Kapitel 3

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Nach der Schule schlenderte ich langsam nach Hause. Gedankenverloren kickte ich eine rostige alte Dose vor mir her. Lucas spukte in meinem Kopf und dominierte das Thema meines stummen Selbstgesprächs. 

Lucas... Er ist weder besonders mitteilsam, noch besonders nett zu mir. Und dabei habe ich in der Pause genau beobachtet, wie er charmant auf Jenny Jenkins kokettes Wimperngeklimper eingestiegen ist. Auch die Jungs aus der Clique haben sich gut mit ihm verstanden. Nur bei mir bleibt er distanziert und unverschämt? 

Habe ich ihm etwas getan? Nein! Also wenn hier jemand etwas falsch gemacht hat, dann ja wohl er! Diese Aktion in Mathe ging ja mal gar nicht! 

Ich schnaubte wütend und machte meinem Zorn Luft, indem ich weit ausholte und kräftig gegen die Dose trat. Blöderweise hatte ich mich mit dem Schwung verkalkuliert und verlor das Gleichgewicht. Wild mit den Armen rudernd fiel ich nach hinten, kniff die Augen zusammen, kam dem Boden immer näher... 

Doch der erwartete Aufprall kam nicht. Stattdessen spürte ich einen kräftigen Stoß zwischen den Schulterblättern, sodass ich nun fast vornüber gekippt wäre. Mit merkwürdigen Verrenkungen vor mich hin stolpernd fand ich endlich das Gleichgewicht wieder und drehte mich perplex zu dem Spaßvogel um, der sich vor lachen über meine Bewegungen zusammengekrümmt hatte.

Bedrohlich (zumindest hoffte ich das) baute ich mich vor dem Typen auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Hör sofort auf zu lachen, du Arsch!", keifte ich ihn an. Er ignorierte mich, richtete sich glucksend auf und grinste mich frech an. "Die B-Note stimmt!", sagte er trocken, doch aus seinen Augen blitzte der Schalk. Völlig fasziniert schaute ich in diese meerblauen Tiefen und verlor mich darin.

Doch nur für einen winzigen Augenblick. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und taxierten Lucas. Allerdings traute ich mich nicht mehr ihn direkt anzusehen, also schaute ich stur links an seinem Kopf vorbei und giftete gleich wieder los: "Was fällt dir eigentlich ein? Ich hätte fast den Asphalt geküsst.".

Er sah mich nur an und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. Keinerlei Anstalten für eine Entschuldigung! Natürlich nicht, was hatte ich den erwartet? Ich schalt mich selbst für meine Blauäugigkeit. In meinem Kopf entstand im Bruchteil einer Sekunde ein Plan und ich konzentrierte mich zufrieden wieder auf meinen Gegenüber. Ein zuckersüßes Lächeln glitt über meine Lippen, ich legte den Kopf schrägt und blinzelte durch meine langen Wimpern zu ihm auf. Während ich den Mund öffnete um Lucas die nächste Breitseite zu geben, bückte dieser sich und legte mir den verdammten Schal, der sich schon wieder selbstständig gemacht hatte, um den Hals. Mit der anderen Hand drückte er mein Kinn nach oben und schloss so meinen Mund wieder. Verdammt, ich hatte bestimmt total bescheuert ausgesehen! Amüsiert betrachtete er mich und ließ sich tatsächlich zu einer Bemerkung herab: " Wie subtil. Das nächste Mal solltest du etwas einfallsreicher sein, Prinzessin.".

Wütend wischte ich seinen Arm beiseite, drehte mich schwungvoll um, sodass meine Haare dramatisch hinter mir herwehten und rauschte davon. Immerhin war mir der Abgang gelungen. Ich spürten Lucas' Blick in meinem Rücken, aber ich drehte mich nicht um. Das würde nur die Wirkung verderben. Selbstzufrieden ging ich die letzten Meter, allerdings sank meine Laune mit jedem Stückchen, das mich unserer Haustür näher brachte.

Lustlos kramte ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Vielleicht hatte ich ja Glück und ich war die Erste. In der Küche war niemand als ich im Kühlschrank nach einem Joghurt suchte. Auch einen Blick ins Wohnzimmer riskierte ich, bevor ich mich in mein Zimmer verzog. Meine Mutter saß auf dem Sofa und las in einer dieser nichtssagenden Zeitschriften für gelangweilte Hausfrauen. Allerdings hatte sie mich nicht bemerkt, sodass ich mich in meinem kleinen Domizil verschanzen konnte. Und das war bitter nötig, denn wenn mein Vater nach Hause käme würde es erfahrungsgemäß nicht lange dauern bis die Fetzen fliegen. Manchmal wünschte ich mir beinah meine Eltern würden sich einfach scheiden lassen, dann wäre endlich Ruhe. Doch für diese Gedanken hasste ich mich fast so sehr, wie ich meine Eltern für all die schlaflosen Nächte und das Drama hasste.

Die Zeit bis mein Vater kam nutzte ich um mit Julia die Geschehnisse des Tages nochmal revue passieren zu lassen. "Stell dir vor, dann hat er sogar die Frechheit besessen und mein Kinn hochgedruckt! Wie kann er es wagen mich zu berühren! So ein unverschämter..." wütete ich vor mich hin, wurde aber vom Lachkrampf meiner besten Freundin unterbrochen.

"Oh A, was stellt dieser Typ nur mit dir an. Ich weiß ja, dass du impulsiv bist, aber dieser Lucas bringt dich ja richtig auf die Palme! Fast könnte man meinen du magst ihn", kicherte sie. "Ich glaube du spinnst! Diesen aufgeblasenen Hornochsen? Niemals!". Ich war schon ein bisschen eingeschnappt, dass Julia mich so aufzog! "Entspannt dich, Süße. Immerhin bist du nicht hingefallen und deinen Schal hast du auch nicht verloren, das musst du ihm schon zugestehen." Ich seufzte ergeben: " Ja, irgendwie hast du schon Recht... Aber das werde ich ihm bestimmt nicht sagen, der ist schon eingebildet genug!". Über das Gelächter am anderen Ende der Leitung hörte ich wie die Haustür ins Schloss fiel und mein Vater seine Aktentasche in die Ecke neben der Garderobe pfefferte. Ohje, das klang nach Ärger...

Schnell verabschiedete ich mich von Julia und stahl mich ins Bad. Vielleicht würde ich es ja heute zeitig ins Bett schaffen, schon wieder verschlafen war keine Option!

Als ich mich gerade in meine Decke kuschelte, zersprang in der Küche der erste Teller. Mein Schlaflied war das Geschrei meiner Eltern. Ich zog mir ein Kissen über den Kopf und glitt endlich nach einer Ewigkeit der Anschuldigungen und schlagenden Türen in einen tiefen, meerblauen Traum.

The Sound of SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt