𝟏𝟔. 𝐆𝐞𝐭𝐞𝐢𝐥𝐭𝐞𝐬 𝐆𝐞𝐡𝐞𝐢𝐦𝐧𝐢𝐬

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Elsas Sicht

Sehnsüchtig warte ich auf den nächtlichen Besucher. Ich blicke in die Ferne. Die finstere Nacht windet sich um die Schatten der Häuser. Vereinzelte leuchtende Sterne blitzen am wolkenübersehenen Nachthimmel auf. Ich zucke zusammen als ein unerwartetes Rascheln die mystische Stille durchbricht. Eilig blicke ich an der knorrigen alten Eiche hinab, welche an der blassgelben Hauswand zu meinem Fenster hinaufwächt.
Jack.
Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.
Obwohl ich keine Befürworterin dieses Eingangs bin, bietet sich Jack keine andere Wahl. Sie habe bereits die Möglichkeit, ihn heimlich durch die Tür eintreten zu lassen, in Erwägung gezogen. Doch diese Variante bringt ein unangenehmes Risiko mit sich. Meine Eltern halten sich zu später Stunde stets im an der Haustür grenzenden Wohnzimmer auf. Sich einjedesmal eine Ausrede einfallen zu lassen, wäre absurd.
Jack tritt ein. Ein kühler Luftzug weht um mein blondes Haar. Ich schließe das Fenster und begrüße Jack mit einem zärtlichen Lächeln, welches er mit einem altbekannten Grinsen erwidert. Sanft streicht er mir eine einsame Haarsträhne hinters Ohr.
„Hallo Rose.", haucht er und legt seine blassen zarten Lippen sogleich auf die meinen. Sanft bewegt er diese in langsamem Rhythmus. ich spüre die Explosionen in meinem Inneren. Mein rasendendes Herz scheint Saltos zu schlagen. Ob ich mich je an seine Küsse gewöhnen könnte?
Viel zu früh löst er sich von mir. Ein sanftes Lächeln umspielt seine blassen Lippen. Röte schleicht sich wahrscheinlich auf meine Wangen.
Seine kühlen Finger streichen über sie. Meine Haut scheint Feuer zu fangen. Sie brennt beinahe. Sanft platziert er seine zarten Lippen erneut auf die meinen. Warme Spannungen zucken durch meinen Körper, huschen in meinem Inneren umher. Doch der Kuss wurde jäh durch den stürmischen Eintritts Annas unterbrochen. Schockiert löse ich mich von Jacks Lippen und schrecke eilig zurück. Purer Unglauben steht in Annas Gesicht geschrieben. Doch ihre Augen glänzen vor Glück. Erfreut quietscht sie auf.
„Elsa!", ruft sie erfreut und stürmt in mein Schlafzimmer, „Du und er. Er und du!"
Fassungslos blickt sie mich an. Mein Gesichtsausdruck muss wohl starr sein, ich beiße die Zähne zusammen und meide jeglichen Blickkontakt mit Anna. Jack grinst vor sich hin.
„Hi, du musst Jack sein. Ich bin Anna."
„Ich bin erfreut, Anna."
„Elsa!", keucht Anna plötzlich ungläubig, „Du hast mir nichts hiervon erzählt. Ist das geheim oder was geht hier vor?"
„Anna, verspricht mir bitte niemandem hiervon zu erzählen.", erwidere ich starren Blickes. Die Vorstellung, dass Vanessa oder all die eiferüchtigen Fanclubmitglieder unserer Beziehung (dass, das zwischen uns eine Beziehung ist, kommt mir immer noch komisch vor) etwas anhaben könnten, schnürt mir die Kehle zu. Ich empfinde etwas für Jack. Ist er bei mir, so spüre ich die Wärme, welche sich in meinem Herzen breitmacht, ein Gefühl, das ich ungern loslasse.
„Aber willst du denn gar nicht in der Öffentlichkeit mit Jack herumlaufen können, ohne irgendetwas zu verstecken?", fragt sie verständnislos.
„Anna. Verprich es mir. Bitte. Ich habe meine Gründe.", erwidere ich nachdrücklich.
„Gut, in Ordnung. Willst du es nichteinmal Mama und Papa sagen? Oder dürfen sie es etwa auch nicht erfahren?"
„Irgendwann vielleicht. Aber vorest bleibt es geheim. Nicht mal Hans darf davon erfahren.", erwähne ich. Nicht, dass Anna es als Selbstverständlichkeit sah ihrem Freund davon zu berichten. Auch unseren Eltern hätte sie es wohl gern verraten, doch ich muss ihr davon abraten. Ich fühle mich nicht bereit für diese Offenbarung. Niemand soll es zunächst erfahren. Ich brauche Zeit. Geschweige denn, dass Vanessa es ebenso aus vollkommen anderen Gründen nicht wissen darf.
„Jack hat sehr viele öffentliche Verehrerinnen, die es uns nicht leicht machen würden. Versteh das bitte, Anna.", erkläre ich.
„Ja.", erwidert sie nickend, „ich lasse euch mal allein, bei was auch immer ihr gerade gemacht habt."
Kichernd verlässt sie den Raum und überlässt uns einander. „Jack, ich hoffe du verstehst wieso ich es meinen Eltern noch nicht sagen möchte. Ich möchte, dass wir es vorerst für uns behalten und warten bis wir uns bereit dafür fühlen, um nichts zu überstürzen."
Jack grinst. Ohne zu zögern legt er seine weichen Lippen für den Hauch einer Sekunde auf die meinen. Trotz der minimalen Zeit macht sich ein Kribbeln in meinem Körper breit. Die angenehme Wärme ist erneut zu spüren und hinterlässt ein wohliges Gefühl.
„Ich verstehe, Elsa.", haucht er und blickt mir in die Augen. Das zarte Blau Jacks Iris' schimmert sanft, es scheint so klar zu sein, wie ein Gewässer an der paradiesischsten Stelle, die ich mir ausmalen kann. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel.
„Warum nennst du mich eigentlich Rose?", frage ich plötzlich. Die Worte huschen über meine Lippen. Jack nennt mich so. Doch weshalb, weiß ich nach all der Zeit, in der ich ihn hätte fragen können, immer noch nicht.
„Du erinnerst mich einfach an eine Rose. Weil du hübsch bist."
Meine Wangen glühen. Geschmeichelt lächele ich ihn an. Mir gefällt seine Ehrlichkeit, sofern sie nicht in Arroganz übrgeht. Er muss mit seinen Worte schließlich nicht immer anderen auf die Nerven gehen oder etwas auf überspitzte Art darstellen, die man nicht einmal mehr als Minimum von Ehrlichkeit beschreiben kann. Letztendlich hat er jedoch recht. Ich empfinde etwas für ihn. Doch zu dem Zeitpunkt, als er es so öffnetlich behauptete, sah ich ausschließlich als abscheulich an, nicht?
Womöglich redete ich es mir an. Um ihn ja nicht die Genugtuung spüren zu lassen. Er hätte es bemerkt. Er merkte es sogar, als ich es mir selbst nicht eingestehen wollte. Doch ihn lieben, wie er es beschrieben hatte, nein. Doch zu Beginn des Schuljahres kannte ich ihn kaum. Und ich kann keinen Mann lieben, den ich nicht liebe.
Ich lächele Jack an, doch augenblicklich ereilt mich ein Gedanke, den ich stets verdrängt hatte.
Merida. Wie soll ich es ihr beibringen? Kann ich es überhaupt tun?
Selbstverständlich kam mir der Gedanke bereits, ihr hiervon zu erzählen, schließlich sehe ich sie in der Schule und telephonierte oder schreibe ihr gewöhnlich ebenso. Merida ist keine Tratschtante, doch sie ruft mich recht gern an, um mir beispielsweise von den Stunden des Bogenschießtrainings zu erzählen. Auch wenn es allein meine Entscheidung ist, gab ich ihr dennoch das Versprechen mich nie in Jack zu verlieben. Doch wie konnte ich das tun, wenn ich wusste, ich bin nicht im Stande ihn zu widerstehen.
Sie soll es wissen.
Sie würde es erfahren.

𝐃𝐢𝐞 𝐖𝐢𝐧𝐭𝐞𝐫𝐫𝐨𝐬𝐞 - 𝑱𝒆𝒍𝒔𝒂 & 𝑯𝒊𝒄𝒄𝒔𝒕𝒓𝒊𝒅  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt