24. Türchen

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Und da sind wir auch schon wieder beim letzten Türchen:

Evergreen

„Er wird über Weihnachten nicht hier sein.", sage ich schweren Herzens und spiele mit dem Saum meines – seines- Pullovers. Im Prinzip gehört er inzwischen mir. Seit das Wetter den Winter angekündigt hat, lebe ich mehr oder weniger in seiner Kleidung. Er hat mir vier Hoodies hiergelassen und fünf Shirts. Sie alle riechen nur noch nach ihm, weil ich vor drei Wochen sein Parfüm nachgekauft habe, ich hatte es verbraucht.

„Das tut mir leid.", seufzt meine Schwester, aber ich schüttle den Kopf. „Wir wussten es beide, bevor er gegangen ist. Es ist immer so; wenn Harry auf einen Einsatz muss, kommt er nie pünktlich nach Hause. Seine Rückkehr wird mindestens einmal verschoben.", füge ich schulterzuckend hinzu. „Das macht es nicht weniger blöd.", antwortet sie und nippt an ihrem Glühwein. Es ist der 22. Dezember und theoretisch hätte Harry morgen wiederkommen sollen, aber heute Morgen kam ein Anruf. Jedes Mal, wenn ich diese Nummer auf dem Display sehe, weiß ich, dass es drei mögliche Szenarien gibt, die auf mich zukommen werden. Erstens: sie teilen mir die Uhrzeit mit, wann Harry ankommen wird, zweitens: seine Rückkehr wird wie so oft verschoben oder drittens – und das ist die schlimmste der Szenarien – sie teilen mir mit, dass Harry sofort wiederkommt, in einer Kiste, die mit einer Flagge bedeckt ist. Glück im Unglück also, dass es nur wieder eine Verschiebung seiner Rückkehr ist.

„Was genau macht er dort drüben noch einmal?", fragt sie mich. „Ausbilden.", antworte ich knapp." Sie nickt verstehend. „Weißt du, wann er zurückkommt?" – „Ich denke, Ende Februar. Oder besser gesagt, ich hoffe es." – „Wird es sein letzter Einsatz sein?", möchte Lottie wissen. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es egoistisch, aber ich hoffe es. Es ist das dritte Mal, dass er dort drüben ist.", erzähle ich ihr. „Er liebt es, zu helfen und bisher ist ihm nie etwas passiert, aber ich weiß nicht, ob das auf Dauer so weitergehen wird." – „Sehr pessimistisch." – „Eher realistisch.", entgegne ich und bemerke, dass mein Glühwein leer ist. „Möchtest du noch eine Tasse?" – „Sicher."

Sie geht zum Stand und ich sehe auf mein Handy. Immer, wenn Harry auf einem Einsatz ist, habe ich es grundsätzlich auf laut gestellt. Ich weiß nie, wann er die Möglichkeit hat, mich anzurufen, es ist immer unterschiedlich und ich möchte es auf keinen Fall verpassen. Es ist sein dritter Einsatz und das dritte Jahr, in dem ich meinen Geburtstag und die Feiertage alleine verbringen werde. Er ist im September abgereist und seither vermisse ich ihn schrecklich. Jeden Tag wache ich auf und hoffe für einen kurzen Augenblick, mich an ihn kuscheln zu können. Und jeden Tag aufs Neue muss ich feststellen, dass die Seite seines Bettes kalt und leer ist.

Ich sehe auf den Hintergrund meines Handys. Es ist ein Foto von Harry und mir aus dem Sommer. Wir waren zwei Wochen im Urlaub und haben unsere freie Zeit genossen. Ich seufze. Wie gerne hätte ich ihn gerade bei mir. Wie gerne würde ich endlich wieder mit ihm über den Weihnachtsmarkt schlendern, Glühwein trinken und Poffertjes verdrücken.

Lottie unterbricht meine Gedanken, indem sie mir eine dampfende Tasse unter die Nase hält. „Vielleicht schafft er es, dich anzurufen. Ich glaube nicht, dass er es nicht irgendwie arrangieren wird, dir zum Geburtstag zu gratulieren.", versucht sie mich aufzumuntern. Ich nicke und lächle gezwungen. Ja, vielleicht.

Wir feiern in Harrys und meinem Haus Weihnachten. Wir sind vor drei Jahren hier eingezogen. Er war noch nie dabei, während hier ein geschmückter Tannenbaum stand, ich mit seiner Mum das Weihnachtsmenü zubereitet habe und die Geschenke verteilt wurden. Dieses Jahr feiern wir erneut alle zusammen: meine Familie und seine. Nur er ist nicht hier. Ich öffne die Tür und werde von seiner Mutter direkt in eine enge Umarmung gezogen. „Happy Birthday, Louis!" – „Danke, Anne.", lächle ich und lasse sie herein. Gemma gratuliert mir ebenfalls und begrüßt dann Lottie, die schon seit heute Mittag hier ist, um mir zu helfen. „Jay hat mich gerade angerufen, sie kommt etwas später.", gibt Anne Bescheid und ich nicke verstehend. „Okay, alles klar, möchtet ihr etwas trinken?" – „Noch nicht, danke."

Adventskalender 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt