Kapitel 2

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Mein Leben ging den Bach runter.

Zugegeben war das sehr wahrscheinlich nicht unbedingt die allerbeste Einstellung, aber positiv zu bleiben fiel mir mit jedem Tag schwerer.

Meine Eltern hatten sich scheiden lassen. Das war schon einige Jahre her und ich hasste meinen Dad immer noch dafür, dass er meine Mutter und mich einfach für eine jüngere Blondine im Stich gelassen hatte.

Ausgewandert war er mit dieser hinterhältigen Schlange und seit dem hatte er sich nie wieder gemeldet. Nicht mal bei mir, seiner eigenen Tochter. Selbst an meinem Geburtstag oder an Weihnachten hatte ich vergeblich auf einen Anruf von ihm gewartet.

Meine Mutter war damals daran zerbrochen. Natürlich hatte sie sich nichts anmerken lassen. Keine Träne hatte sie ihrem Exmann nachgeweint. Hatte ihm bloß ohne jeglichen Kommentar alle seine Sachen vor die Haustür gestellt und dann das Schloss austauschen lassen.

Trotzdem hatte sich danach ihr gesamtes Verhalten verändert. Ihr Lächeln war verschwunden. Ihre Liebe, ihre Wärme, ihre Fürsorge hatten sich alle in kalte Entschlossenheit und überzogenen Ehrgeiz verwandelt und sie begann damit, mich nur noch auf Erfolg und gute Noten zu trimmen.

Bis es mir dann endlich mit zunehmendem Alter zu blöd wurde. Ich legte mich mit meiner Mutter an, wir schrien und ich warf ihr schlimme Dinge an den Kopf, woraufhin sie irgendwann nur noch sagte: „Na schön, ich gebe es auf mit dir meine kostbare Zeit zu verschwenden. Geh mir aus den Augen, du bist nicht mehr meine Tochter!"

Und ich ging. Ich fühlte mich benommen und irgendwie seltsam leer damals. Emotionslos. Ich kümmerte mich um einen Platz in einer WG weit weg von meinem Elternhaus. In der neuen Stadt nahm ich einen Nebenjob an, um den Mietanteil bezahlen zu können. Und ich bewarb mich an einer Uni.

Mutter hätte mich niemals Kunst studieren lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei. Naja, nachdem ich einige Wochen mit Heulen und Trübsal blasen verbracht hatte, weil ich nur noch daran denken konnte, dass ich meinen Eltern total egal war.

Meine Mitbewohnerin baute mich ganz gut wieder auf und ich freundete mich mit ihr an. Eigentlich sah es wieder ganz okay für mich aus. Ich konnte endlich machen, was mir Spaß machte, konnte mich selbst verwirklichen. Niemand betitelte mich mehr als Versagerin oder als nutzlos. Endlich konnte ich aufatmen.

Als ich dann anfing, mich so richtig wohl zu fühlen und mir wieder Hoffnungen zu machen, kam der nächste Tiefschlag. Natürlich, wie könnte es mir auch vergönnt sein glücklich zu sein?

Erst zerstritt ich mich aufs Übelste mit meiner Mitbewohnerin, weil sie der festen Überzeugung zu sein schien, ich hätte versucht ihr den Freund auszuspannen. Den anderen Mitbewohnern wurde unser ständiger Streit irgendwann lästig und weil ich als Letzte dazugekommen war, flog ich aus der WG. Außerdem schenkten sie natürlich lieber derjenigen von uns Glauben, die sie schon länger kannten.

Als wäre das noch nicht genug gewesen, bekam ich später auch noch die Nachricht, dass die kleine Imbissbude in der ich Arbeit gefunden hatte, schließen musste. Das Geschäft war schon Jahre nicht mehr gut gelaufen und schließlich waren die Schulden einfach erdrückend geworden.

Also zusammenfassend: Job weg, Wohnung weg, Freunde weg. Wenigstens konnte ich noch zur Uni, aber mein Spießroutenlauf ging schon wieder von vorne los und diese Tatsache wirkte sich auch nicht gerade positiv auf meine Noten aus. Ich konnte wirklich froh sein, dass ich alle Klausuren bestanden hatte in diesem Chaos.

Und natürlich kamen sofort wieder Zweifel in mir hoch. War ich wirklich so nutzlos und unfähig, wie meine Mutter immer behauptete? Sollte ich nun ewig dazu verdammt bleiben alleine nichts auf die Reihe zu bekommen?

Ich riss mich zusammen. Und mit mehr Glück als Verstand bekam ich einen neuen Job. Ich war in der Stadt unterwegs und bekam einen heftigen Streit zwischen einem Küchenchef und seiner Aushilfe mit, der dann schließlich damit endete, dass die Ärmste rausgeschmissen wurde und der Chef fluchte, weil er sowieso zu wenig Leute hatte. Es kam mir zwar irgendwie ganz schön dreist vor, aber ich betrat kurzerhand das Restaurant und fragte nach, ob er seine Küchenhilfe nicht sofort ersetzen wollte.

Leider blieb mir nach dem Rauswurf aus der WG nichts anderes übrig, als mich sehr kurzfristig ins Studentenwohnheim einzumieten. Was bedeutete, dass ich ab diesem Zeitpunkt in einer engen Einzimmerwohnung mit kleiner Küche und noch kleinerem Bad ohne Badewanne, sondern nur mit Dusche wohnen musste, in der die Wände so dünn waren wie Zeitungspapier. Und ebenfalls so vergilbt. Dazu zu sagen blieb nur noch, dass meine Nachbarn logischerweise auch alle Studenten waren, die sich alle Mühe gaben wirklich jedes vorhandene Klischee über Partys, Alkohol, Drogen und Lautstärken zu bedienen.

Da ich das allerdings (noch) nicht tat und außerdem auch noch neu war, blieb ich meistens für mich. Ich tat mich ja oft schwer, neue Leute kennenzulernen. Klar, bei meiner Mutter hatte ich ja auch nie weg gedurft. Treffen mit Freunden war restlos gestrichen gewesen. Lernen war die oberste Priorität zu jeder Zeit.

Was mich letzten Endes allerdings dazu veranlasste, auf meiner schäbigen kleinen Couch zusammenzubrechen war, dass ich auch meinen zweiten Job als Küchenhilfe wieder verlor. In einem kurzen Moment der Schwäche brach ich, als ich nach Hause kam, einfach in Tränen aus.

Ich saß auf dieser grauen Couch und versank in meinem Selbstmitleid. Meine Mutter hatte mein Versagen immer vorausgesagt. Und ich hatte immer versucht, ihr alles rechtzumachen. Nicht ein einziges Lob hatte ich zu hören bekommen in dieser ganzen Zeit. Als einen Fehlschlag hatte sie mich stattdessen lieber bezeichnet. Als ich nach dem Streit das Haus verlassen hatte, war ich ganz fest entschlossen gewesen, sie eines Besseren zu belehren und es ihr so richtig zu zeigen. Und zwar mit etwas, das sie mir hatte verbieten wollen. Das Malen.

Deshalb studierte ich Kunst. Weil ich es mochte und gut konnte. Aber am meisten, weil ich mich auf das Gesicht meiner Mutter freute, wenn diese erfuhr, dass alle meine Ausstellungen riesen Erfolge waren und ich eine richtig gute Künstlerin geworden war.

Ich hatte keinerlei Zweifel gehabt, dass ich dieses Ziel irgendwann erreichen würde. Aber wie sollte das bloß gehen, wenn ich mich selbst nicht mal finanzieren konnte? Wenn ich meine Jobs verlor und meine Unterkünfte und wenn meine Noten unter meiner emotionalen Situation litten? Ich war ein Wrack. Wie dumm und naiv ich doch gewesen war zu glauben, dass alles so einfach für mich sein könnte.

Total erledigt streckte ich mich auf dem Sofa aus und weinte von der ganzen Welt verlassen in mein Kissen, bis ich irgendwann keine Kraft und keine Tränen mehr übrig hatte und unruhig einschlief.

Another Nameless Dandelion StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt