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Billy schob die Tabletten im Mund herum. Eine Weiße, eine Blaue. Weiß wie die Wände, wie der Boden, wie die Decken, die Betten, die Kittel, die Westen, die Haare. Blau wie die Seifenspender.

So wie immer.

Der Mann hielt ihm ein kleines Päckchen mit Strohhalm hin. „Orangensaft, wie versprochen, Billy Boy."

Billys Augen leuchteten, als er den Halm zwischen die Zähne nahm. Schnell würgte er die Tabletten hinunter und nahm noch einen großen Schluck. Warm und süß rann es seinen Rachen hinab. „Das schmeckt gut", kicherte er. „Fast wie Honig." Er runzelte die Stirn. „Wie schmeckt Honig?"

Billys Blick irrte durch den fensterlosen Raum. Jungen und Mädchen in seinem Alter saßen mit ihrem Mittagessen an den runden Tischen und redeten miteinander - oder auch nicht.

Billy ließ die Finger knacken, heute war einer der seltenen Tage, an denen er keine Zwangsjacke tragen musste. Er war ein braver Junge gewesen. Dafür folgte ihm der Mann auf Schritt und Tritt.

„Willst du dich nicht auf deinen Platz setzen, Billy Boy?", fragte der Mann und sah sich ebenfalls um.

„Bist du neu, Orangenmann?" Billy kicherte über den Spitznamen. „Sie bringen mir mein Essen immer auf mein Zimmer - heute nicht." Billy schnalzte in einem unregelmäßigen Rhythmus mit der Zunge. „Ich habe hier keinen Platz... sie wollen mich nicht hierhaben." Ein neuerliches Kichern schüttelte ihn. „Sie haben Angst vor mir, Orangenmann."

„Setz' dich doch einfach irgendwo dazu. Wenn sie dich kennenlernen, werden sie keine Angst mehr vor dir haben."

Billy sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Du hast keine Angst, ja?" Seine Mundwinkel zuckten nach oben. „Orangenmann, unterschätz' mich nicht! Ich kann vieles, mal sehen, zum Beispiel... Da! Fett-Johnny! Sein Bruder, der Bruder von Fett-Johnny, er hat etwas gesagt... und jetzt darf er nicht mehr herkommen, weil ich ihn geschlagen habe. Nur ein bisschen, aber er darf nicht mehr. Nicht wenn ich da bin, meine ich, nur dann darf er nicht kommen, der Bruder von Fett-Johnny."

Er deutete auf ein Mädchen an dem Tisch neben dem von Fett-Johnny. „Rothaar Zahra hat's gesehen. Hat geschrien und danach Tabletten bekommen, die Rothaar Zahra. Jetzt hat sie immer Panikattacken, wenn ich da bin. Und wenn der Bruder von Fett-Johnny da ist, dann auch, hat eine von den Frauen gesagt. Sie zittert dann und weint und fährt sich durch die roten Haare. Dann verheddert sie sich in den Strähnen und reißt sie aus." Billy gluckste. „Dann kann sie sich gar nicht wehren. Ist ganz hilflos, die Rothaar Zahra. So allein... und dann will ich ihr wehtun! Aber nur manchmal."

Mit glänzenden Augen starrte er zu dem Mann hoch, das irre Grinsen noch immer auf den Lippen. „Weil sie so allein ist, weißt du, Orangenmann? Und alle können es sehen, Rothaar Zahra, wie sie so allein ist, ganz allein... Hundert Leute rundherum und alle können es sehen. Rothaar Zahra, ganz allein."

Billys Blick bohrte sich jetzt in Zahras Hinterkopf. „Und keiner merkt, dass sie selbst genauso allein sind."




Blau wie die SeifenspenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt