„Der einzige Sinn meines Lebens ist zu funktionieren. Oder viel mehr, die einzige Aufgabe."
~Nila
Wie mein Leben überhaupt noch funktionierte, fand ich fraglich. Wie ich funktionierte. Denn ich war nichts anderes als eine Maschine für meine Familie. Eine Maschine ohne Gefühle. Die immer Energie haben sollte. Alles tun konnte.
Ich hatte die Autofahrt nach Hause gerade noch überlebt. Zuerst hatten sich meine zwölfjährige Schwester und meine Mutter sich wegen Lillis Handy gestritten, dann hatte Tyron auch noch gekotzt. Das ganze Auto hatte gestunken. Die Laune meiner Eltern war deswegen nicht die Beste gewesen, meine ebenso wenig.
Mir hatten sie nämlich Youma aufgebrummt. Schlafanzug anziehen, Zähneputzen und Gutenachtgeschichte. Youma hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Zahnbürste gewehrt. Dabei hatte sie mir, wahrscheinlich unabsichtlicher Weise, einen fetten blauen Fleck verpasst.
Vielleicht war es aber auch Absicht gewesen. Absicht, um mir zu sagen, dass ich nicht alles tun sollte. Erstaunlicherweise hatte sie sich nämlich erst bereit dazu erklärt, als sie die Zahnbürste nehmen durfte. Sie die Kontrolle hatte. Vielleicht nur über eine kleine Sache, aber immerhin.
Der mittlerweile aufgewärmte Kühlakku thronte ganz oben auf einem riesigen Stapel mit Zeug, welcher verdächtig schwankte, sobald man ihm zunahe kam. Der ganze Haufen bestand aus Büchern, Arbeitsblättern und solchen Sachen. Dieser fette Stapel hatte nichts anderes zu tun, als mir etwas Platz meines Schreibtisches zu rauben. Ein kleines Stückchen Platz von meinem, doch so riesigen Schreibtisch, welcher mitten am Fenster stand und mir einen wunderschönen Blick auf den Waldrand gewährte.
Oder einen traurigen. Wie man es nahm.
Ich tigerte in meinem Zimmer herum und grübelte vor mich hin. Einfach so. Wie ich es immer tat. Es gab nichts bestimmtes über das ich nachdachte.
Oder vielleicht doch. Die Unmöglichkeit in vielen Dingen. Wie das Leben funktionierte. Lieben und geliebt zu werden. Das war mein heutiges Thema. Ein schwierige Sache. Ich verstand die Welt nicht. Wie funktionierte das. Wie konnte man jemanden lieben der dich dann auch liebte?
Es gibt ca. 7 Milliarden Menschen auf der Welt. Wie können sich zwei da so einfach finden? Wie ein Sandkorn ein anderes. Wie funktionierte das? Mathematisch gesehen war die Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden. Einfach nicht da. Wie klappte das? Eine entscheidende Unmöglichkeit. Die das Leben nur noch schwerer machte. Zumindest für mich.
Vielleicht gab es sowas wie eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Also das man sich in ungefähr jede 1000 Person verlieben kann. Aber ob das dann die wahre Liebe ist? Das würde mir ein Rätsel bleiben. Vielleicht für immer.
Dieser Gedanke zog mich runter. Es war nicht schön allein zu sein. Wo doch immer Menschen um dich rum waren. Jeden Tag zogen sie an dir vorbei. Hunderte, vielleicht sogar tausende. Und trotzdem gehörte man nicht dazu. Als wären sie nur eine Illusion. Nur künstlich. Nie wirklich da.
Als würden da keine Herzen in ihrem Brustkorb schlagen. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Hatte ein eigenes Leben. Eigentlich machte es keinen Sinn. Jemanden, den man noch nicht kannte, nannte man einen Fremdem. Und dann lernt man ihn kennen, freundet sich an, verliebt sich sogar und plötzlich ist er ein großer Bestandteil deines Lebens. Ein wichtiger Bestandteil, unersetzbar.
Und vorher war dieser Mensch noch nicht da, sein Leben hatte dich nicht interessiert. Das war das Privatleben eines anderen gewesen. Es hatte dich nicht zu interessieren. Zumindest den Vorstellungen der Menschen nach. Den ganzen Vorstellungen, die eine vermeintlich perfekte Welt ausmachten.
Lieben und geliebt zu werden. Unvorstellbar, zumindest für mich. Ich hatte niemanden, der das tat. Mich liebte. Oder zumindest niemanden, der mir das klar machte. Niemanden, der mich aufheiterte, den ich mal schnell anrufen könnte.
Freunde hatte ich schon. Aber halt nur in der Schule. Die einzige, der ich wirklich vertraute, war Celine. Sie war diejenige, die mir noch irgendwo Halt gab. Doch durch die anderen Menschen in meinem Leben, lag ich auf dem Gleis, wo jedem Moment der Zug kommen könnte. Und ich konnte nicht einfach aufstehen und abhauen. Ich war festgekettet.
So könnte man mein Leben bildlich darstellen. Ein festgekettetes Mädchen auf einem Gleis. Welches jeden Moment Angst haben musste, dass ein Zug sie einfach überfuhr. Und somit ihr Leben zerstörte. Alles wegwischte. Ausradierte. Und zurück blieben nur die hässlichen kleinen Radierkrümel. Die man mit einer Hand vom Papier wischte. Irgendwohin. Ins Nirgendwo.
Der Zug würde ihr schon in die Brüche geratenes Leben mit irgendeinem Schicksalsschlag zerstören. Selbst wenn er sie nur anfahren würde und noch rechtzeitig bremsen könnte, würde es Spuren hinterlassen. Narben, die man nicht mehr entfernen könnte. Nicht verstecken. Sie würden ihren Körper zieren.
Sie hässlich machen. Und das nicht, weil sie vielleicht nicht so schön anzusehen wären, nein. Weil man ihre Wunden sehen könnte. Ihre inneren Wunden. Wie verletzt sie war. Was sie alles schon durchgemacht hatte. Und sie würden Mitleid haben. Sich äußerlich um sie kümmern.
Doch im Inneren wäre sie ihnen egal. Die nichtvorhanden Herzen hätten kein Mitleid. Sie täten es nur aus Höflichkeit. Weil sie es müssten. Verpflichtet wären. Und Pflichten musste man nachkommen. Sie erledigen. Egal ob man sie mochte oder nicht. Egal ob man etwas liebte oder hasste, man musste sich trotzdem drum kümmern.
Weil es richtig wäre. Und Menschen nichts falsch machen dürfen. Jeder Fehler ist ein Rückschlag. Man macht sie, um angeblich draus zu lernen. Was man dann doch nicht tut. Währenddessen versucht man perfekt zu sein. So wie es sich gehört. Weil man ja gleich sein müsste. Wie die anderen. Wie die, die schon alles richtig machen. Die angeblich aus ihren Fehlern gelernt haben. Und doch wiederum nicht.
Wenn dieser Zug kommen würde, wäre ich weg. Fort von hier. Irgendwohin. Einfach ins Nirgendwo. Ich würde mein Leben abseits von jeglich menschlicher Zivilisation weiterführen. Sie würden mir nicht helfen. Sie würden alles nur noch schlimmer machen. Und es nicht einmal bemerken. Weil sie es nicht könnten.
Vielleicht würde ich im tiefen Wald leben. In einer Hütte. Nahe eines plätscherndes Baches. Eine bildliche Darstellung des Lebens. Oder in einem Iglu im hohen Norden. Wo es kalt wäre. Wie die Herzen von Menschen. Und eins würde ich sein: alleine.
Ohne irgendjemanden.
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Origamivögel
Fiksi Remaja"Wir Menschen sind wie ein Vogelschwarm. Wir fliegen nur falsch, um uns gegenseitig allen Windschatten zu geben, ohne einander können wir nicht fliegen. In unserem Schwarm musste ich vorne fliegen, ohne das mich jemand ablöste. Deswegen bin ich abge...