Der 1. Brief

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Gewidmet an meine Poesie - Liebe.

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Sehr geehrte Madame Geraldine,

Ich muss Ihnen gestehen, ich bin noch etwas perplex über unser Gespräch, was wir letztens führten, gleichzeitig bin ich immer noch gerührt über ihre Worte und die Sorge um mich. Nichts desto trotz, kann ich das, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, besser schriftlich mitteilen, als wenn ich vor Ihnen rum-stottern würde.

(Zwischendurch gesagt: Nehmen Sie hiervon nichts als Vorwurf gegen Sie selbst (es mag so ankommen!), sehen Sie es als Vorwurf unserer zerrüttenden Gesellschaft)

Aufgewachsen bin ich in einem Elternhaus (und ja, wenn ich so überlege, wäre mein Weg anders gewesen, hätten mich Schicksale nicht verfolgt), abseits von Asozialität und Verachtung. Schon im frühen Kindesalter, wie ich es Ihnen schon berichtet habe, wurde ich psychisch und physisch (ich mag dieses Wort eigentlich nicht benutzen, da ich niemanden (der schlimmeres erlebt haben sollte (obwohl jenes subjektiv ist) damit angreifen oder in den Schatten stellen möchte) gequält. (Eigentliches Wort war gefoltert). Ich habe das Bild in meinen Erinnerungen, dass ich ihnen gerne beschreiben möchte, um (sollten Sie so etwas nicht selbst erlebt haben!) Ihnen eine etwas - genauere Vorstellung zu ‚präsentieren'. Ich, ein vierjähriger - mit Holzbahnen - spielender Junge, hocke in der Ecke meines kahlen Zimmers. Der Junge hat keine Verteidigung, er macht sich so klein, dass er nicht gesehen werden möchte. Vor sich ein spärliches Schild. Es ist kein Schild, wie es die Ritter benutzten, es ist ein Plastikkorb. (Sie dürfen/mögen schmunzeln) Es ist jener Plastikkorb, in dem seine Kindheit steckt, die Eisenbahnen. Ein großer, dickbäuchiger Mann (mit Telefon in der Hand am Ohr und erzählend) betritt den Raum, geht zielstrebig auf den kleinen Jungen zu und tritt immer auf die Kiste ein, bis sie zu einem kleinen Plastikhaufen zusammen - fällt. Danach guckt er ihn an, redet im normalen Ton weiter und verlässt den Raum.

Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich es unglaublich interessant, wie er trotz seinen vernichtenden Tritten die selbe Tonlage am Telefon behalten konnte, wie er danach und zuvor sprach. Auch, verwunderlich für mich, ist, wie die Zuhörer all die Jahre nichts gemerkt haben.

Noch heute falle ich in tiefe Löcher, wenn ich nach Hause komme und unsere Wohnung betrete. Die Atmosphäre ist azwar besser geworden, doch das Band ist eingerissen, was es hätte niemals machen dürfen. Ich sprach in einer anderen Geschichte (Ich habe sie im übrigen auch Madame Zola gegeben, Sie hatte sich ja sehr über meine Arbeiten gefreut) davon, dass man mir Schläge angedroht hatte. Darf ich Ihnen diese Situation nacherzählen? Meine Mutter, Oma, mein Opa, Vater und meine Wenigkeit, sitzen am Frühstückstisch (Es ist der 3. Advent) und mein Vater spricht davon, wie es in Ordnung wäre, dass die Juden wieder weggesperrt, Ausländer hier nichts zu suchen haben und Deutschland noch im Kriege steckt.

Ich bin ein Mensch, der für die Gerechtigkeit sterben würde. Das sage ich nicht nur so dahin, es ist mir vollkommen gleichgültig. (Mag sein, dass mich diese Einstellung erst erreicht hat, als ich meine ‚Krankheit' ‚bekommen' habe) Ich wage es nicht, mich mit Hannah Arendt zu vergleichen, oder mit Menschen, die für die Gerechtigkeit gestorben sind. Nur, ich hoffe Sie verstehen, worauf ich hinaus möchte.

Auch will ich in keinsten Maße irgendein Mitleid bekommen meines ungewollten Lebens, durchaus. Nochmal an dieser Stelle gesagt, bitte.

Jedenfalls sitzen wir am Tisch und ich schreite ein, weil ich mir das nicht anhören kann. Dieser nationalsozialistische Stolz und diese widerwärtige Anfälligkeit der menschlichen Spezies. (Durchaus glaube ich immernoch an das Gute im Menschen, aber dazu später mehr) und wir diskutieren. Die Argumente meines Vaters enden und er hebt seine Stimme, kann sich natürlich ‚nicht beherrschen'. (Sie müssen wissen, ich glaube nicht an die Beherrschung. Man kann sich immer zusammen-reißen, vorallem in solchen Situationen) Er wird laut, bringt mich zum weinen, aber ich stehe mit meinem Wort und rede weiter. Meine Mutter und meine Oma greifen ein, als er mir androht Schläge zu bekommen. Es war das erste Mal in meinem Leben, wo ich bewusst gemerkt habe, dass die Gewalt bei mangelnden Argumenten herausbricht.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt, eine Grundlage, auf die ich meine weitere Argumentation (nur für das Verständnis) aufbauen möchte. Ich bin der Meinung, dass mein weibliches Verhalten damit zusammenhängt, dass ich eher introvertiert bin. Im Buch „Härte" von Jürgen Lemke wird darüber berichtet, dass der misshandelte Junge (ohne mich mit ihm zu vergleichen) eher Gewalt anwendet, damit er seinem Schicksal entgeht. Da ich allerdings die ‚Hoffnung' auf eine gerechte Behandlung schon früh aufgegeben habe, habe ich mich für den „netten" Weg entschieden. Ich lese also Bücher (Poesie und Romane), höre Klassische Musik (Tschaikowski und Mussorgsky sind meine Lieblinge) und trage vollkommen andere Sachen. Ich zeichne gerne um mich auszudrücken, interessiere mich für Geschichte und die Mode. Ich schäme mich nicht dafür, warum sollte ich? Ich kann nicht verstehen, warum ein Junge wegen seinen Äußerlichkeiten / Interessen beurteilt wird, (beispielsweise zwischen Homo- und Heterosexuell, als ob das etwas am Menschen verändert)

Ich sehe diesen Text auch nicht als Rechtfertigung meiner Heterosexualität, das hätte ich nicht nötig und wäre mir auch vollkommen Gleichgültig. Ich rechtfertike mich lediglich meiner Identität, weche meine verletzte Heterosexualität mit einschließt.

Meine Art spielt, meiner Meinung nach, das selbe wieder. Ich meine, dass das Leben unfair ist, kein Mensch kann entscheiden als was er wo, wie und unter welchen Umständen geboren wird. Allerdings kann man selber, der Mensch als Individuum, dafür sorgen, dass er das Leben für andere fairer machen kann. Mein Leben war kein schönes Leben und es mag sein, dass es immer noch nicht so ist. Aber dennoch versuche ich, dass das Leben von anderen (sei es Ihr Leben, das Leben von X und Y) fairer und netter zu gestalten, auch wenn es heißt, dass ich mich selber dafür Opfern muss. Verstehen Sie mich nicht falsch, wenn Sie das lesen. Ich will kein Mitleid, mich als Märtyrer aufstellen oder sonst der gleichen - um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich kann mir auch denken, dass mich diese Einstellung in meiner Therapie verlassen wird und ich womöglich ein vollkommen neuer/anderer Mensch werde, aber meine letzten Tage möchte ich selbstlos leben, wie ich es immer getan habe. Selbstlos und der aufopfernde Mensch, wie ich mich zu beschreiben mag.

Ich finde es interessant, wie es Menschen gelingt, ‚andere' Individuen aus der Gesellschaft zu stoßen, nur weil sie (eben) anders sind. Mir ist bewusst, dass dies ganz normal für Kinder im Kindergarten und Grundschüler ist, allerdings nicht für ‚Jugendliche' in der erweiterten Schule. Ich bin ein netter Mensch, und komme mit meiner Moral und meinen Taten größten - Teils zurecht, darauf kann ich stolz sein. Stolz darauf, anders zu sein und ein anderes (männliches ;) ) Individuum zu sein, ohne meine sexuelle Richtung zu ändern.
An anderen Tagen wiederum, gehen mir solche Wörter ziemlich nahe und ich möchte am liebsten ins Licht treten, aber aufzugeben wäre feiger.
Ein Junge muss kein Arschloch sein, nicht einen auf Macho - tun und sich als besten der Welt darstellen um als vollwertig zu gelten.

Ich bin auch ziemlich zwiegespalten über meine Worte die ich hier verfasse, wahrlich würde ich anders reagieren auf offener Straße. Es betrübt mich, dennoch hoffe ich, dass ich andere Menschen mit meiner Botschaft überzeugen kann.

Es mag sein, dass mein Verhalten, meine Interessen und meine Art durch viele zufällige Faktoren zusammen gekommen sind, es mag mein Glück sein oder mein Ende, entschieden habe ich mich dafür nicht.
In meinem Leben hätte ich aber mit Sicherheit eine Vaterfigur gebraucht, um männlicher zu werden, ich hätte einen Vater gebraucht. Aber nicht jeder kann dieses Glück erhalten und umso froher bin ich, dass das Schicksal auf mich kam (ohne damit in irgendeiner Hinsicht ‚anzugeben') als auf einen anderen Menschen, der es bei Weitem nicht verdient hätte.

Verstehen Sie diesen Text nicht falsch und hören Sie niemals auf, sich um Ihre Schüler zu kümmern. Das machen nicht viele Lehrer, es wäre traurig, wenn eine weitere Lehrerin (wegen mir) verloren geht.

Und seien sie sich bewusst, dass das Leben vergänglich ist. Seien sie sich bewusst, dass Sie alleine das Leben verändern können, das Leben von Ihnen und das Leben von vielen anderen. Sie müssen sich nur entscheiden, wie Sie das anstellen.

Mit bestem Gruß,

Briefe eines AnderenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt