Prolog

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Tag 1


„Hallo Leute!

Willkommen zurück zu unserer Plauderrunde. Jede Woche gibt es eine spannende Runde mit euch, euren Geschichten und mir! Ich erzähle, ihr kommentiert und wir diskutieren. Wenn ihr das passende Gesicht dazu sehen wollt, schaut auf meinem YouTube-Kanal vorbei. Mein Name ist Yoko und hier ist die erste Geschichte von ‚CanonBall74' auf die Frage hin ‚Was war das Dümmste, was ein Freund je zu euch gesagt hat?'"

„Yoko! Mittagessen!", ruft eine weibliche Stimme aus dem Wohnzimmer, ein Stockwerk weiter unten.

Yoko räuspert sich und versucht die dumpfe Stimme ihrer Mutter auszublenden. Es hilft jedoch nichts. Das elfjährige Mädchen ist längst aus ihrem „Flow" und will deshalb nochmals von Vorn beginnen. Bevor sie startet, trinkt sie einen Schluck Limonade und rückt die ausgedruckten Geschichten der User, CanonBall74, Sweet_Lilly und Ich_habe_keine_Socken zurecht. Dann justiere sie ihre Kamera, die ihr Vater ihr zu ihrem zehnten Geburtstag geschenkt hatte, sodass ihr Gesicht voll für das YouTube-Video zu sehen ist. Später am Abend will sie neben dem Audio für Spotify auch das Video hochladen, nachdem alles geschnitten und editiert sein würde.

Schon mit fünf hatte sie sich für Technik interessiert. Nicht, weil ihre Eltern sie beschäftigt halten und so ihren erzieherischen Pflichten entkommen wollten. Nein. Sie hatte gern schon in jüngeren Jahren Fotos gemacht und Videos aufgenommen. Denn Yoko wusste schon früh, dass sie etwas mit Videos und Fotos machen will und hatte deshalb auch eine "To-Go"-Version der Kamera besorgt, die in Ausnahmefällen auch mit Batterien betrieben werden kann. Sie plant sogar später, ins Gaming-Business, wie ihr Vater es gern nennt, einzusteigen, nachdem sie auch dieses Hobby für sich entdeckte.

Nochmals ruft ihre Mutter nach ihr und mit einem Augenrollen antwortet das junge Mädchen, dass sie nur noch schnell eine Geschichte lesen will. „Nein. Jetzt, Yoko! Wir haben Besuch." Ächzend stoppt Yoko die Aufnahme und schaltet ihren Computer auf Standby. „Fein, ich komme runter."

Bevor sie nach unten geht, betrachtet sie sich im Spiegel und streckt sich selbst die Zunge entgegen. Ihr rotes Haar fällt ihr dabei ins Gesicht und stöhnend wischt sie ihre Locken hinter die Ohren. Obwohl der Besuch unangemeldet ist, weiß sie sofort, um wen es sich handelt. Die japanische Familie auf Seiten ihres Vaters.

Schließlich unten angekommen, begrüßt sie höflich die Runde mit einer leichten Verbeugung, so wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte und einem „Hisashiburi desu. Genkidesuka?".Yoko bekommt ein Zwinkern von ihrer Großmutter. „Ganz höflich, meine Liebe?" Mit einem Grinsen setzt sie sich ihr gegenüber zum Esstisch. Sie beide kichern und Yokos Mutter stellt das dampfend heiße Essen auf den Tisch. „Falls etwas Gälisch aus ihrem Mund sprudelt, bitte nicht wundern", witzelt ihre Mutter nun und blau-graue Augen strahlen vor Stolz auf ihre Tochter herab, die mit ihren Locken wackelt. Ihr Vater gesellt sich ebenfalls hinzu, nachdem er aus seinem Arbeitszimmer protestierend gezogen wird. Seit ein paar Jahren ist er häufiger lange in seinem Büro und arbeitet an irgendwelchen Bauplänen. Er zeichnete viel. Vor allem Gebäude und große Maschinen. So viel weiß Yoko, da sie ihm zumeist dabei zusieht. Aber seit er einen großen Auftrag angenommen hatte, darf sie ihm nicht mehr dabei beobachten. Zunächst wurde sie sanft aus dem Arbeitszimmer vertrieben. Später dann wurde er wütender, je weiter das Projekt voranschritt.

Nachdem sie mit dem Essen fertig sind, unterhalten sie sich über die momentanen schulischen Leistungen von Yoko und deren Cousins und Cousinen. Ihre Mutter befindet sich noch in der Küche am Aufräumen und zündet sich dort eine Zigarette an, während Yoko ihr beim Aufräumen hilft. Lautstark unterhalten sie sich mit ihren Verwandten, während sie hin und her wuseln. Nachdem sie fertig sind, gesellen sie sich zu den anderen auf das große Sofa im Wohnzimmer. Die Gespräche wandern von einem Thema zum nächsten, bis ihre Großmutter nach draußen sieht und bemerkt, dass es immer dunkler wird. „Huch, so spät schon? Wir sollten los", stellt sie fest und beginnt zu packen. Yoko indessen verabschiedet sich bereits von dem Rest, während sie ihre Verwandten zur Ausgangstür begleitet. Yokos Vater hält sie jedoch auf und weist auf seine Armbanduhr. „Es ist gerade einmal drei Uhr nachmittags..."

SunlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt