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• word count: 1714 words •
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Inspiration gibt es überall zu holen, sie ist für jeden ergreifbar, sowohl für Künstler der Leinwände, als auch für Künstler der Worte.
Sie kann einen unerwartet aus dem Hinterhalt angreifen, sie kann einem aber auch friedfertig antreffen.
Kaum ein Mensch ist sich dessen bewusst, dabei schlummert in jedem ein Talent, bei dem Inspiration benötigt wird. Die einen müssen es erst noch irgendwie erwecken, die anderen nutzen ihr Talent für sich.

Während ich zu den frühen Morgenstunden bereits auf Achse war, durch die Kälte durch die Stadt stakste, nutzte ich meine Vorstellungskraft für mich.
Um wirklich wach zu werden, nutzte ich einen kleinen Spaziergang durch die stillen Straßen, während andere sich noch in ihren Betten der Traumwelt hingezogen fühlten. Ich tat dies jedes Mal, wenn ich früh aus dem Haus musste, es entwickelte sich stetig zu einer unverzichtbaren Routine.
Sobald ich mich jedoch dem Bahnhof näherte, auf andere Frühaufsteher und Nachteulen, spannte sich mein zuvor freier Geist an.
Es gab Verhaltensregeln, die man befolgen musste, um als normales Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden.
Dazu gehörte es nicht, über die nassen Pflastersteine der Altstadt zur sanften Musik zu tänzeln, die über meine Kopfhörer erklang.
Zusammen mit anderen Menschen trottete ich wie ein willenloser Zombie die Treppen zum Bahnsteig hinauf, in meinen Gedanken jedoch spielten sich verrückte Fantasien ab.
Unauffällig begutachtete ich meine Mitmenschen und stellte mir eine Frage:
Was wäre wenn?
Was wäre, wenn der bärtige Mann mit dem kantigen Gesicht und dem finsteren Blick rechts neben mir auf dem Weg zum Krankenhaus war, weil er jeden Augenblick Vater werden würde?
Was wäre, wenn die junge Frau, die den kleinen Bäcker am laufen hielt, sich eigentlich um ihr Studium kümmern musste?

Ich war kein Morgenmensch. Ich war alles, eine Nachteule, ein Langschläfer, ein Morgenmuffel, aber keiner, der gerne früh aufwachte und den Morgen genoss.
Diese Vorstellungen hielten meinen müden Geist wach, hielten meinen Körper auf Trab.
Dazu fesselte die Kälte meinen Körper, machte ihn steif.
Ich stellte mir vor, was meine Mitmenschen wohl im privaten machten. Warum sie so früh am Morgen am Bahnhof standen, die breite, weiße Markierung übertraten und mit Kaffeebechern in die vollen Bahnen stiegen.
Was ich hier tat, war mir bewusst, doch was führte die anderen hierher?
Ein langweiliger, normaler Mensch würde mir nur sagen, sie müssten zur Arbeit.
Klar, diese Aussage war wahrscheinlich nicht falsch, aber mir nicht genug. Was arbeiteten sie? Was verdienten sie? Waren sie zufrieden oder nicht?

Die junge Frau mit den prallen, roten Lippen und dem ordentlichen, braunen Haar, die mir gegenüber in der Bahn saß, sie war Literaturstudentin. Natürlich wusste ich es nicht, doch ich stellte mir es vor.
Die alte Dame mit der Brille und dem gelben Winterjacke neben mir war auf dem Weg zum Friedhof am Ende der Stadt, um um ihren vor zwei Jahren verstorbenen Mann zu trauern.
Die Sitzplatzvergabe in einem Zug oder in einem Bus war auch von Regeln der Gesellschaft festgelegt. War man allein und besetzte einen Vierersitz, nahm man sich einen Platz am Fenster. Setzte sich eine weitere dazu, saß sie automatisch schräg gegenüber, am Gang.
Wenn die Bahn sich stetig füllt, und kein Sitzplatz mehr für eine Einzelperson verfügbar war, setzte sie sich neben der Person, die am Fenster saß.
Der vierte Platz wird nur in extremen Ausnahmen besetzt, falls wirklich kein Platz mehr verfügbar war, weder Sitzplatz, noch Stehplatz.
Ein Obdachloser betrat die Bahn, ein Batzen Zeitungen war unter seinen Arm geklemmt. Nachdem sich die Türen automatisch schlossen und der Zug wieder an Fahrt aufnahm, erhob er seine Stimme.
Sein Name war Müller, er verkaufte Zeitungen für knapp einen Euro.
Wenn solch eine Situation auftrat, gab es ebenso Regeln. Man starrte auf den leeren Sitzplatz gegenüber, aus dem Fenster oder auf den Boden, aber bloß nicht einem anderen Passagier ins Gesicht, und schon gar nicht zum Obdachlosen.
Sonst war man das schwächste Glied in der Kette.
Wenn es die Möglichkeit gab, drehte man auch die Lautstärke hinauf und ließ die Musik aus dem Kopfhörern die Fahrtgeräusche und vor allem die Stimme übertönen.
Ich jedoch senkte die Lautstärke instinktiv. Ich wollte wissen, was der glatzköpfige Mann zu sagen hatte.

ONE WAY TICKET •|• A Story-Collection by xKitteKatxx Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt