würde und ich aktiv mit eingebunden werde.

Wir hatten jeden Tag einen strikten Zeitplan und kamen gar nicht dazu, uns zu langweilen. Olivia war täglich damit beschäftigt, Geh-oder Bewegungstraining zu vollziehen, ihre Koordination und ihr Gleichgewicht mit Ergotherapie zu verbessern und bei der Wärme-und Kältetherapie werden die Spastiken, sogenannte unwillkürliche Muskelkontraktionen gelindert und ihre Muskeln gedehnt. Es wurde daran gearbeitet, wie sie Stürze verhindern kann und wie wir auch nach der Reha damit weitermachen konnten, ihre Gehfähigkeit zu verbessern, denn die Ärzte konnten uns bestätigen, das Olivia nicht gelähmt war. Sie konnten uns zwar nicht versprechen, dass es jemals wieder so funktionieren würde, wie vor dem Unfall, aber die Chancen stünden gut, dass sie vielleicht in ein paar Jahren kurze Spaziergänge machen oder sich ohne Rollstuhl im Haus bewegen könnte.

Ich konnte jedoch schnell feststellen, dass all diese neuen Eindrücke sehr schwer für meine Frau waren. Abgesehen davon, dass ihre Stimme noch stark angeschlagen war, sprach sie nicht besonders viel mit den Ärzten und das sah ihr normalerweise gar nicht ähnlich. Ich bekam es mit der Angst zu tun, dass die Reha vielleicht zu schnell kam und sie noch ein paar Wochen länger im Krankenhaus hätte bleiben sollen, doch mittlerweile war ich mir sicher, dass sie dort niemals solche Fortschritte hätte machen können. Zumindest nicht so schnell. Die Ärzte bestätigten uns, dass wir vor allem in den nächsten sechs Monaten große Fortschritte sehen würden und uns dann nicht wundern sollen, wenn es mit der Zeit abnehmen sollte, doch ich versuchte hoffnungsvoll zu bleiben.

Was ihr half, war die Psychologische Betreuung, die sie ebenfalls bekam. Ich hatte das Gefühl, dass sie danach jedes Mal etwas offener mit mir sprach, doch vielleicht, wurde sie auch einfach nur wieder warm mit mir. Es musste schwierig sein, die ganze Zeit nur zuhören zu können und nicht wirklich etwas zum erzählen zu haben, denn sie durfte ja nichts alleine tun und ich bekam immer alles mit.

Durch die vollen Tage kam ich nur Abends dazu, Louis zu vermissen. Dann jedoch so sehr, dass ich einen schmerzenden Druck in meiner Brust spürte, der mir fast die Luft zum atmen nahm. Ebenso waren die Albträume zurück, was mich wunderte, da Olivia nun ja sogar neben mir lag. Trotzdem wachte ich fast jede Nacht schweißgebadet auf und wünschte mir, Louis würde mich in den Arm nehmen und mir sagen, dass alles gut war und ich mir keine Sorgen machen müsste. Und obwohl auch Olivia es mitbekam, mich in den Arm nahm und mich sogar zwischendurch fragte, ob ich darüber reden wollte, war es nicht das gleiche. Denn die Schmetterlinge fehlten.

Ein großer Lichtblick war das erste Wochenende, an dem Kim und Marc zusammen mit Aurelia zu uns an die See fuhren. Schon jetzt war ein großer Unterschied im Umgang von Olivia und unserer Tochter zu sehen, denn beide hatten viel weniger Berührungsangst. Man konnte ihnen anmerken, wie sehr sie sich schon in dieser Woche vermisst hatten und wie viel sie einander zu erzählen hatten. Das Bild der beiden heiterte auch mich auf und ich fand mich an Kim gekuschelt wieder, um welche ich meinen Arm geschlungen hatte, um sie dabei zu unterstützen, ihre Tränen zurückzuhalten. Sogar der Frührentner machte es sich zur Aufgabe, seine Tochter über die schwierigen Wege zu schieben, damit sie die Nordsee zu sehen bekam und zum ersten Mal fühlte es sich okay an, diese Entscheidung getroffen zu haben. Ich hätte keine andere Wahl gehabt.

Der einzige komische Moment kam, als Aurelia ihr Plüsch-Pferd herausholte und ihrer Mutter erzählte, wieso das Pferd so hieß, wie es nunmal hieß und wer ihm den Namen gegeben hat. Zu meinem Glück waren Marc und Kim gerade damit beschäftigt, uns Pommes von der Bude so besorgen und bekamen so nicht mit, wie Olivia und ich uns für einen Moment lediglich anstarrten - unsicher, was wir nun dazu sagen sollten. Immerhin wusste zumindest ich, was sie dachte, doch ich konnte es ihr nicht ausreden, wenn sie mich nicht direkt darauf ansprach. Aber wenn sie es tun würde, dann müsste ich ihr die Wahrheit erzählen. Das hatte ich allen anderen und mir selbst versprochen. Ich würde Louis immerhin auch niemals direkt verleugnen wollen, dafür war zu viel zwischen uns passiert. Immerhin hatte ich mich in ihn verliebt.

Primrose Path | L.SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt