Kapitel 3

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Sonne, der durch einen Spalt zwischen den schweren Vorhängen in den Raum drang und sich mutig durch die Dunkelheit bis an ihr Bett wagte. Als ahnte sie, dass er dort war und sich gemütlich streckte, bis er sie an der Nase kitzeln konnte, schlug sie die Augen auf und gähnte. Sie war noch nie eine Langschläferin gewesen. Die Welt hinter den Vorhängen war zu groß, um all die Wunder zu verschlafen, die der neue Tag bereithielt.

In Windeseile hatte sie sich aufgesetzt und war in die kleinen Lederschuhe geschlüpft, die vor ihrem Bett standen. Danach legte sie ihr Kleid an – das hübsche sonnengelbe Sonntagskleid mit den kleinen Vögeln darauf. Als sie fertig war, vergewisserte sie sich mit einem Blick, dass alles so war wie immer. Die drei Betten gegenüber von ihrem lagen friedlich in der Dunkelheit. Nichts regte sich. Auch in dem Bett direkt neben ihrem herrschte Stille.

Mit einem zufriedenen Nicken huschte sie aus der Tür. Sie war noch nie wie ihre Geschwister gewesen. Sie war anders. Doch das musste nicht immer schlecht sein. Flink schlich sie durchs Haus, quer über den Gang und hin zu der Tür, hinter der sich die Treppe zum Dachboden verbarg. Sie wusste genau, wie sie sie öffnen musste und welche Stufen sie auf der alten, halb morschen Holztreppe nicht betreten durfte.

In ihrem eigenen, vertrauten Rhythmus legte sie den ganzen Weg auf den Dachboden vollkommen unbemerkt zurück. Ihr kleines Reich erstreckte sich mitten in einem Haufen von altem Gerümpel, zwischen Truhen und Schachteln – einem alten Sekretär, der so klapprig wirkte, dass sie sich jedes Mal fragte, wie lange er noch auf seinen dürren Holzbeinchen stehen würde – und allem anderen, das ihre Familie über Generationen hier oben angesammelt hatte. Genau hier, an diesem Ort, in der Erkernische des Stadthauses hatte sie sich ihr eigenes Reich eingerichtet. Einen Ort, den sie ganz für sich allein hatte, verborgen vor den Augen ihrer Geschwister. Sie war sich sicher, keiner von ihnen würde den Dachboden jemals betreten.

Zufrieden kroch sie hinter die alte Truhe, die quer vor der Nische stand und ihr Reich vor neugierigen Blicken schützte. Dann war sie angekommen.

Die Nische sah genauso aus wie sie sie verlassen hatte. Der alte Teppich, den sie irgendwann hier oben entdeckt hatte, lag ausgebreitet auf dem Boden und in einer Ecke der Nische, links neben dem runden Fenster, stand noch immer ihr kleines Holzkästchen. Eilig machte sie es sich dort bequem. Der schönste Teil des ganzen Tages war gerade dabei, sich vor ihr zu entfalten. Gespannt presste sie ihre Nase gegen das kalte Fensterglas. Die schlafende Stadt ruhte unter ihr, goldglühend im Licht der aufgehenden Sonne. Ihr Blick glitt über die alten Ziegeldächer, die die Stadt von oben wie einen Flickenteppich unzähliger Farben aussehen ließen, hinaus in die weite Ferne.

Wenn ich groß bin, dachte sie, Werde ich von hier fortgehen und mit eigenen Augen sehen, was hinter diesen Dächern liegt. Ob es wirklich ein Meer gibt, Wasser soweit das Auge reicht, bis zum Horizont, ohne ein Ende zu sehen oder einen Wald, so groß und dunkel, dass man darin jahrelang herumirren kann, ohne an den Rand zu gelangen.

Mit offenen Augen verlor sie sich in Tagträumereien, dort, am Fenster der kleinen Nische in dem großen Stadthaus, das sie Zeit ihres Lebens noch nie verlassen hatte.

Erst der Glockenschlag, der aus einiger Ferne an ihre Ohren drang, holte sie zurück in die Wirklichkeit. Sie zählte. Als sie bei sieben angelangt war, raffte sie ihre Röcke und verließ den Dachboden – natürlich nicht, ohne sich vergewissert zu haben, dass man von außen die Nische nicht entdecken konnte.

Als sie wenige Minuten später unten in der Küche ankam, war ihre Mutter bereits auf den Beinen und kochte den Haferbrei fürs Frühstück.

„Guten Morgen, mein Schatz", begrüßte sie sie und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Hast du gut geschlafen?"

Sie nickte und ihre Mutter lächelte. „Willst du mir vielleicht ein bisschen zur Hand gehen, bis die anderen wach sind?"

Die HexenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt