Eine Macht

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Sonnenpfote hatte von Anfang an gewusst, dass er in diesem Kampf so gut aufpassen musste wie noch nie zuvor. Er hatte versucht, sich so weit von den Wölfen fern zu halten wie er konnte. Die ganze Zeit wütete in seinem Kopf der Gedanke, dass er eine dieser Katzen der Mächte war.

Ich hätte mir denken können, dass es etwas mit meiner Schnelligkeit zu tun hat! Verzweifelt versuchte er, sich den Wolfszähnen zu entwinden, die ihn am Nackenfell gepackt hielten, aber es brachte nichts. Außerdem war er viel zu erschöpft. Er hatte so oft hintereinander seine Gabe benutzt, um seinen Gegnern in Regen und Wind zu entkommen, dass er jetzt einfach nur müde war. Der letzten Wölfin, die ihn mit einem Knurren anscheinend schon erwartet hatte, hatte er nicht mehr entkommen können.

Dämmriger Himmel, dachte er. Im Licht eines Blitzes hatte er ihr hellgraues Fell gesehen, das an die Farbe des Himmels während der Morgen- oder Abenddämmerung erinnerte. Er hatte sich schon gefragt, wo sie die ganze Zeit gesteckt hatte. Dabei hatte sie ihm nur aufgelauert. Vielleicht hatte sie die anderen Wölfe sogar auf ihn losgeschickt, damit er müde wurde und sie ihn nur noch einsammeln musste.

Nasse Zweige peitschten Sonnenpfote ins Gesicht, als Dämmriger Himmel in den Wald eintauchte. Die Äste zerkratzten ihm fast die Wangen und die Stirn, aber bald darauf waren sie auch schon weg. Offenbar gab es einen getrampelten Pfad, der dorthin führte, wo das Rudel und die Verfolger ihr Lager aufgeschlagen hatten. Der Donner hallte unangenehm laut in seinen Ohren wider.

Plötzlich ließ die Wölfin ihn fallen. Beim Aufprall wurde ihm fast die gesamte Luft aus den Lungen gepresst und er keuchte. Irgendwie schaffte er es, auf die Pfoten zu kommen, wurde aber sogleich wieder von einer starken Wolfspfote umgestoßen.

»Bleib liegen«, hörte er die bedrohliche Stimme von Dämmriger Himmel. Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken, während das Wasser unablässig aus seinem Fell auf den Boden tropfte.

»Was werdet ihr jetzt mit mir machen?«, fragte Sonnenpfote, wissend, dass diese Wölfe ihn garantiert verstanden. Es war nicht das erste Mal, dass er gefangen gehalten wurde. Letztes Mal hatte er nur fliehen können, weil seine Mutter ein großes Opfer gebracht hatte, und seine Peiniger waren Katzen und nicht Wölfe gewesen. Aber jetzt? Er wollte nicht, dass sie erneut etwas tun musste. Oder noch schlimmer Wasserpfote. Bei dem Gedanken daran, dass der grauen Kätzin, mit der er schon so viel erlebt hatte, etwas zugestoßen sein könnte, wurde ihm schlecht.

»Deine Macht«, knurrte Dämmriger Himmel, »wird dir bald nicht mehr gehören.«

»Sie hat recht«, ertönte eine Stimme, bei der Sonnenpfotes Fell sich aufstellte. Er konnte den Kater in der Dunkelheit der Nacht zwar nicht sehen, aber er wusste, dass er da war.

»Weidenstern?«, keuchte er. Er wusste zwar, dass sein ehemaliger Mentor zu den Verfolgern gehörte, doch es jetzt mit so einer Deutlichkeit bestätigt zu sehen, war fast schon grausam. »Warum tust du das? Ich habe dir doch nichts getan! Wir gehören demselben Clan an! Jedenfalls war das früher so. Sprungflügel hat dich sogar zum Anführer ernannt, nachdem Luchsstern gestorben ist ohne rechtzeitig einen Stellvertreter zu ernennen! Und jetzt wendest du dich gegen uns alle?«

»Ich wende mich nicht gegen euch«, miaute Weidenstern. »Ihr seid es, die sich gegen mich wenden! Als ich euch als Anführer befohlen habe, im Lager zu bleiben, seid ihr trotzdem losgegangen, obwohl ihr wusstet, dass euch der Tod erwarten könnte! Ihr alle habt euch gegen mich gestellt und nun schau, worin das geendet hat! Ihr seid fast alle gestorben! Aber statt zu mir zurückzukehren, habt ihr euch einem neuen Anführer angeschlossen und mich zurückgelassen!«

Sonnenpfote legte wütend die Ohren an und fauchte: »Du hättest mit uns kommen können! Wir sind jetzt der SchattenClan! Das alles muss nicht passieren! Lass mich gehen!« Er stockte. »Wo ist eigentlich deine Gefährtin? Wo ist Himmelschatten? Wo sind deine Jungen?«

Warrior Cats - Düsterer MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt