7. Türchen

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How It Started [🌻]

„Leute, das ist Harry", stellt Liam mich vor und zieht einen Stuhl von einem anderen Tisch heran, damit ich mich setzen kann. Ich sehe durch die Runde und seine Freunde stellen sich vor. „Du bist also neu nach London gezogen.", meint der Blonde, Niall, und ich nicke. „Ja und endlich habe ich die Zeit, abends auch wegzugehen und nicht mehr nur Kisten auszuräumen.", antworte ich und bestelle mir einen Wein. Liams Freunde sind aufgeschlossen, sehr nett und ich habe von Anfang an kaum Bedenken, dass ich in diese Gruppe nicht hineinpassen könnte.

Die Zeit vergeht wie im Flug und nach etwas mehr als einer Stunde sehe ich, dass meine Mum mich angerufen hat. „Ich gehe mal eben frische Luft schnappen, ich bin gleich wieder da." – „Ich komme mit.", höre ich plötzlich den brünetten, jungen Mann mit den blauen Augen sagen. Ich zucke mit den Schultern. Von mir aus. Vor der Tür schlägt uns die kühle Nachtluft entgegen und ich merke langsam, aber sicher den Alkohol. Louis hat schon deutlich mehr getrunken und lehnt sich gegen die Wand. Ich wähle Mums Kontakt aus und drücke auf Anrufen.

„Harry, Schatz, wie geht es dir?" – „Hey. Bei mir ist alles gut, ich bin mit Liam und seinen Freunden unterwegs.", antworte ich und gehe einige Schritte. Louis schaut auf sein Handy und scheint nicht zuzuhören. „Dann möchte ich gar nicht lange stören. Du bist scheinbar in London gut angekommen, oder?" – „Ich denke schon, es ist eine ganz coole Truppe." – „Dann sag ihm bitte liebe Grüße von mir, ja? Und melde dich die Tage mal." – „Werde ich. Schlaf gut." – „Du auch, Spätzchen, ich hab dich lieb." – „Ich dich auch."

„Deine Freundin?", fragt Louis, als ich aufgelegt habe. Ich schüttle den Kopf. „Nein, meine Mum." – „Hast du eine Freundin?", möchte er dann wissen und einen Moment lang sehe ich ihn überrascht an, verneine dann aber. „Nein, ich bin Single, ich habe weder eine Freundin noch einen Freund.", erwidere ich und er blickt mich einen Moment lang nur an. „Wie jetzt?" – „Was meinst du?" – „Freund? Also bist du schwul?", fragt er mich und ihm ist anzusehen, dass er nicht weiß, was er davon halten soll. Ich seufze. Na super. „Nein, aber ich stehe unter anderem auf Männer.", oute ich mich und er nickt zögerlich. „Ist das nicht super merkwürdig?" – „Was meinst du?", frage ich und bin mir in diesem Augenblick noch nicht sicher, ob ich Louis mag oder nicht. Prinzipiell habe ich nichts dagegen, wenn jemand Fragen zu meiner Sexualität stellt; zumindest nicht, wenn die Person sie nicht stellt, als wäre sie angeekelt oder den Eindruck macht, mich nicht ernst zu nehmen. Bei Louis bin ich mir noch nicht sicher, wieso er reagiert, wie er reagiert, deswegen breche ich die Unterhaltung noch nicht ab.

„Etwas mit einem Kerl zu haben. Also einen Typen zu küssen oder zu vögeln oder so." – „Wieso sollte das merkwürdig sein?", möchte ich von ihm wissen. Er mustert mich. „Du bist auch ein Mann." – „Und?" – „Ich stelle mir das komisch vor.", antwortet er mir. „Du hast bisher nur Frauen geküsst, richtig?", schlussfolgere ich und er nickt. „Ja. Ich liebe es, Frauen zu küssen. Wie kannst du darauf verzichten?" – „Es ist genauso gut, einen Mann zu küssen.", antworte ich ihm. „Mit ausnahmen versteht sich, aber es gibt sowohl Frauen als auch Männer, die nicht gut küssen können.", stelle ich klar, aber wirklich überzeugt scheint Louis noch nicht zu sein.

„Und wenn der Kerl dann einen Bart hat oder so?" – „Wo ist das Problem? Du hast doch auch einen drei-Tage-Bart." – „Aber ich küsse Frauen, keine Männer." – „Also dürften Männer, die andere Männer küssen keinen Bart tragen?", möchte ich von ihm wissen. „Nein. Also doch, aber...", er bricht seinen Satz ab.

„Also ist es gut, einen Mann zu küssen?" – „Das müsstest du wohl selbst ausprobieren.", antworte ich unüberlegt. Shit, ich habe den Wein wohl etwas unterschätzt. Louis lacht hingegen nur und ich stelle fest, dass es wirklich schön klingt. Ganz klasse, Styles, du findest einen Kerl attraktiv, der hetero ist. Ich seufze leise und schlage mir den Gedanken wieder aus dem Kopf. Louis ist nicht hässlich, ganz im Gegenteil, aber nur deswegen finde ich ihn doch nicht direkt attraktiv!

„Und wie denkst du, dass ich das ausprobieren soll? Also rein hypothetisch.", fragt er dann. „Ich kann wohl kaum einfach irgendeinen Kerl küssen, ohne dass es merkwürdig ist.", überlegt er laut und bevor ich mich selbst daran hindern kann, mache ich einen großen Schritt auf ihn zu und drücke meinen Mund auf seinen. Meine Gedanken kommen erst hinterher, als ich ihn schon längst küsse. Scheiße!, ist der erste Gedanken, den ich habe. Dann bemerke ich, dass Louis den Kuss tatsächlich erwidert. Er ist vorsichtig, etwas unsicher vielleicht, aber als ich ihm näher komme, wird er selbstsicherer. Ich spüre, wie Louis eine Hand auf meine Hüfte legt und dann seinen Arm um meine Taille legt, bevor er mich enger an sich zieht. Ich seufze auf, unsere Zungen tanzen miteinander, Louis schmeckt so gut und ich möchte, dass der Kuss die ganze Nacht dauert.

Selten wurde ich so gut geküsst. Niemals hat der Kerl bisher nur Frauen geküsst, das glaube ich ihm nicht! Meine Gedanken sind völlig durcheinander. Eine Hand liegt an seinem Nacken, die andere an seiner Brust. Ich spüre sein Herz unter seinem Brustkopf kräftig schlagen und küsse ihn wieder und wieder.

Ich kann nicht sagen, wie lange wir hier stehen, aber als wir uns voneinander lösen, brauche ich einen Moment, um die Situation zu erfassen.

„So anders ist es tatsächlich nicht.", meint Louis leise und sieht auf meine Lippen. Heilige Scheiße, ich will ihn noch einmal küssen. Ich nicke. „Sag ich doch." Ich habe keine Ahnung, was ich sonst antworten könnte. Ich weiß nur, dass es bei diesem Kuss nicht bleiben soll und dass Louis mir nicht erzählen kann, dass er hetero ist. Niemals ist er hetero. Auch, wenn er es sagt; aber dieser Kuss hat das Gegenteil bewiesen.

„Wir... äh... sollten wieder rein gehen.", meint er dann und deutet zur Tür. „Sollten wir.", stimme ich zu und sehe wenig später zu, wie Louis die Barkeeperin auf seinen Schoß zieht und sie küsst. Scheiße, ich will, dass er mich küsst. Ich sehe Louis noch ein paar Sekunden an und beschließe, dass ihn dringend jemand darüber aufklären muss, dass er nicht hetero ist. Wie kann es nur sein, dass er das nicht weiß?

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