Meine liebe Madame Geraldine,
es ist so schön, dass wir nach all dieser Zeit noch miteinander schreiben. Das ist mir letztens wieder aufgefallen. Ich fand Ihre erste Antwort auf die Reihe meiner Fragen.
Sagen Sie, was machen Sie? Ich habe gehört, sie haben jetzt einige Katzen bei sich aufgenommen. Das würde mir auch gefallen - ich hätte gerne ein paar Wesen um mich herum.
Madame Geraldine, ich habe Ihnen so viel zu erzählen! Es ist so viel passiert - die Welt verändert sich - stetig. Aber so, wie es gerade ist, so ist es ein Graus. Seen Sie nach draußen! Spüren Sie diesen Hass? Er streift durch die kleinen Gassen meiner Stadt und vergiftet alle, auf die er trifft. Wie steht es bei Ihnen?
Aber wissen Sie was, ich spüre es. Ich spüre, dass es sich wieder bessern wird. In nächster Zeit wird so viel Gutes passieren. Wir werden das Glück spüren- das verspreche ich Ihnen. Ach - wir müssten uns einmal persönlich treffen, so viel kann ich hier gar nicht schreiben. Wer weiß, wer das hier alles lesen wird - zufällig und mit bösen Zungen verbreiten wird.
Ich habe das Gefühl, dass wir alle betäubt werden. Wir sind betäubt von verschieden Schlägen gegen unsere Vernunft - jeder auf seine ganz eigene Weise. Die Menschen sprechen weniger, sie reden aber hören nicht zu. Sie fragen nicht mehr, sondern geben Antworten auf leere Hüllen. Und wissen Sie was? Die Antworten sind die Hüllen selber!
Atmen fällt heute schwerer, als es sonst schon ist. Wir müssen wohl wieder atmen lernen, in einer Welt, in welcher unser Sauerstoff wie Gift erscheint. Und niemand tut etwas!
Alleine Weihnachten, Madame, wie war Ihr Fest? Es war so anders. Es war so unglaublich anders. Früher sagten wir immer, wie sehr wir uns Frieden für diese Welt wünschen. Erinnern Sie sich? Wir sagten, dass Frieden das beste Geschenk dieser kleinen Welt ist. Doch jetzt - jetzt spüren wir ihn erst richtig. Den Krieg, Terror und die furchtbare Verdammnis.
Wissen Sie, wir spüren jetzt - jetzt wo es zu spät ist (mal wieder, um ehrlich zu sein), wie sehr wir uns doch nach den friedlichen Zeiten sehnen. Aber wir müssen jetzt zusammenstehen. Madame, ich stehe bei Ihnen. Wir müssen uns an den Händen fassen und dürfen uns nicht mehr loslassen. Es ist so furchtbar - bin ich nur ein kleiner Träumer? Ich weiß es nicht. Ich würde mir so sehr wünschen, dass dieser Traum in Erfüllung geht. Madame. Sie und ich, die ganze Welt!
Aber ich habe auch gute Nachrichten, Madame. Die Rezensionen zu meiner ersten Abhandlung waren durchaus positiv. Ich habe unteranderem unseren zweiten Brief eingearbeitet - verschiedene Facetten eingearbeitet und weggelassen. Wissen Sie was mir dabei aufgefallen ist? Ich habe so viele Gedanken, die ich erst in reiflicher Überlegenheit formulieren kann. Es ist schön, dass ich das kann. Aber ich habe Angst. Was ist mit meinem Geist? Wird er zu Ende gehen - werde ich so jung mich von meinem Traum verabschieden?
Aber schwelgen wir nicht in den Ängsten, Madame. Meine Abhandlung über die Andersartigkeit unserer heutigen Gesellschaft und ihren Bezug zur Wirklichkeit war ein Erfolg! Ja, Madame, ich habe mich entschlossen eine zweite zu schreiben. Es soll eine zweite Abhandlung entstehen, eine, die unser Glück zusammenfasst. Sie werden sehen - Madame. Sie werden sehen.
Ich habe einmal geschrieben, dass ich die Welt nicht verändern aber ihre Probleme benennen kann. Erinnern Sie sich? Ich glaube das möchte ich widerrufen. Ich kann die Welt verändern, Sie können das, wir alle sind dazu fähig. Wenn wir mit einem Lächeln in diese Welt hinausgehen und uns an unserem Leben erfreuen, dann verändern wir die Welt. Ich zumindest mache das, das ist meine Aufgabe in diesem Leben.
Aber es fällt mir auch oft so unglaublich schwer, Madame. Das werden Sie sicherlich nicht wissen von mir. Es geht mir so oft so schlecht, und ich kann es nicht zeigen. Es ist wie eine Barriere, die ich mir selbst geschaffen habe. Ich kann mich nicht zeigen, wie ich bin - ich will es auch nicht - so wäre ich nicht, oder? Ich bin ein Mensch mit einer Maske - Eier lächelnden Maske vor einem traurigen Gesicht. Es scheint mir, als würden so viele Menschen so leben - viele sagen es und beleidigen damit die Wahren, die so leben müssen.
Sie haben richtig gelesen, Madame. Es gibt Menschen, die haben ihre Last in Form eines zweiten Gesichtes, einer zweiten Identität, die sie nicht ablegen können und auch nie darüber reden. Sie können nicht. Ich selber zähle vielleicht dazu, ich wünschte, es wäre nicht so. Aber wissen Sie, diese Maske beschützt mich. Ich schätze, sie beschützt jeden, der so lebt wie ich. In seiner eigenen kleinen Welt, mit eigenen Gedanken und dem Körnchen an Hoffnung aus jeder Situation das Beste zu machen.
Wir müssen uns schützen Madame, deshalb tragen wir diese Maske. Wenn wir diese Wörter hören, dann lächeln wir obwohl wir so schrecklich weinen würden. Wir lächeln in Momenten, in welchen wir eigentlich vor lauter Wut und Boshaftigkeit den Raum verlassen müssten. Aber es scheint, als würde diese Krankheit sogar die ganze Gesellschaft befallen derzeit.
Die Zeiten sind schwierig, Madame. Ich habe so oft Angst auf Menschen zuzugehen. Ich weiß nämlich, wie sie denken. Oder ich male es mir zumindest aus, es zu wissen. Darüber will ich aber eigentlich gar nicht denken. Ich will mir meinen Kopf damit gar nicht zustopfen, aber ich kann nicht anders. Ich kann es einfach nicht.
Es gibt da ein Zitat einer berühmten Sängerin, Maria Callas war ihr Name. Das möchte ich Ihnen zum Schluss mit auf den Weg geben.
»Es gibt Leute, die zum Glücklichsein geboren werden, und andere, die zum Unglücklichsein bestimmt sind. Ich habe einfach Pech gehabt.« Ich finde, das trifft es so unglaublich gut. Nicht? Man hat einfach Pech gehabt - aber man muss damit umgehen und das Pech abmildern. Man muss das Leben besser sehen, als es eigentlich scheint.
Ja, das ist schwierig, ich weiß das.
Aber das ist meine Manifestation des Glücks, wissen Sie. Das ist meine Offenbarung des Glücks. Es ist das Leben zu leben, das Leben für andere schöner zu machen. Das, das alleine ist mein Glück in einer so fürchterlichen Welt.
Bis Bald,
ihr Jim Jiminy
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Briefe eines Anderen
PoetryDer Brief eines Anderen, adressiert an Madame Geraldine. Eine nachdenkliche Geschichte über das Leben.