Prolog

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Es ist laut. So schrecklich laut.
Nebel umhüllt mich und die kalte Nässe verursacht eine Gänsehaut auf meinen Armen.
Kämpfe um mich herum.
Schwarze Schatten kämpfen gegen Tierwesen. Gegen Menschen, die jedoch keine Menschen waren.
Ich sehe um mich herum.

Wo bin ich hier? Was sind das für Wesen, die kämpfen?

Zitternd wie Espenlaub gehe ich voran, durch die Kämpfenden hindurch. Keiner bemerkt mich. Sie schlagen sich weiterhin ungehindert die Köpfe ein. Ich gehe dennoch Schritt für Schritt weiter.

Doch auf einmal ein elendiger Schrei. Erschreckt reiße ich meinen Kopf zur Seite. Genau richtig, um den Horror mitanzusehen.

Einer dieser Schatten ragt über einen ungewöhnlichen Menschen, dem anscheinend Flügel voller silberner Federn aus dem Rücken wachsen. Der Schatten ist grausam. Fast schon einzeln reißt er dem unmenschlichen Menschen die Federn aus den Flügeln hinaus. Bei jeder von ihnen entfährt dem armen Jungen ein grausamer Schrei.

Der Anblick ist schrecklich. Das Geräusch seines Schreiens ist schrecklich. Meine Beine wollen mich von der schrecklichen Szenerie davontragen, doch ich stolpere nur plump rückwärts zu Boden.
Unfähig mich zu bewegen, sehe ich mit vor Grauen geweiteten Augen zu. Ich kann dem armen Jungen nicht helfen.

Doch dann ist es auf einmal vorbei. Der Junge fallt ohnmächtig zu Boden und der Schatten reißt die letzten paar blutigen Federn hinaus.
Jetzt kann ich es endlich auch tun.
Schreien.

Hysterisch und voller Angst richte ich mich sofort auf und laufe davon. Wie ein Feigling. Lasse den armen Jungen alleine.

Aber alles wozu ich fähig bin ist laufen. Rennen.
Bitte einfach nur weg von hier.
Ich will hier nicht sein.

Doch auf einmal werde ich gestoppt. Eine Gruppe vor mir versperrt mir den Weg. Keuchend komme ich zum Stillstand und bemerke, dass die Gruppe von zwei Mädchen und zwei Jungen bewegungslos auf einen rothaarigen schmächtigen Jungen vor ihnen schauen, der ein Mädchen in seinen Armen hält.

Er weint. Er schreit. Er schlägt mit der Faust auf den Boden. Die Umstehenden: still. Das Mädchen in seinen Armen: tot.
Eine Fleischwunde an ihrer Brust hat sie eindeutig getötet.

Ein Junge, der um die zwei herumsteht, dreht sich zu mir um. Wie bei dem armen Unmenschen zuvor ragen ihm prächtige silberne Schwingen aus dem Rücken. Doch auch er ist nicht verschont von Verletzungen. Blut rennt ihm an der Schläfe herab und erschreckt bemerke ich, dass er bitterlich weint. Sein Gesicht kommt mir schrecklich vertraut vor.

Er schluchzt und haltet mir seine Hand hin, in der Hoffnung, dass ich sie ergreife. "Warum?", schluchzt er herzzerreißend und seine Stimme bricht. "Warum konntest du sie nicht retten?"

Sofort erfüllt von Grauen und zerdrückenden Schuldgefühlen, will ich zu ihm. Ihm sagen, dass ich nicht weiß, wie ich sie hätte retten können. Ich nicht weiß, was hier vor sich geht.

Doch kein Laut verlässt meine Lippen. Ich kann nichts sagen. Die Wörter wollen einfach nicht laut werden.

Verschreckt greife ich mir an den Hals und sehe den komischen Jungen vor mir hilflos an.
Was ist hier los?, will ich schreien. Aber nichts.

Ich bin stumm.

Enttäuscht sieht mich der Junge mit den violetten Augen an. Als hätte ich schlussendlich versagt. Er beißt sich auf die Lippe und dreht sich um und geht weg von mir.

Nein! Warte! Du darfst nicht gehen!, sage ich stumm und laufe hinter ihm her. Aber ich erreiche ihn nicht. Der Nebel verdichtet sich zwischen uns. Und verschluckt ihn.

Jetzt bin ich wieder alleine.
Grenzenlose Angst und Panik erfüllt meinen Körper. Verschreckt drehe ich mich herum. Suche nach anderen Lebewesen. Aber ich bin vollkommen alleine in diesem erstickendem Nebel.

Ich breche zusammen. Ein stummer Schrei entfährt mir, weil die Angst in mir mich auffrisst. Mich zerstört.
Ich halte meinen Kopf fest in meinen Händen und kann nicht aufhören meinen Mund weiterhin zu einem Schrei zu verzerren, auch wenn kein Laut herausdringt.

Doch dann ist die Angst auf einmal wieder weg. Alles ist weg. Ich will auf einmal nicht mehr schreien. Ich will nur hier sitzen bleiben. Inmitten im Nebel.

Und so fallen meine Hände schlaff zu meinen Seiten, während Leere, schleichend wie Gift, mich langsam einnimmt und mich in Stein verwandelt. Doch auf einmal höre ich etwas. Ein leises Lachen.

Es hört sich hinterlistig an. Böse.
Ehe mich die Leere komplett einnimt tritt aus dem Nebel ein Mann heraus. Noch einmal flackert Panik in mir auf und lässt mein Blut beschleunigen.
Der Mann lacht. Er lacht mich aus.

Ich weiß wer er ist.

Der Teufel.

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Ich wache auf.
Mein Herz rast.
Ich zittere vor Kälte und Hitze zugleich.
Ich habe Angst.

Neben mir spühre ich Noel. Seine Hand liegt sanft auf meinem schnell auf und ab sinkenden gewölbten Bauch. Er schläft ruhig und gelassen, während ich mich innerlich fühle, als würde ich verbrennen.

Doch dann wird meine Panik plötzlich unterbrochen. Ich fühle auf einmal, wie etwas sich in mir regt. Natürlich. Unser Baby hat mitbekommen, dass ich Angst habe. Auch, wenn mein Herz noch immer vor Angst rast, kann ich nicht anders, als zu schmunzeln.

"Tut mir leid.", flüstere ich atemlos in die Stille der Nacht hinein und lege meine zitternden Hände sanft über Noel seine. "Ich wollte dir keine Angst machen."

Leicht streichele ich mit meiner Hand sowohl Noels Handrücken, als auch meinen Bauch, während ich tief ein- und aus atme, um meinen Herzschlag wieder zu beruhigen.

Ich versuche mir einzureden, dass der Kampf gegen Luzifer vorbei war. Dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. Doch eine kleiner Teil von mir weiß, dass ich keine Angst, vor einem neuen Kampf gegen die Demonen hatte. Ich hatte Angst, Schuld zu sein, an dem Tod aller paranormaler Lebewesen im Kampf. An dem Tod von Leya. Dass ich sie alle hätte retten können.

Aber ich ließ diesen Gedanken nicht zu. Denn, als sich langsam meine Augen wieder schließen und ich abdrifte, realisiere ich, dass ich diesen Gedanken nicht ertragen kann.

Broken AngelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt