1. Das Telefonat

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"Der Winter ist den Kindern hold, die jüngsten sind's gewohnt,

ein Engel kommt, die Flüglein Gold, der guten Kindern lohnt." 

~Johann Wolfgang von Goethe


Wie jedes Mal wenn ein neues Weihnachtsmärchen in den Spielplänen angekündigt wurde, waren die Stücke rund um das Weihnachtsfest als erstes ausgebucht. Je länger es noch zu dem christlichen Fest dauerte, desto weniger Menschen waren überhaupt in der Stimmung sich auf das Fest zu freuen, da durch den Kauf der Geschenke immer öfter in Stressphasen kam. 

Auch heute war der Theaterraum deshalb nicht mal annähernd gefüllt. Dennoch fieberten einige Zuschauer auf den Beginn der Vorstellung hin. Dann begann das Licht im Hauptraum zu erlöschen und ein einziger Scheinwerfer, der auf die Bühne gerichtet war, erhellte einen leeren Punkt auf der Bühne. 

Nachdem dann die Musik aus dem Orchestergraben erklang, verstummten auch all die anderen Gespräche und die Augenpaare der Anwesenden richteten sich zu dem Geschehen auf der Bühne. Wenige Sekunden später, als die Trompeten sich in das Stück einmischten, streckte jemand seinen Kopf zwischen den Vorhängen hervor. In militärischer Kleidung tauchte eine andere Person am Seitenaufgang zur Bühne auf. Sofort verschwand der Kopf wieder hinter den Vorhängen. Weitere Lichtstrahler richteten sich auf die Bühne und nach und nach kamen immer weitere Personen auf die Bühne. 

Nachdem die vier Personen von dem Seiteneingang hinter den Vorhang gelaufen waren, tauchte erneut der Kopf auf und linste durch den Spalt der Stoffe. 

„Sind sie weg?", erklang eine leise unsichere Stimme, die dem Darsteller gehörte. Sein Licht bewegte sich vom Vorhang weg, auf den Weg zum Seitenaufgang. Dann verschwand er die Treppenstufe nach unten. Dann zogen sich die Vorhänge auf und ein Mann im schwarzen Anzug betrat die Bühne. 

„Herzlich willkommen für unserer heutigen Märchenstunde, lehnen sie sich zurück und lassen sie die Geschichte auf sich wirken.", lachend setzte sich der Mann auf einen einsamen Stuhl neben einem Tisch und schlug die Beine übereinander. 

Dann begann die Nebelmaschine die Bühne in grauen Rauch zu tauchen.

„Ich will auf der Stelle wissen, warum dieser Mann euch entwischt ist?", die Stimme der Chefin war wie immer eiskalt. Mir lief durch den wütenden Unterton, den sie meistens schaffte zu überspielen, ein Schauer über den Rücken. Was auch immer passiert war, es war definitiv nichts einfaches. „Wie Sie wissen es nicht? Ich habe Sie nicht eingestellt, dass Sie etwas nicht wissen, finden Sie es verdammt noch mal heraus. ", schrie sie förmlich. 

Da ich etwas anderes abklären musste, klopfte ich leise an die Tür, obwohl ich mir sicher war, dass sie mich ohnehin schon auf dem Flur gehört hatte. Doch bevor ich eine Antwort erhielt, kamen eine weitere Person in den Flur und zuckte gleich bei der nächsten aggressiven Antwort der Vampirdame zusammen.

„Monsieur, ich scheine mich nicht richtig ausgedrückt haben. Mir sind Ihre Antworten oder Entschuldigungen egal, ich will Fortschritte und die entführten Akten zurück, sonst werde ich Sie von diesem durchaus wichtigen Fall abziehen!", versuchte sie sich wieder etwas förmlich auszudrucken.

Mein Blick glitt wieder zu Florian, dessen verzehrter Gesichtsausdruck meinen inneren Gefühlszustand gut beschrieb. „Na, ist Xam wieder besonders gut gelaunt?", erkundigte er sich mit einem sarkastischen Unterton, was ich mit einem leisen Kichern beantwortete. 

Während wir ganz wie kleine Jungs mit unseren Augen durch den Türspalt linsten und versuchten so viel wie möglich zu erkennen. Stöhnend legte Xam, nachdem sie ihr Handy den Tisch wiedergefunden hatte, ihre Hände auf den Kopf. Irgendwie tat sie uns leid, wie sich ihre Finger in ihr schneeweißes Haar grub. Während wir drei so für einige Momente dastanden, kam unserer neuster Rekrut aus dem inneren Kreis und lief pfeifend den Gang herunter. Als er uns dabei erwischte, wie wir durch die Tür unserer Chefin schauten, verstummte das fröhliche Pfeifen und auch Xams Stimme erklang mit einem tiefen Seufzen. 

Weihnachtsmärchen - Das One-Shots BühentheaterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt