Kapitel 11

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„Scheiße, verdammt." Eilig warf sie die schmierige Tageszeitung zur Seite, fast so, als hätte sie sich die Finger daran verbrannt, was dem brodelnden Gefühl in ihrer Brust tatsächlich sehr nah kam, und fuhr sich mit den flachen Handflächen einige Male übers Gesicht. Sie spürte ihr Smartphone auf dem unaufgeräumten Schreibtisch vibrieren und wagte einen Blick auf das hell erleuchtete Display. Wir haben ein riesiges Problem. Eine Nachricht von ihm, der sie nur zustimmen konnte. Wenigstens waren es Bilder von ihm und nicht von Robert. So konnten sie jederzeit alles dementieren, ohne lügen zu müssen. Sie begann zu tippen. Ich weiß. Können wir irgendwo ungestört reden? Schrieb sie und zuckte sichtlich zusammen, als die Tür zu ihrem Büro, aus dem Nichts aufflog und Robert plötzlich im Rahmen stand. „Hey, bist du okay? Ich hab gerade die Schlagzeilen und die Bilder gesehen." Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, kam er auf sie zu, zog sie ohne Vorwarnung an sich und gab ihr ungefragt den Halt, den sie jetzt brauchte. Sie versank wie immer in seinen Armen und atmete seinen unverkennbaren Duft ein, der herb und süßlich zugleich war. Sie fühlte sich sicher, als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben, wenn er in ihrer Nähe war. „Danke, dass du hier bist." Murmelte sie kaum hörbar in seinen Nacken und löste sich schließlich. „Ich treffe mich gleich mit Christian, um zu besprechen, wie wir mit der Situation am besten umgehen." Er schaute sie hinterfragend an, kratze sich unschlüssig am Hinterkopf. „Meinst du, dass das so eine gute Idee ist? Was, wenn man euch zusammen sieht?" Er war kein eifersüchtiger Mensch, doch bei dem Gedanken, dass alle glauben könnten, dass zwischen Annalena und dem FDP-Politiker etwas lief, wurde ihm irgendwie anders. „Ich passe auf, versprochen und vielleicht ist es sogar besser so. Wenn alle glauben, dass zwischen Christian und mir etwas läuft, wird niemand versuchen uns beiden dasselbe zu unterstellen." Er wusste insgeheim, dass sie recht hatte, trotzdem nagte es an ihm, dass sie das anscheinend völlig kaltließ. Sie wussten beide zu gut, was die Medien für eine Macht hatten, vor allem diese, die ihr nichts Gutes wollten. Sie würde graben und graben und falls sie nichts fanden, etwas erfinden. „Sehen wir uns später? Wir könnten uns zur Abwechslung mal bei dir treffen." Er nickte zustimmend und steckte ihr nach einem zärtlichen Kuss noch eine dunkle Haarsträhne hinter dem Ohr fest. „Pass auf dich auf."

Das Hotel, das sie zögerlichen Schrittes betrat, lag am anderen Ende der Stadt, etwas außerhalb, umgeben von Bäumen, einem großen See und ganz viel Ruhe. Sie lief ungesehen bis zum Aufzug, wusste, dass Christian bereits online eingecheckt hatte, um jeglichen Kontakt nach außen zu vermeiden. Sie lief den langen Flur entlang, suchte nach der dreistelligen Nummer, die er ihr per Handynachricht zukommen lassen hatte. Nach einer letzten Ecke hatte ihre Suche endlich ein Ende. Sie klopfte ein wenig zaghaft und empfand so etwas wie Erleichterung, als sein ihr bekanntes Gesicht kurz darauf dahinter auftauchte. „Komm rein. Hat dich irgendjemand gesehen?" Sie schüttelte augenblicklich mit dem Kopf. „Nein, ich denke nicht. Ich hab extra aufgepasst." Sie ließen sich an dem runden Tisch im Zimmer nieder und warfen beide als Erstes einen schwelgenden Blick aus dem Fenster, durch das man einen unglaublichen Blick über den tiefblauen See hatte. „Es ist wirklich schön hier." Begann sie und seufzte bei dem Gedanken, dass sie viel lieber jetzt mit Robert hier wäre, gleichzeitig wurde ihr erschreckend klar, dass ihr letzter richtiger Urlaub bereits vier Jahre zurücklag. „Hast du dir schon Gedanken gemacht, also, wie wir vielleicht am besten auf die Bilder reagieren?" Sie mochte, dass er direkt zur Sache kam und nicht lange um den heißen Brei herumredete. Sie brauchte Klartext, alles andere würde sie nicht weiterbringen. „Wir sollten das ganze dementieren, notfalls untermauert mit einer Unterlassungsklage. Ich kenn mich juristisch nicht so aus, aber das sollte in diesem Fall doch kein Problem sein, oder?" In diesem Moment fiel ihr das erste Mal an diesem Tag auf, dass er nicht wie sonst ein Hemd oder einen dunklen Anzug trug, sondern lediglich ein Poloshirt mit kleinem Markenlogo, was ihn deutlich jünger und vor allem zugänglicher wirken ließ. „Juristisch sollte das kein Problem sein, nein, aber glaubst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist. Würden wir mit einem Dementi nicht noch mehr auf uns aufmerksam machen? Ich bin dafür, dass wir es einfach laufen lassen. Sollen sie halt schreiben, was sie wollen, wir kennen ja die Wahrheit und solange wir ihnen in Zukunft kein weiteres Futter geben, wird sich das alles ziemlich schnell im Sand verlaufen, da bin ich sicher." Sie legte ihre Stirn in Falten und zog eine Augenbraue nach oben. „Tut mir leid, aber das ist keine Option für mich. Wir sollten Klartext reden und uns nicht in einer Idee verrennen, dass die Presse und die Medien ja schon irgendwann das Interesse an dieser Geschichte verlieren. Was ist, wenn sie das nicht tun? Wir sind hier nicht in einem Hollywoodfilm oder einer schlechten Vorabendserie, das ist Spitzenpolitik, dafür lebe ich und ich will nicht, dass meine ganze Arbeit der vergangenen Jahre, durch so ein paar lächerliche Bilder, entstanden vor meiner Haustür, einen Schatten darüber werfen, den ich nie wieder ganz loswerde. Mir ist in den vergangenen Monaten genug Hass und Kritik entgegengeschlagen, das steh ich kein zweites Mal durch." Sie beobachtete, wie er unerwartete von seinem Stuhl aufsprang und sich durch die blonden Haare fuhr. „Das wäre ein Fehler, Annalena, glaub mir." Sie wusste nicht wieso, doch seine Uneinsichtigkeit machte sie in diesem Moment unglaublich wütend. Er war eben doch der knallharte FDP-Politiker, der keinen anderen Vorschlägen zustimmen konnte als seinen eigenen, daran änderte auch das Poloshirt nichts. Sie stand ebenfalls auf, ging auf ihn zu. „Du bist schuld, dass wir überhaupt in dieser Situation sind. Wärst du nicht so neugierig gewesen und unangemeldet bei mir aufgetaucht, dann müssten wir dieses Gespräch hier nicht führen. Das ist alles nur deine Schuld." Er schien überrascht über ihren plötzlichen Gefühlsausbruch, sah das gefährlich wirkende Funkeln in ihren blauen Augen. „Ich weiß und mir tut das aufrichtig leid, trotzdem denke ich, dass meine Idee die bessere ist." Sie schnaufte, stampfte einmal mit dem Fuß auf und tippte ihm wütend gegen die Brust. „Du bist schuld, also machen wir es so, wie ich es sage. Ende der Diskussion." 


Der Himmel über uns (Annalena Baerbock x Robert Habeck)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt