Rheingold - Anthologie VI

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I, Venus

"Was wollen Sie denn jetzt damit? Haben wir eine Fliegenplage, von der ich nichts mitbekommen hab?" Misstrauisch beobachtete Silke ihren Chef, der gerade im Büro eingetrudelt war und das nicht allein. In den Händen hielt er eine Venus Fliegenfalle. Keine kleine, nein, wohl die größte, die der Gärtner hergegeben hatte. Sie wollte gar nicht wissen, was das wieder gekostet hatte.

"Die ist für die gefaulten Leichen", erklärte Boerne und marschierte in den Obduktionssaal.

Silke folgte, blieb dann an der Tür stehen und lehnte sich gegen den Rahmen. "Die gärtnern seit neustem? Komisch, sonst rühren die sich kaum. Oder ist denen ein grüner Daumen gefault?"

Boerne verdrehte die Augen. "Alberich", begann er mit wohl aller Geduld, die er an einem Freitagmorgen aufbringen konnte, "dieses Prachtexemplar einer Dionaea Muscipula wird uns unseren Arbeitsalltag erleichtern! Endlich keine Fliegen bei den Gefaulten mehr, der Gestank ist doch schon schlimm genug, sagen Sie selbst. Und die an der Charité haben sowas auch!"

"Na, dann kann es ja nur gut sein", murmelte sie leicht verdrießlich. "Sie meinen wirklich, die kleinen Fliegen schwirren freiwillig in Ihren grünen Freund da?"

Die Pflanze hatte mittlerweile einen Platz auf dem Metallregal gefunden, das in der Ecke stand. Boerne sah irritiert zu ihr auf. "Ja natürlich, warum denn nicht?"

"Chef, das ist vielleicht was für Fliegen, die sich in Ihrer Wohnung verirrt haben, aber das bringt hier doch nichts. So eine Fliege bewegt sich sicher nicht zu Ihrer Falle, wenn sie so einen schönen faulenden Körper vor sich hat. Stellen Sie sich vor, Sie wären durstig und ich stell Ihnen eine Flasche Wein direkt vor Ihre Nase und ein Glas aufs Regal da hinten. Was nehmen Sie dann? Sie müssten Ihr Monstrum wenn dann direkt auf den Obduktionstisch stellen, aber das geht nicht gut aus und das wissen wir beide."

Dafür erntete sie einen finsteren Blick.

"Außerdem haben wir dann immernoch die Maden."

***

II, Filme und Betrachter

"Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal im Kino?"

Alberich sah irritiert von der Leber auf, die sie gerade sezierte. "Bestimmt schon Jahre her, wieso?"

"Ich hab gestern im Fernsehen-"

"Sie schauen Fernsehen?"

"Tagesschau."

"Ach was."

Boerne verdrehte die Augen. "Was ich sagen wollte, ich hab gestern den Trailer von so 'nem neuen deutsche Film gesehen. Dann musst ich dran denken."

Alberich nickte. "Und jetzt wollen Sie da hin, ins Kino?"

"Gott bewahre, nein." Schnell wandte er sich wieder dem Gehirn vor sich zu.

"Worum gings denn?" wollte Alberich später wissen, als er schon gar nicht mehr wusste, wovon sie sprach. Mit einer hochgezogenen Braue sah er sie an. "In dem Trailer."

"Ach so. Über Frauen."

"Frauen?"

"In ihrer Midlife-Crisis."

Alberich grinste schief. "Wollen Sie mir was sagen, Chef?"

Defensiv hob er die Hände. "Nein, Sie sind da ja lange raus. Oder waren nie drin, was weiß ich."

"Na, wenn's einer wüsste, dann Sie. Mit wem verbring ich denn die meiste Zeit?" schmunzelte Alberich. "Ich glaub den Trailer hab ich letztens auch gesehen."

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⏰ Last updated: Sep 14, 2021 ⏰

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