Der Zug sollte eigentlich schon längst da sein, doch irgendein spinner dachte es wäre lustig seinen Wagen auf den Gleisen abzustellen. Immerhin konnte der Zugführer rechtzeitig über funk gewarnt werden, sodass es keinen Unfall gab. Ich hab mein Taschenbuch inzwischen durchgelesen und nun mangelt es mir an Unterhaltung, also mach ich was jeder Mensch mit Langeweile macht: Ich schau mir meine Mitmenschen an. Der Sitz direkt neben mir ist frei. Das Kind in der Reihe vor mir konnte einfach nicht stillsitzen, also hab ich meinen Fensterplatz aufgegeben. Auf der anderen Seite des schmalen Gangs sitzt ein Mann im Anzug mit Laptop auf dem Schoß. Wer oder ob neben ihm jemand Sitz kann ich nicht sagen, der Anzugmann wäre sicherlich groß genug einen normal gebauten Menschen hinter sich zu verbergen.
Wenn ich mich etwas über meine Armlehne in den Gang lehne, kann ich auf eine Viererformation von Sitzen schräg gegenüber schauen. Da Sitz ein Junge, allein und in etwa in meinem alter, mit Kopfhörern und einem Buch auf dem Schoß. Was für ein Buch das ist kann ich nicht erkennen, selbst wenn ich die Augen zusammen kneife. Jetzt schaut der Typ mich auch noch an. Ist das überhaupt ein Typ? Seine Gesichtszüge haben etwas weiches und feminines. Er lächelt mich an. Sie lächelt mich an? Die Person macht eine Handbewegung als würde sie wollen, dass ich mich zu ihr setze. Ich blicke mich um hinter sind die meisten in ihre Bildschirme vertieft. Gut, wäre ich wahrscheinlich auch, wenn ich nicht meinen Akku bereits aufgebraucht hätte. Ich leg mir den Finger auf die Brust und schau sie oder ihn an. Ich bekomm ein nicken.
Ich greif mir meine Jacke und meinen Rucksack und lauf rüber. Während ich mich auf den freien Sitz ihr oder ihm schräg gegenüber Setze, nimmt es (?) die Kopfhörer ab.
"Hey", sag ich.
"Hey", sagt sie oder er. "Ich bin Luca."
"Ich bin Erik."
Ein kurzer Moment der Stille.
"Hast du mitbekommen wie lange wir hier noch rumstehen?", fragt Luca. Ich blicke aus dem Fenster. Es nieselt leicht und die kleinen Regen tropfen fingen langsam an die Scheibe hinunter zu laufen. "Nein, soweit ich weiß steht da wohl ein Auto auf den Gleisen, aber warum das nicht einfach abgeschleppt werden kann?" Ich zucke mit den Schultern. Luca nickt nur und folgt meinem Blick nach draußen. Ich fühle mich schlecht meiner Neugier wegen, aber ich muss es Wissen. "Hey Luca, ich möchte dich nicht bedrängen, aber-" "Xier. Mach dir keinen Kopf ich werd oft genug gefragt." Luca lächelt.
Xier hatte das Buch inzwischen zugeschlagen und xiese Jacke darüber gelegt. "Was liest du da eigentlich?", sage ich auf das Buch deutend. "Oh", Luca hebt die Jacke an. "Das ist ein Buch über die verschiedenen Künste in verschiedenen Kulturen." Xier schlägt eine Seite mit einem Papiervogel auf. "Hier zum Beispiel geht's um Origami. Soll ich's dir zeigen?"
Luca holt eine kleine Schachtel aus xiese Rucksack und aus dieser Schachtel einen Stapel quadratisches Papier. Ich setz mich neben xien und beobachte wie xier das Papier faltet und knickt bis ein kleiner Schwan entsteht. Ich nehme ihn aus Lucas Hand und begutachte ihn. "Niedlich", sag ich und dreh den Schwan in meiner Hand bis ich bemerke, dass Luca mich anschaut. "Ist was?", frag ich.
"Du hast hübsche Augen."
Wow. Das letzte Kompliment dieser Art hab ich bestimmt vor Jahren das letzte mal bekommen. "Danke.", sag ich etwas nervös, "Du auch."
Das kam fühlte sich etwas geheuchelt an. Bis jetzt hab ich noch gar nicht auf xies Augen geachtet. Aber es ist wahr. Luca hat schöne blaue Augen. Für einen Moment schauen wir uns einfach in die Augen. Doch dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung und holt uns aus unserer kleinen Trance. "Kann ja jetzt nicht mehr all zu lange dauern." Luca lächelt mich zwar an, doch wirkt ein wenig verkrampft. "Ja klar, was soll sein?" Ich zuck nur mit den Schultern und lehne mich zurück.
Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn das nächste was ich mitbekomme ist wie Luca meine Schulter schüttelt und sagt wir seien angekommen. "Danke, aber ich muss hier noch nicht raus.", sag ich etwas verpennt. "Dann muss ich jetzt trotzdem tschüss sagen.", meint Luca und steht auf. Ich warte auf Luca während xier seinen Rucksack aufsetzt und geb ihm die Hand um mich zu verabschieden. Luca verlässt den Zug und ich bemerke, dass auf dem jetzt Lehren Sitz neben mir der Papier-Schwan liegt.
Auf seinem Flügel steht in kleiner, aber sauber geschriebener Schrift eine Nummer.
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Traumprotoypen
RandomEine kleine Sammlung von Kurzgeschichten, die ich mir aus meinen, aber auch aus den Träumen meiner Freunde gesponnen habe...