6. Kapitel

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Eine schwarze Katze. Sie lief ohne Jasper und Cathy auf der Bank eines Blickes zu würdigen auf lautlosen Pfoten an ihnen vorbei. Jasper musste kichern. War Cathy etwa abergläubisch? Doch als er wieder ihren Augen begegnete, fiel ihm erschrocken auf, dass sie wirklich entsetzt war und wurde sofort wieder ernst."Was ist los?" Sie antwortete nicht, sondern atmete stattdessen mit einem hörbaren Geräusch ein. Ihr Blick waren nun wieder in die Ferne gerichtet und Jasper befürchtete schon, sie würde erneut zusammen brechen, als sie abrupt zwischen ihren Zähnen hervorstieß:" Ich kann mich erinnern." Ohne ihre Augen ihm zuzuwenden starrte sie weiter vor sich hin, während sie krampfhaft ihre Hände knetete, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten."An was kannst du dich erinnern?" Er war sich nicht sicher, ob sie es ihm erzählen würde, da sie bis jetzt nur knapp und möglichst einsilbig geantwortet hatte, aber er versuchte es dennoch und zu seinem Erstaunen, antwortete sie nach schon nach wenigen Sekunden."An gestern Abend." Jasper stockte der Atem, konnte sie sich womöglich an ihn erinnern? Vermutete sie, was er getan hatte? Nein, das konnte nicht sein. Es war schon sehr unwahrscheinlich, dass sie ihn entdeckt hatte, da er sie bei diesem Getümmel oft selbst aus dem Auge verloren hatte und zudem immer darauf geachtet hatte nicht zu nah an sie heranzukommen. Aber warum konnte sie sich davor nicht an gestern erinnern? Haben seine Auftraggeber ihr ein Mittel verabreicht? Was war am Abend zuvor passiert, nachdem er sie ausgeliefert hatte? Tausend Fragen schwirrten in seinem Kopf und alle Versuche die Gedanken zu unterdrücken scheiterten. Also blickte er wieder zu Cathy, die sich mittlerweile ein wenig zu beruhigen begann, denn sie lehnte nun mit ihren zarten Schulterblättern an der durch die Nässe verfärbten Rücklehne." Und was ist gestern Abend passiert?" hakte Jasper nach. Anstatt einer Antwort sagte sie schlicht und mit vom Weinen heiseren Stimme:" Wir sollten weiter gehen." Mit diesen Worten erhob sie sich schwankend, blieb jedoch sicher stehen. Jasper gab auf, sie mit weiteren Fragen zu löchern, da er wusste, dass sie sowieso nicht reagieren würde. Also hievte er sich ebenfalls hoch, half ihr dieses Mal aber nicht, da sie den Anschein machte, als könnte sie sich eine Weile ohne zusammen zu brechen auf den Beinen halten. Außerdem fiel es ihm selbst schwer, sich aufrecht zu halten. Immer wieder verschwamm seine Umwelt vor seinen Augen und kurze Schwindelanfällen durchzuckten seinen Kopf. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte er endlich das Wohnhaus ausmachen, das er heute Morgen noch völlig entspannt und ohne böse Vorahnungen verlassen hatte. Mit einer Handbewegung deutete er auf das Gebäude und zeigte Cathy somit ihr Ziel. Auch sie war wieder am Ende ihrer Kräfte, vermutete Jasper aufgrund ihres rasselnden Atems und ihrer vor Anstrengung roten Backen. Erleichtert stieß sie einen Seufzer zwischen ihren Lippen hervor und legte auf den letzten Metern noch einen Schritt zu. Jasper hatte große Schwierigkeiten ihr auf gleicher Höhe zu folgen und gab es schließlich ganz auf. Außer Atem traf er wenige Sekunden nach ihr an der Eingangstür ein und begann seine Taschen nach dem Schlüssel abzutasten. Als nach der vorletzten Tasche immer noch kein Schlüssel in Sicht war, stieg Panik in ihm auf und auch Cathy starrte ihn entsetzt an. Doch als er in seine linke Jackentasche griff, fühlte er das kalte Eisen zwischen seinen Fingerspitzen und seiner angestrengten Mine wich ein triumphierendes Lächeln. Geschickt zog er den Bund heraus und schloss die Tür auf. Schwungvoll öffnete er sie und ließ Cathy eintreten. Schüchtern und zugleich neugierig setzte sie vorsichtig ihren Fuß über die Schwelle. Als Jasper die Tür ins Schloss fallen ließ und die sich daran machte, die Treppe empor zu steigen, folgte sie ihm zögerlich und hinterließ dabei bei jedem Schritt einen braungrauen Fußabdruck auf den weißen Fliesen des Treppenhauses. Jasper verkniff sich ein Grinsen, denn er wollte sie nicht unnötig aus der Fassung bringen und beschloss daher sie nicht auf ihre Fährte aufmerksam zu machen. Er war nun schon im dritten Stock angelangt, zog erneut seinen Schlüssel hervor und öffnete, ohne einen Blick hinter sich zu werfen, die Tür. Er warf den Schlüsselbund lässig in die dafür vorgesehene Porzellanschüssel und hing seine Jacke an die Haken, die hinter der Tür befestigt worden waren. Als er wieder hinter der Tür hervor lugte, bemerkte er, dass Cathy zögernd im Türrahmen stehen geblieben war. Er zog eine Augenbraue hoch und war zuerst verunsichert, da er dachte, dass es an ihm lag. Doch als er ihre Augen sah atmete er erleichtert aus und lehnte sich einen Ellenbogen auf die Klinke gestützt an die offenstehende Wohnungstür. Ihre Mine war wie ein Buch, aus dem man ihre Gedanken lesen konnte. Manchmal war die Schrift zwar klein und man musste etwas genauer hinsehen, aber sie war immer entzifferbar, das wusste Jasper mit Sicherheit, obwohl er sie noch nicht einmal mehr einen Tag kannte. Sie blickte ihn immer noch fragend an und er konnte die Unsicherheit nicht nur in ihren Augen, sondern von jedem einzelnen Muskel ablesen, der sich in den letzten Sekunden, entweder angespannt oder gelöst hat. Mit einem Grinsen im Gesicht antwortete er auf ihre nicht gestellte Frage:"Komm nur herein." Immer noch verunsichert zogen sich dennoch ihre Mundwinkel ein wenig nach oben und sie trat ein. Jasper schloss hinter ihr die Tür und drehte sich dann zu ihr um. Er sah wie sie verlegen auf ihre Füße starrte und als er ihrem Blick folgte musste er lachen. Dort befanden sich immer noch die vom Schmutz nicht mehr als weiß erkennbaren Socken. Er hatte bestimmt nicht dieselbe Schuhgröße wie sie, aber in diesem Fall würde sie wohl eine Ausnahme machen müssen, denn in diesem Zustand konnte sie unmöglich bleiben. Wenn sie die nassen Socken noch länger tragen würde, würde sie sich wahrscheinlich erkälten und da sie auch sonst nicht warm angezogen war, beschloss er ihr auch die restliche Kleidung zu bringen. Immer noch kichernd verließ er die Diele und machte sich auf den Weg in sein Schlafzimmer. Dort fand er nach langem Suchen endlich ein Outfit, das zugleich warm genug war, aber Cathy auch ansatzweise passen würde. Als er einige Minuten später zurück kam, stand sie immer noch an genau derselben Stelle, lediglich ihr Blick schweifte an den kahlen Wänden umher auf der Suche nach Bildern oder Gemälden. Sobald Jasper jedoch in ihr Sichtfeld geriet, hielt sie ihre Augen wieder starr auf ihn gerichtet. Wortlos überreichte er ihr seine sorgsam ausgewählten Kleidungsstücke und wollte sich gerade zum Gehen wenden, da er keine Antwort erwartet hatte, als sie mit brüchiger Stimme fragte:"Könnte ich vielleicht ins Bad?" Verwundert über ihre plötzliche Kommunikation, schaute er sie im ersten Moment verblüfft an, bevor er antwortete:"Klar...Ich zeig dir, wo es ist." Er wand sich zum Gehen ohne sich nochmal nach ihr um zu sehen, ob sie ihm folgte. Als er am Badezimmer angekommen war, öffnete er Cathy schwungvoll die Tür und ließ sie eintreten. Sie legte ihren Kleidungsstapel auf den kleinen Holzhocker neben der Dusche, drehte sich jedoch noch einmal zu Jasper um."Danke.", flüsterte sie mit heiserer Stimme. Jasper schaute sie mitfühlend an und wand sich wieder in die entgegengesetzte Richtung. Hinter seinem Rücken hörte er noch, wie Cathy die Badezimmertür schloss und mit einem leisen Klicken zusperrte. Müde trottete er in die Küche. Er hatte Hunger, beschloss aber mit dem Essen auf Cathy zu warten, da er vermutete, dass sie ebenfalls längere Zeit nichts mehr zu sich genommen hatte. Er konnte zwar nicht viel mehr als Tiefkühlpizza anbieten, aber da musste ihr nun einfach genügen. Jasper zog einen der Küchenstühle zu sich heran und ließ sich kraftlos darauf nieder. Da er seit heute Morgen auch nicht mehr getrunken hatte, war sein Mund nun, wie ausgetrocknet. Weil er sich jedoch zu müde fühlte, um sich von seinem Stuhl zu erheben, entschied er sich, damit auch zu warten bis Cathy aus dem Bad kommen würde. Also blieb er sitzen und versuchte sich ein wenig auszuruhen, doch die Geschehnisse der letzten Stunden ließen seine Gedanken nicht zur Ruhe kommen und so kam immer wieder das Bild des toten Mannes auf dem Boden der Bäckerei in ihm hoch. Er rollte unbewusst die Szene wieder und wieder ab, sah die Augen des Sterbenden, dessen Blick in seinen letzten Sekunden starr auf Jasper gerichtet war. Ihm war bewusst gewesen, dass der Mann die Ursache für seinen plötzlichen Tod kannte. Aber woher wusste er es? Jasper war verzweifelt, hatte der Mann seine Gedanken gelesen? Eine andere Möglichkeit fiel ihm nicht ein, das einzige, was Jasper wusste war, dass er sein Wissen in seinen Augen erkannt hatte. Augen konnte so viel sagen. Mehr als alle Worte der Welt es je tun können. Auch Cathys Bewusstsein hatte er durch ihren Blick durchbrochen und war in die Tiefen ihrer Wahrnehmungen geklettert. Ein leises Klacken ließ ihn von seinen Gedanken hochfahren und als er das Geräusch zuordnete, erkannte er sofort, dass er das Schloss der Badezimmertür war. Wenige Sekunden später trat Cathys schmächtige Gestalt in Jaspers Kleidung und einem Handtuch um den Kopf gewickelt um die Ecke in die Küche. Der Geruch von seinem Shampoo drang ihm zugleich in die Nase, aber auch ein leichter Duft nach Vanille. Da sie nichts anderes, als das, was sie am Körper trug dabei hatte, konnte sie kein Creme oder ein anderes Shampoo bei sich gehabt haben. Wieder etwas, das Jasper auf die Liste der ungeklärten Dinge an diesem Tag setzten konnte. Cathy setzte sich auf den Suhl neben Jasper, der allerdings ein Bein besaß, das kürzer war als die anderen, sodass sie leicht nach hinten schaukelte. Er wollte ihr schon zu Hilfe eilen, aber in diesem Moment fing sie sich wieder und verlagerte ihr Gewicht auf die drei weiteren Beine."Was willst du trinken? Ich habe eigentlich nur Wasser, Kaffe oder Cola.", stellte Jasper verlegen fest und erhob sich mühsam von seinem Sitzplatz."Wasser ist okay, danke." Ihre Stimme war kaum zu vernehmen, so leise sprach sie, aber Jasper verstand sie und füllte ein Glas mit Leitungswasser. Als er es ihr auf den Tisch stellte, schwappte der Inhalt, verließ aber Gott sei Dank nicht seine gläsernen Barrikaden, sodass der von Flecken gesäumte Holztisch nicht noch hässlicher wurde, falls das überhaupt möglich war. Cathy bedankte sich murmelnd und trank sofort das gesamte Glas leer. Nachdem Jasper ihr nachgeschenkt hatte, zog er sich selber eine Tasse aus dem Regal über dem Spülbecken, hielt sie ebenfalls unter den Wasserstrahl und nippte an der kühlen Flüssigkeit. Er wollte sich gerade wieder setzten, als Cathys Magen laut zu knurren begann. Seufzend stellte er seine Tasse neben ihre und öffnete das Gefrierfach."Ist Pizza okay?", "Ja klar.", antwortete sie schnell und als Jasper ihr ins Gesicht blickte, sah er noch einen, wie ein rosiger Schimmer ihr Hautfarbe durchzog. Er musste schon wieder Grinsen und schnappte sich zwei Salamipizzen aus dem Fach. Während er sie mit der rechten Hand zu balancieren versuchte, schaltete er mit der Linken den Ofen an. Danach legte er sie langsam auf die freie Fläche neben dem Spülbecken und drehte sich noch zögerlicher zurück zu Cathy um. Sie war eindeutig nervös, das wusste er, aber er war nicht weniger angespannt. Was sollte er sagen? Er beschloss diese Konversation beim Schweigen zu belassen, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Stumm starrte er dem fremden Mädchen in die Augen und sie hielt seinem Blick stand, erwiderte seine forschende Mine aber nicht. Ihre Augen richteten sich lediglich auch auf seine, ihr Gesicht ließ keine Veränderung sehen, anders als vorher, aber tief in den Umrissen der Iris verbarg sie sich. Angst. Jasper erkannte, wie sie sie von innen zu verschlingen versuchte. Wie das Spiel ihrer Adern, unter der grün schimmernden Haut, verflochten mit einander, kämpfte ihr Wille gegen alle Gefühle. Ein einzelner Kämpfer. Der Fels in der Brandung. Ihre Pupillen waren geweitet und drohten ihre Iris fast vollständig zu verdrängen. Plötzlich regte sich etwas in ihr und ihrem tiefsinnigen Blick wich ein aufmunterndes Lächeln. Er wollte sie fragen, was der Grund für ihren abrupten Stimmungswechsel war, auch wenn er es eigentlich nur an ihrem Gesicht gemerkt hatte, da begann sie schon zu reden:"Ich glaube du kannst die Pizzen in den Backofen schieben. Er ist bestimmt schon genug vorgeheizt.", "Du hast recht." antwortete er ein wenig perplex und wand sich wieder der Küchentheke zu. Nachdem er den Ofen vorsichtig wieder geschlossen hatte, setzte er sich mit seiner Tasse zurück auf den Stuhl, mied es jedoch diesmal Cathy ins Gesicht zu blicken und hielt auch kein Gespräch aufrecht. Als die Stoppuhr nach einiger Zeit endlich klingelte, holte Jasper zwei weiße Teller heraus, schob die Pizzen darauf und stellte deinen vor Cathy und den anderen vor sich selber auf dem Holztisch ab. Beide waren, so hungrig, dass sie keine Zeit hatten sich zu unterhalten und nach kurzer Zeit hatten sie beide ihre Mahlzeit gierig verschlungen. Jasper machte sich nicht die Mühe das schmutzige Geschirr abzuwaschen und ließ es daher einfach in der Spüle zurück. Mittlerweile war es Abend geworden und als Jasper aus dem Fenster zwischen den Beiden Regalen über der Küchentheke sah, bemerkte er, dass es bereits dämmerte. Als er sich wieder zu Cathy wand, schaute sie auch gerade aus dem Fenster. Er fing ihren Blick auf und stellte fest, dass sie mindestens genauso müde war wie er." Vielleicht sollten wir uns hinlegen. Es war glaube ich ein sehr anstrengender Tag für uns beide. Du kannst mein Bett haben, ich schlafe dann auf der Couch.", "Ich kann auch auf dem Sofa schlafen, das macht mir wirklich nichts aus. Das habe ich schon oft gemacht.", beharrte sie. Doch Jasper ließ sich nicht davon abbringen, dass Schlaf für sie im Moment deutlich wichtiger war, als für ihn, da er morgen nicht, wie sie in die Schule musste. Er würde sich im Restaurant krank melden. Denn auch er brauchte eine Pause von dem ganzen Trubel, aber nicht jetzt sofort. Also gab Cathy nach kurzem Zögern nach und Jasper zeigte ihr den Weg in sein Schlafzimmer. Als er die Tür öffnete trat sie ein und sah sich neugierig um. Als Jasper sich jedoch zum Gehen wand, blieb sie stehen und drehte sich ihm zu."Danke." Ein Wort. Nicht mehr. Aber Jasper durchfuhr ein Schauder. Nachdenklich murmelte er ein 'Gern geschehen' und 'Schlaf gut', verließ dann aber das Zimmer. Er wusste nicht, ob sie noch etwas erwidert hatte, denn seine Sinne schaltete er auf Durchzug. Kraftlos ließ er sich auf das Sofa sacken, konnte aber trotz aller Müdigkeit nicht einschlafen. Zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf. So verharrte er eine Weile still auf den Kissen. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war und es war ihm auch egal, aber plötzlich hörte er ein lautes Krachen Richtung Diele. Schnell sprang er auf und sah die zerbrochene Eingangstür, teils in kleinen Stücken auf dem Boden liegen, teils zerfleddert noch im Rahmen hängen.

FEUER- goldener ScheinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt