Madame Geraldine,
was macht einen Mann aus? Wissen Sie, wir sind geblendet von Vorurteilen über den Mann, den Perfekten. Madame, erlauben Sie mir die Frage, was macht ihn denn aus? Das typische Verhalten, dass er derjenige sei, jeden und alles zu zerstören, den Retter zu spielen und der beste zu sein? Ich kann das nicht glauben und dennoch bin ich davon überzeugt und schöne mich zutiefst. Es ist erschütternd. Und aus meinen Augen, in meinem Körper mit diesen Vorurteilen behaftet zu sein, straft mich selbst. Ich selbst sehe vor mir diesen typischen Mann mit den schwarzen Haaren und der lässigen Sonnenbrille, wie er jedem Mädchen zulächelt. Macht dies einen Mann aus?
Wissen Sie, wir leben im 21. Jahrhundert. Wir erfinden täglich neue Geräte, können die Welt bereisen und die Frau ist emanzipierter denn je. "Dicke" Frauen gelten wieder als schön und werden akzeptiert, die Welt hat sich gewandelt! Doch die Männer sind immer noch mit diesen absurden Vorurteilen behaftet, das ist wahr. Man erwartet einfach bestimmte Dinge.
Oder macht der Körperbau einen Mann, einen Richtigen, aus? Sind es die Muskeln die er sich antrainiert um in dieser Welt akzeptiert zu werden? Diese perfekten, abgepassten? Ja? So will ich nicht mehr leben, ich könnte nicht. Das klingt ziemlich bemitleidend, das ist es nicht. Das möchte ich nicht und würde eben keiner tun.
Wissen Sie, ich kann es mir nicht vorstellen, warum man Sport betreibt, außer dass man gut aussieht. Warum sehen wir nur das schlechte am Menschen, warum muss man sich immer an diesen schlechten ausrichten? Menschen sind nicht perfekt, Frauen sind es nicht, Männer sind es nicht. Das ganze scheint mir wie eine Wehschrift, so schwach. Viele werden das doch alle abstreiten was ich hier zu diesem Thema verfasse um ihre Maske, um ihre Stärke zu präsentieren. Vielleicht bin auch nur ich es, der so denkt. Legen sie nicht für mich die Hand ins Feuer.
Auch belastet es mich, worüber man spricht, worüber man denkt, wenn das Wort Homosexualität spricht. Ich erklärte Ihnen bereits, ich bin nicht in diesem Sinne orientiert. Dennoch finde ich es abstoßend in dieser Zeit zu Leben, ohne solche Menschen anzuerkennen. Wissen sie, warum sollten diese Menschen nicht heiraten dürfen? Warum sollten diese Menschen keine Kinder haben? Persönlich bin ich im Kontakt mit Homosexuellen und sie sind mir sympathischer und besser zu ihren Mitmenschen als Heterosexuell-Orientierte. Abstrakt diese Welt, furchtbar. Was meinen Sie dazu? Kann es so weiter gehen?
Ich kann und will es nicht verstehen, warum wir Menschen so sehr von Vorurteilen geplagt werden und uns das Leben so schwer machen. Wir sind aufgeklärt, wir müssten wissen, dass die Kirche nicht in allem Recht hat. Vorallem nicht in Sachen "Mensch". Der Mensch ist wohl das höchste Gut, was der Mensch vorzuweisen hat. Dieses Konstrukt aus vermeintlicher Intelligenz, Jahre voller Evolution. Das Endprodukt unserer Bemühungen, unseres Egoismus ist dies? Vorurteile, eine zerstörte Welt? Es ist eigentlich unfassbar, wie missgeleitet wir sind.
Oh Madame Geraldine, wissen Sie, was es mich für Überwindung kostet diese Briefe an sie zu adressieren und dennoch niemals abzuschicken? Ich bin davon überzeugt, sollte ich sie ihnen jemals zukommen lassen, werde ich wegen genau dieser Einstellung in einer Monogamie enden. Aber ich muss sagen, wenn niemand davon spricht muss es doch einen geben, der diese Wörter unzensiert erzählt. Den Kindern von uns, damit sie von uns lernen. Unsere Kinder können unserer Verhalten verbessern. Sie sind der Schlüssel!
Ich bin mir über die Folgen meiner Gedanken bewusst. Das klingt erneut so wehleidig, oh Madame Geraldine.
Ich bin mir über mein Schicksal bewusst, mehr als manch anderer meines Alters und der damit verbundenen Erfahrung. Anders zu sein scheint unsere heutige Todsünde und ich stolziere gerade zu hinein, ohne das mich jemand aufhört. Ich bin mir sicher, diese Welt kann nicht mehr gerettet werden, nicht mehr durch Sie, nicht durch mich noch durch jemand anderen. Niemand außer uns weiß davon, Madame. Lassen Sie uns dieses Geheimnis hüten. Lassen Sie uns dieses Geheimnis bewahren und es als 'Unseres' betiteln, Madame.
Ich bin sehr froh Ihnen begegnet zu sein. Wissen Sie, Sie waren die erste Frau der ich einfach alles erzählen konnte, ohne mich dafür zu schämen, wie schwach ich doch war und ich es immer noch bin. Ich bin froh, dass Sie mit mir meine Gedanken teilen und mir einen Halt gegeben haben. Dies ist nicht einfach, das ist mir bewusst. Besonders in dieser Welt, in der ich nicht dazugehöre.
Vielleicht habe ich auch zuviel erwartet.
Mit bestem Gruß,
*
Gefällt dir diese Geschichte? Diese und weitere meiner überarbeiteten Geschichten und Gedichte sind jetzt als Buch erhältlich. "Die Banalität der Andersartigkeit" - von Marcel J. Paul kannst du bei Thalia, Amazon und vielen weiteren Anbietern bestellen und somit meine Arbeit unterstützen.
Vielen Dank im Voraus. :-)
DU LIEST GERADE
Briefe eines Anderen
PoesíaDer Brief eines Anderen, adressiert an Madame Geraldine. Eine nachdenkliche Geschichte über das Leben.