Kapitel 8 - In Gedanken

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Für den restlichen Schultag war Gwen wie vom Erdboden verschluckt. In jeglichen Fächern, die wir normalerweise zusammen hatten (also fast all meine Klassen), tauchte sie nicht auf und war auch sonst nirgendwo am Schulgelände zu sehen.

Mein selbstsicheres Ich wollte eigentlich glücklich darüber sein, dass ich endlich wieder eine gewisse Atmungsfreiheit hatte. Doch dieses schwarzklumpige Gefühl von Schuldgefühlen verhinderte dies.

Den restlichen Tag wurde ich wie eh und je von Leuten belagert und beschnattert, deren Aufmerksamkeit zwar nett und erwünschenswert war. Doch ich fühlte mich keineswegs aufgelegt für Unterhaltungen.

Dementsprechend, in in sich drehenden Gedanken versunken, trottete ich am späteren Nachmittag von der Schule nach Hause und kickte alle paar Meter kleine Kieselsteine weg. Obwohl ein angenehmes Lüftchen um meine Haare wehte und die wohltuende spätsommerliche Abendsonne auf mich strahlte, war mir nicht sonderlich warm. Ganz im Gegenteil, ich hatte fast schon eine Gänsehaut, weil mir so kalt war. Unwohl fuhr ich mir über meine Oberarme.

Ich dachte über mein Verhalten der letzten Woche nach. Darüber, wie ich mit Tara und ihren Freundinnen geredet habe. Wie unfreundlich ich zu dem Bambi-Mädchen war. Im Allgemeinen, wie ich über meine Mitschülerinnen und Mitschüler dachte. Und natürlich darüber, wie ich mit Gwen umgegangen bin.

Wenn ich ehrlich war, bin ich ein ganz schön arroganter Arsch gewesen. Jedoch war ich das die letzten Jahre immer schon gewesen. Immerhin brauchte ich niemand anderes sein und die meisten Leute, die ich trotz aller Umzüge kurzfristig kennengelernt hatte, schien es nicht zu stören. Ganz im Gegenteil die Meisten fanden diese sarkastische, unnahbare und oberflächliche Art und Weise sogar lustig oder cool.

Kaum bekam ich mit, dass ich zu Hause ankam, meinen Schlüssel heraus kramte und damit die Haustür öffnete. Ich hing noch immer meinen Gedanken nach und merkte nicht, dass ich irgendwie schnurstracks den Weg zu meinem Schlafzimmer zurückgelegt hatte und meinen Rucksack in die Ecke pfefferte. Schwerfällig lies ich mich in meinen Drehsessel plumpsen, woraufhin dieser protestierend quietschte und drehte mich im Kreis, während ich meinen Kopf in den Nacken legte.

Als Kind hatte ich mir stets Mühe gegeben bei jedem neuen Umzug und neuen Stadt Freunde zu finden. Möglichst extrovertiert und lustig zu wirken. Doch spätestens vor drei Jahren hatte ich langsam gemerkt wie unnötig das war. Wir zogen einfach zu oft um, um an jedem Ort gute Freunde zu machen. Und oft genug kam dieser Umzug so plötzlich als Nacht und Nebelaktion, dass ich einfach nur enttäuscht war, schon wieder die Chance verpasst zu haben, jemanden näher kennenzulernen.

Ich biss mir nachdenklich auf meine Lippe, die von der Aktion im Wald noch ein wenig verkrustet war. Ich glaube ich hatte einfach erkannt, dass es viel angenehmer war oberflächliche Leute und Bekanntschaften um mich herum zu scharren. Gerade so, dass ich nicht einsam war, aber auch nicht fest genug, dass man darum trauern konnte, wenn wir wieder wegzogen.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mir selbst und anderen gegenüber so oberflächlich geworden bin, sodass mich ja niemand enttäuschen oder verletzen konnte. Dass die Leute, die ich stets so kurzfristig kennengelernt hatte, kein Interesse daran hatten mich wirklich näher kennenzulernen. Sondern mehr als nur zufrieden waren mit meinem verschmitztem Lächeln, dummen Flirtereien und der wenige Aufmerksamkeit, die ich ihnen schenkte.

Als Reaktion auf diesen Gedanken stach es mich kurz und zum ersten Mal seit längerem, merkte ich, dass ich traurig war. Nicht wütend oder genervt. Diese zwei Gefühle kannte ich zu Genüge. Doch wirklich traurig, dass ich aufgehört hatte mit anderen Leuten tiefer in Kontakt zu treten. Selbst mal aus meinem Schleier aus Arroganz, Wut und Selbstbewusstsein zu treten.

Ich bließ meine Wangen auf und starrte auf meine Decke, unschlüssig was ich nun mit dieser Offenbarung anfangen soll. Da klopfte es zaghaft an der Tür.

„Lucas? Bist du da?", ertönte die gedämpfte Stimme meiner Mutter und ich richtete mich wieder auf. Ich hatte anscheinend nicht gehört, dass sie nach Hause gekommen war. „Ja, komm rein.", antwortete ich ihr und sie öffnete die Tür.

Sie war noch immer in ihrem schicken schwarzem Arbeitskostüm und lächelte mich vorsichtig an. Sicherlich, weil sie sich nicht sicher war, in welcher Stimmung ich war. Immerhin stand ich ja noch immer unter Hausarrest und war die letzten Tage dementsprechend schlecht auf sie zu sprechen gewesen.

Als Antwort lächelte ich halbherzig zurück und fragte:"Was brauchst du?"
Unschlüssig blieb sie im Türrahmen stehen. Ich merkte ihr an, wie sie nach den richtigen Worten suchte, aber egal, ob sie diese nun fand oder nicht, begann sie zu reden:"Dein Vater und ich wollten mit dir reden. Über unsere Familie und unsere..." - Sie machte eine kleine Pause, kam mehr in den Raum herein und gestikulierte mit der Hand „- Nennen wir es Besonderheiten."

Sofort waren meine eigenbrötlerischen Gedanken von vorhin wie weggeblasen und meine Sinne verschärften sich auf meine Mutter. Seit Jahren hatte sie unsere „Besonderheiten" nicht so offensiv angesprochen. Eher immer nur nebenbei in Geschichten oder Erzählungen, als wären sie das natürlichste auf der Welt.

Ohne es zu wollen weiteten sich meine Augen und ich folgte ihr, als sie sich auf mein Bett setzte. Mit weichem, doch weiterhin unschlüssigem Blick sah sie mich an und nahm meine Hände in ihre. „Du musst wissen, dass wir dich keinesfalls belügen oder einen Teil deines Lebens verstecken wollten.", fuhr sie fort und ich konnte gerade so noch meine Augenbraue kontrollieren, die skeptisch in die Höhe schießen wollte. „Aber wir haben uns aus gutem Grund dazu entschieden, diese Seite unseres Lebens nicht genauer zu benennen oder zu beachten."

Soweit die gleiche Leier wie immer, dachte ich mir sarkastisch und schalt mich deswegen sogleich. Wollte ich nicht ein bisschen weniger arschig sein?

„Doch wir sind draufgekommen, dass wir dir mit diesem Vorenthalten und Bevormunden keineswegs einen Gefallen getan haben und es die paranormale Welt da draußen nicht weniger existent macht.", sagte sie und schloss kurz die Augen wehmütig, als würde sie eine schmerzhafte Erinnerung durchfluten. In mir bebte jedoch jede einzelne meiner Zellen.
Die paranormale Welt da draußen. Endlich wurde es mal benannt. Endlich gab es einen kleinen Anhaltspunkt.

Tief atmete sie ein und aus, um jene Erinnerungen beiseite zu schieben und lächelte mich halbherzig an. „Wir wollen morgen einen kleinen Ausflug machen. Ich kann dir nicht versprechen, wie viel wir dir wirklich erzählen wollen und können. Aber wir wissen, wie sehr dich deine Fähigkeiten interessieren und wollen dich dabei unterstützen. Dir zeigen, wie man damit umgeht und was man damit machen kann."

Dies gab mir einen kleinen Stich der Ernüchterung. Naja, besser als gar nichts, dachte ich mir, musste aber zeitgleich lachen, wenn ich darüber nachdachte, wie viel ich mir bereits selbst beigebracht und experimentiert hatte.

Nichtsdestotrotz grinste ich meine Mutter breit an und sagte ehrlich:"Das würde mich irrsinnig freuen.". Sie spiegelte mein Lächeln, doch es erreichte ihre Augen nicht, die noch immer mit Sorge und Unruhe gefüllt waren.

Als zusätzliches Zeichen meiner Dankbarkeit, dass sie diesen Schritt auf mich gemacht hatten, umarmte ich sie fest. „Danke mamã.", murmelte ich in ihre braunen Haare und sie drückte mich noch fester. Als hätte sie Angst, dass ich sofort von ihr weggenommen werde.

Dann lies sie mich wieder los und richtete sich schnell auf. Wie als wäre nichts gewesen, war die Sorge aus ihrem Blick verschwunden und sie war die üblich quirlige, fröhliche Mutter, die ich eh und je kannte. „Dein Vater macht gerade Lasagne im Ofen, magst du auch welche haben? Wir können gerne einen Film zusammen schauen, nachdem du heute so oder so nirgendwo hingehst." Sie zwinkerte mir belustigt zu.

Ich lachte kurz und sagte:"Die Lasagne nehme ich gerne an, solange sie Papa nicht verbrennt. Das Filmangebot werden wir auf ein anderes Mal verschieben. Ich bin müde von heute."
Was gar nicht gelogen war. Auch, wenn mein Herz vor Aufregung schlug, wenn ich an morgen dachte, fühlte sich mein Körper noch immer schwer und zäh nach der ganzen Sache mit Gwen und meinen Mitschülerinnen an.

Meine Mutter lächelte verständnisvoll und warf mir einen Kuss zu, bevor sie den Raum verließ und zu meinen Vater rief:"Noel? Essen wir heute noch Lasagne oder bestellen wir doch etwas beim Italiener?"

Die Antwort meines Vaters hörte ich nicht mehr, denn mein Handy gab einen kurzen Ton von sich.
Ich grinste noch wegen dem Unsinn meiner Eltern, da fischte ich mein Hände aus meiner Hosentasche hervor und las die Nachricht auf meinem Display. Sie war von Tara.

„Hey, kommst du heute Abend zur Party? Würde dich sonst vermissen!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 30 ⏰

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