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„Komm schon Kim. Beeil dich mal, sonst komm'we noch zu spät." - rief Melani aus dem winzigen Flur. „Eine Minute." - antwortete Kim aus dem Schlafzimmer.
Die Beiden wollten zu einem Punkertreffen in Spandau. Es sollte in einem Hinterhof eines kleinen Restaurants stattfinden. Dort gab es auch eine Art Bühne, auf der man sein Können präsentieren konnte.
„Ich hab alles." - meinte Kim zu ihrer besten Freundin und trat in schönster Punker-Montur aus der Wohnung. Melani hinterher. Sie sah so ähnlich aus wie Kim. - Zerissene, graue Hose, mit großen Taschen an den Oberschenkeln, Sicherheitsnadeln und Metallketten. Ein Band T-shirt in Schwarz und darüber eine Lederjacke mit Buttons und Aufnähern. Kim trug noch ein Flanellhemd um die Hüfte. Beide Mädchen trugen fake Dc.Martens, da das Geld für die echten nicht reichte. Sie trugen schwarzen Nagellack und hatten das eine oder andere Piercing. Kims Haare waren Hellbraun, liefen aber ab der Hälfte in ein knalliges Rot über. Noch dazu trug sie einen ungestylten Iro. Melanis Haare dagegen waren Giftgrün und zu einem stolzen Haarkamm gestylt.
Sie liefen die schmale Treppe aus dem zweiten Stock hinunter und raus auf die Straßen Berlins in Richtung U-Krumme Lanke. Dort nahmen sie die Linie U3 zum Fehrbellinerplatz, wo sie in die U7 um- und am Rathaus Spandau wieder ausstiegen. Nach einem 20 minütigen Fußmarsch waren sie auch schon da.
Ein Glück dass sie heil angekommen waren. Auf dem Weg hätten jede Menge „Punk-Feinde" unterwegs sein können. Vor allem am Fehrbellinerplatz und gerade um diese Zeit. 17:26.
Es war frisch. Jedenfalls für Mitte Juli. Aber in der Sonne ließ es sich gut aushalten.
Der Hinterhof war riesig. Mindestens ein Hektar. Um die Wiese herum war eine Art Wald, aber daran hatte keiner Interesse.
Als Kim und Melani dort ankamen, waren schon ungefähr 30 weitere Punks da. Einige waren mit Autos oder Vans gekommen um größere Instrumente mitzunehmen. Die Meisten hatten allerdings nur eine Gitarre, beziehungsweise einen Bass, dabei. Unter diesen Menschen fielen die Zwei garnicht auf. Nicht so wie sonst.
Keine 10 Minuten später fingen auch schon die Ersten Musiker an zu spielen. Mittlerweile waren es ungefähr doppelt so viele Menschen auf dem Hinterhof. Das schöne war, dass hier niemand gefragt wurde wer er war, was er hier wollte oder warum er so aussah. Das war egal. Hautfarbe, Sexualität, Geschlecht, Aussehen. Das alles spielte hier keine Rolle. Es zählte nur die Gemeinschaft. Alle lauschten dem Gitarren geschrei und dem Sänger, der in sein Mikrofon brüllte. Es wurde viel gelacht und die Stimmung war ausgelassen. Die meisten hatten ein Bier in der Hand, sowie auch Kim.
Sie liebte diese treffen. Es war eine der wenigen Möglichkeiten der Realität zu entkommen. - Dem ganzen alltäglichen Scheiß: Arbeit, knappes Geld, eine winzige Wohnung und Rechnungen.
In der Zwischenzeit war schon die dritte Band auf der Bühne. Melani war weg, so wie eigentlich immer bei diesen Treffen. Irgendwann verschwand sie einfach. Auch wenn die Mädels zusammen hingefahren waren, gingen sie doch nur selten auch zusammen wieder nach Hause. Man lernte immer jemanden kennen.
Kims Bier war leer, weshalb sie sich auf den Weg ins Restaurant machte. Drinnen setzte sie sich auf einen der Barhocker und wartete bis einer der Barkeeper sich um sie kümmern würde. Ein paar Meter Links von ihr standen drei recht auffällige Typen. Auch Punks, keine Frage, aber sie waren irgendwie anders als die Anderen.
Einer hatte blonde Haare, die wie die Stacheln eines Igels in alle Richtungen abstanden. Er war mindestens 1,95 Meter groß und trug typische Punker Klamotten.
Der zweite war etwas kleiner. Er hatte ebenfalls blonde Haare, aber seine waren ein Stück länger und zu einer Art Welle gestylt. Ähnlich wie bei Elvis. Nur hatte der Typ von der Bar kleine Locken. Dazu trug auch er eine Lederjacke, Boots und den restlichen typischen Kram eben. Auch wenn er noch am spießigsten aussah.
Typ Nummer drei sah allerdings am interessantesten aus. Er hatte lange schwarze auftourpierte Haare, die er als Seitenscheitel trug. Noch dazu hatte er ein schwarzes Bandana in den Haaren. Seine Augen waren, wie die von Kim, mit Eyeliner ummalt. Nicht ganz so stark, aber immerhin. Seine Kleidung war allerdings ausschließlich schwarz. Ein paar Ringe trug er auch. Er war die perfekte Mischung aus süß und heiß.
„Was kann ich für dich tun?" - riss sie der Barkeeper aus ihren Gedanken. Ihr Kopf schnellte in seine Richtung. „Ein Pils bitte." - meinte sie knapp. Der Kerl hinter der Theke ging zu einem Kühlschrank und nahm ein Bier heraus. Ein leises Zischen und das anschließende Klirren verriet ihr, dass das Bier offen war. Es grenzte schon eher an ein Wunder, dass sie das bei dem Lärm hören konnte. „Macht 65 Pfennig." - schnarrte der Tresentyp. Kim schob ihm das Kleingeld rüber und nahm dann einen großen Schluck. Der bittere Geschmack rann ihr die Kehle runter und sie hatte das Gefühl alles andere ausblenden zu können. Für den Bruchteil einer Sekunde jeden Falls. Denn es hatte jemand neben ihr platzgenommen. „Bist Du zum ersten Mal hier? Ich hab dich nämlich noch nie gesehen." - es war der Typ mit den schwarzen Haaren. Und nicht nur er, sondern auch seine zwei Freunde. „Bin oft hier. Und ihr so?" - antwortete sie knapp. „Jedesmal." - sprach der Riese. „Ich bin Jan. Aber mein Künstlername ist Farin." - stellte er sich vor. „Dirk alias Bela." - meinte der schwarz Haarige. „Und ich bin Sahnie." - teilte ihr der Dritte mit. „Kim." - sagte Kim. „Schön dich kennenzulernen." - meinte Jan alias Farin und reichte ihr die Hand. „Biste allein hier?" - fragte Sahnie. „Natürlick, ich geh immer überall allein hin." - meinte Kim sarkastisch. Die drei Jungs sahen sie verwirrt an. „Natürlich nicht. Ich bin mit mener besten Freundin hier. Aber wo die schon wieder hin is, keine Ahnung." - redete Kim weiter und verdrehte dabei die Augen. Nun mussten die Jungen Grinsen. „Ich geh mal wieder nach draußen." - erklärte sie nach einer kurzen Weile des Schweigens und stand auf. „Würds dich stören wenn wa dich begleiten?" - wollte Bela wissen. „Nein. Ist doch außerdem ne Veranstaltung. Da kann doch jeder hingehen wo'rer will." - gab sie von sich. Sie maschierte geradewegs zum Hinterausgang, wo schon wieder ein paar neue Punks auf der Bühne standen.
Sie spielten gecoverte aber auch eigene Lieder. Die Menge unten vor der Bühne grölte die Coverversionen lauthals mit. Hier und da fand man umgekippte Bierflaschen oder Zigarettenstummel. So roch es auch. Nach Bier, Zigaretten und Gras. Hoffentlich riecht das keiner der Nachbarn und ruft die Polizei. - Schoss es Kim durch den Kopf.
Langsam lief sie an den Rand der Menge. Dort zündete sie sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug, behielt den Rauch kurz in der Lunge und Atmete dann aus. Die Typen von der Bar schienen weg zu sein. „Da bist Du. Ich hab... Du rauchst?" - hörte sie plötzlich eine Stimme. „Manchmal. Bela, richtig?" - wollte sie wissen. Er nickte nur. „Wo sind'n deine Freunde?" - fragte sie verwundert. „Farin ist auf dem Klo und Sahnie hat glaub ick n' Mädchen gesehen." - erklärte er und grinste vielsagend. „Darf ich?" - schob er noch hintenan und meinte damit die Zigarette. Sie sah Bela erst erstaunt an, nickte dann aber und gab ihm die Kippe. „Wie bist'e zum Punk gekommen?" - wollte Bela wissen, nachdem er von der Zigarette gezogen hatte. Er schaute sie interessiert an. „Das weiß ick garnicht mehr so jenau. Aber ich fand die Musik einfach toll. Und es ist die Rebellion die mir gefällt. Gegen diese spießigen Regeln. Ich hab keine Lust nach der Pfeife anderer Menschen zu tanzen. Und Du?" - beendete sie ihre Rede. „So ähnlich." - erwiderte er nur. Gerne hätte Kim mehr erfahren, aber er schien ihr nicht mehr sagen zu wollen. Deshalb ließ sie es darauf beruhen. Zusammen rauchten sie die Kippe auf. „Ich spiel in ner Band. Zusammen mit den andern Beiden." - sagte Bela plötzlich. „Diss is ja cool. Was spielst'e für'n Instrument?" - Kim sah interessiert zu ihm herüber. „Ein bisschen Gitarre, aber hauptsächlich Schlagzeug. Und dazu singe ich dann auch manchmal." - erzählte er. „Hätte ich nicht gedacht." - meinte sie nur. „Und was machst Du sonst so in deiner Freizeit?" - fügte sie etwas später hinzu. „Neben der Band nicht viel. Ich lebe mit Farin in einer WG. Und ich hab nen Job in nem Damenbekleidungsgeschäft. Und bei dir?" - lachte er. „Ich hab so nen Job in einem Restaurant, als Kellnerin. Damit kann ich mich gerade so über Wasser halten. Ab und zu reichts dann auch mal für ne neue Platte. Ich hab, ehrlich gesagt, noch keinen Plan was ich mal machen möchte. Aber mit meinem Abschluss kann ich ein Studium ohnehin vergessen." - als sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, verließ ein kehliges Lachen ihren Mund. Bela sah sie etwas überrascht an. „Dem würde ich mich anschließen." - meinte er grinsend. Sie lachten.
Eine Band nach der Anderen betrat und verließ die Bühne. Mal mit mehr, mal mit weniger Applaus.
Die Stunden verstrichen. Es wurde viel getrunken, getanzt, gelacht. Mittlerweile lief die Musik über Lautsprecher, die mit einer Jukebox verbunden waren. Es waren nicht mehr so viele Leute da und die, die noch da waren,  hatten sich nach drinnen verzogen. Kim verstand sich gut mit den drei Jungs. Sie waren in ihrem Alter: Zwischen 19 und 21.
Sogar Melani hatte sie wieder gesehen. Auch wenn diese ihr nur kurz mitgeteilt hatte, dass sie mit jemandem nach Hause fährt. Na wenn das mal gut geht. - Hatte Kim nur gedacht und augenverdrehend den Kopf geschüttelt. Sie war gerade auf der Tanzfläche mit Bela, Farin und Sahnie, als der nächste Song gespielt wurde. Ein langsamer Walzer.
Hier und da hörte man ein empörtes Schnauben. Immerhin war dies eine Punk Veranstaltung. Aber auch Punks schätzten natürlich die „Traditionen". Jeder suchte sich einen Partner. Da hielt auch ihr jemand die Hand hin. Als sie aufsah, schaute sie direkt in Belas grüne Augen. „Darf ich bitten Mademoiselle?" - fragte er und hatte einen gewissen Glanz in den Augen. Sie grinste schelmisch und nahm dann seine Hand. Sie war warm und weich. Gemeinsam schritten sie über die Tanzfläche. Allerdings konnte keiner von Beiden wirklich Walzer tanzen, weshalb sie sich gegenseitig mehrfach auf die Füße traten. Beide lachten lautstark. - Jedesmal, wenn sie wieder fast umfielen. Am Ende lag ihr Kopf auf seiner Schulter und er hatte beide Arme um ihre Hüfte gelegt. „Wollen wir noch was trinken?" - unterbrach sie die Stille zwischen ihnen. „Ich dachte ich wär gut im Momente zerstören, aber das hat alles getopt." - erwiderte er grinsend und schob sie ein Stück von sich weg um sie besser ansehen zu können. Kim lief etwas rot an. Ja klar, diese Frage war in diesem Moment eher unpassend gewesen, aber sie wusste nicht was sie sonst hätte fragen sollen. Vielleicht nichts? - meldete sich die Stimme in ihrem Kopf. „Gerne. Worauf hast Du denn Lust?" - riss sie seine Stimme aus ihren Gedanken. „Wie wärs mit Bier?" - schlug sie vor. „Ich hab noch nicht viele Frauen getroffen, die freiwillig Bier trinken. Gefällt mir." - grinste er. Dann zog er sie schon in Richtung der Bar.
„Zwei Bier bidde."- sagte Bela zu dem Barkeeper und schob ihm ein paar Münzen über den Tresen. „Ich kann das auch gerne bezahlen." - kam es von Kim, doch Bela schüttelte nur den Kopf. „Wenn wir uns mal wieder sehen, dann könn'we ja im Zollhaus essen. Da kannst'e dann bezahlen." - grinste er. Sie brach in Gelächter aus.
Als ihnen das Bier zugeschoben wurde, stießen sie an. Der bittere Geschmack tat ihr gut. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Es waren nur noch gut zwanzig Leute da. Da blieb ihr Blick an der Uhr hängen, die an der Wand neben der Haupttür hing. Sie zeigte 01:34 Uhr.
Nach einer Weile fragte Kim: „Ich geh eine Rauchen. Kommst'e mit?" „Wieso nicht." - war seine Antwort. Und so verließen sie die Bar wieder.
Die kühle Nachtluft schlug ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten. Es war ein wenig frisch, aber immerhin windstill.
Kim zündete sich eine Zigarette an. Sie nahm einen Zug und schloss entspannt die Augen, bevor sie den Rauch wieder ausstieß. Nach ein paar weiteren Zügen reichte sie die Kippe weiter an ihren Begleiter.
Zwischen den Zügen an der Zigarette und dem Trinken von Bier sprachen sie miteinander. Es ging um Gott und die Welt. Die Beiden schienen sich sehr ähnlich zu sein. Es wurde viel gelacht und Beide wussten nicht, wann sie das letzte Mal so viel Spaß hatten.
„Hast Du eigentlich nen Freund?" - fragte Bela dann irgendwann. Kim lachte. „Ich? Nein, hat sich bisher nicht ergeben. Nur bedeutungslose Sachen." -Kurze Pause-
„Und Du? Hast Du eine Freundin?" - fragte sie neugierig.  „Ebenfalls nein. Nichts als OneNightStants und ehemalige Beziehungen." - erklärte er ihr. Sie nickte kurz. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein so gut aussehender Typ wie Du single ist." - meinte Kim dann. Dabei errötete sie leicht. „Diss kann ich nur zurück geben." - meinte er und grinste. Dann schwiegen sie erstmal. Bis Bela schließlich die Stille unterbrach.
„Ick glaub ick sollte ma' meine Jungs suchen. Wenn Du willst fahrn wir dich gerne nach Hause." - bot er an. „Nur wenn's keine Umstände macht." - meinte sie sofort. „Ach was, Umstände. Ich hab's dir ja anjeboten, also fahrn wa dich." - bestimmte er dann. So gingen die Zwei wieder ins Restaurant und machten sich auf die Suche nach Belas besten Freunden. Es dauerte eine Weile bis sie sie gefunden hatten. Aber dann gingen sie schon in Richtung Auto.
Es war eher klein und rot lackiert. Farin setzte sich ans Steuer, Sahnie auf den Beifahrersitz und Kim und Bela nahmen auf der Rückbank platz.
Sie lehnte sich gegen seine Schulter, voraufhin er seinen Arm um sie legte. Kim nannte Farin die Adresse und der rote Wagen ratterte los. Auf der Fahrt sprachen sie kein Wort mehr. Erst als das Auto vor dem Mehrfamilienhaus in Berlin Zehlendorf hielt, sprach der Fahrer: „Soh da wärn wir. Ditt macht dann 3 Mark und 57 Pfennig." Sie lachten. Farin hatte Kim von Anfang an in ihr Herz geschlossen. „Vielen Dank fürs mitnehmen Jungs. Man sieht sich bestimmt ma wieder." - gähnte Kim und winkte, während sie die Autotür öffnete. „Gute Nacht, Jungs." - rief sie.„Gute Nacht." - kam es von den vorderen beiden Sitzen. „Ich bring dich noch zur Tür." - entschied Bela und stieg mit aus. Zusammen gingen sie zur Eingangstür. Dort blieben sie stehen. „Es war ein wundervoller Abend. Ich weiß nicht wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte." - erzählte Kim wahrheitsgemäß.
„Geht mir genauso. Also, sehen wir uns wieder?" - fragte er hoffnungsvoll. „Auf jeden Fall. Wo ich wohne weißt Du ja jetzt, aber, -sie zog einen Stift aus ihrer Jackentasche und nahm seine Hand-, das ist die Nummer meines Telefons. Ruf einfach mal an, wenn Du Lust hast." - sie lächelte warm. „Danke." - hauchte er. Etwas zögerlich nahm er sie in den Arm.
„Na dann, gute Nacht." - sagte sie schnell und zog dabei den Schlüssel aus ihrer Tasche. „Ja, gute Nacht." - erwiderte er lächelnt und gab ihr noch einen Kuss auf die Wange. Dann drehte er sich um und ging zurück zum Auto, wo Sahnie und Farin schon ungeduldig warteten.
Auch Kim hatte jetzt die Haustür aufgeschlossen und lief nach oben in den zweiten Stock.
Im Flur ihrer kleinen Wohnung zog sie ihre Jacke und die Schuhe aus. Die Bad Routine vollführte sie im Schnell durchlauf und viel am Ende Tod ins Bett.
Was war da gerade passiert?

Am Anfang war der PunkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt