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„Tamiah, wie fühlst du dich heute?"

Tamiah spielte mit ihren Fingern und starrte zu Boden. Ihre Unterlippe war blutig vom vielen Draufbeißen.

„Na wie wohl?", keckerte Billy, soweit vorgelehnt wie es nur möglich war, wenn man an dem Stuhl festgebunden war. „So wie immer." Er senke die Stimme, als ob er ein Geheimnis erzählen würde. „Sie hat an ihren Armen gekratzt. Schau, so viel Blut."

„Billy, du bist nicht an der Reihe." Die Frau sah ihn nicht einmal an. „Nun, Tamiah?"

„N-nicht so gut..." Sie versuchte ihre wunden Handgelenke zu verbergen – vergeblich.

Die Frau schrieb etwas auf ihr Klemmbrett, dann wandte sie sich Klein Amy zu. „Und du, Amy? Wie geht es dir?"

Verschreckt sah Klein Amy auf. „Okay, denke ich-" Billys gackerndes Lachen unterbrach sie. „Du wolltest dich mit dem Plastikmesser schneiden, beim Frühstück, ich hab's gesehen." Wieder wurde seine Stimme zu einem kaum hörbaren Raunen. „Vielleicht sollten sie dir auch die Hände binden, so wie mir. Hm, Klein Amy?"

Die Frau warf ihm einen scharfen Blick zu. „Billy, möchtest du uns von deinem Tag erzählen?"

Billy lehnte sich zurück. „Mir geht's gut! Ich habe heute einen Vogel gesehen und wollte ihn nicht töten."

Die Frau notierte etwas. „Das ist gut. Und was hast du danach gemacht?"

Billy keckerte. „Danach? Ah, die Kamera, ja die Kamera." Er lehnte sich wieder vor. „Ich habe die Kamera beobachtet."

Die Frau wirkte überrascht. „Die Kamera beobachtet? Wieso das denn?"

„Das ist äußerst faszinierend, ja wirklich." Er leckte sich die Lippen. „Das Licht geht an, aus. Immer wieder. An, aus, an, aus. Und wieder von vorne. An, aus." Billy nickte selbstgefällig.

Seufzend stand die Frau auf. „Wir beenden diese Gruppensitzung." Sie gab dem Mann an der Tür ein Zeichen. „Gib Billy seine Medikamente."

„Na komm, Billy Boy", meinte der Mann, als er Billy befreite.

„Billy Boy? Billy Boy?" Sobald er frei war, versuchte Billy dem Mann zu entwischen, kam aber nicht weit. „Muss man das ‚Boy' dazusagen? Ist es nicht offensichtlich, dass ich kein ‚Billy Girl' bin? Oder gibt es vielleicht noch einen anderen Billy, den du nur Billy nennst. Oder nein, am anderen Ende des Flurs gibt es noch eine Billie, richtig, nicht wahr? Die nennst du dann ‚Billie Girl', ja?" Billy lachte. „Ich verstehe, ich verstehe."

Der Mann legte ihm zwei Tabletten auf die Zunge, eine Weiße, eine Blaue, wie immer.

Weiß wie die Wände, wie der Boden, wie die Decken, die Betten, die Kittel, die Westen, die Haare. Blau wie die Seifenspender.

Billy schluckte sie trocken, ohne Wasser.

„Die schmecken nicht", murrte er, als der Mann ihn zurück in sein Zimmer brachte, um ihn für die Nacht fertig zu machen. „Vielleicht mit Orangensaft, ich hatte schon lange keinen Orangensaft mehr. Nächstes Mal mit Orangensaft, ja?"

„Vielleicht, Billy Boy, vielleicht. Wir werden sehen."

Erstaunt sah Billy zu dem Mann auf, nie sprach jemand mit ihm, wenn er nicht gerade in der Therapiestunde war. „Ja, vielleicht."

Billy grinste, als er sich, geduscht und die Zähne geputzt, auf das Bett legte. Bereitwillig hielt er dem Mann sein Handgelenk hin, der es an den Bettpfosten kettete. Billy mochte ihn.

Als der Mann das Licht löschte und die Tür schloss, fand Billys Blick die immerzu blinkende Lampe an der Kamera. An, aus, an, aus.

Billys Lider senkten sich.

An, Aus.

An.

Aus.


Blau wie die SeifenspenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt