O4 | ALICE

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Ich schreckte verwirrt und ertappt aus meinen Tagträumereien auf, versuchte das jedoch zu überspielen.

Ich vermied es, Sahra auch nur ansatzweise anzuschauen, nachdem ich eben so von ihren Beinen in den Bann gerissen wurde.

Meine Hände fanden ihren Halt wieder an dem Redepult, an welchem ich mich festklammerte. "Könnten Sie die Frage noch einmal wiederholen?", fragte ich, an den Moderator gerichtet.

Konnte er und ich versuchte souverän zu antworten. Ich versuchte - und scheiterte. Sahra antwortete auf meine Sätze und stampfte schon wieder alles, was ich mir an Struktur aufgebaut hatte, in Grund und Boden.

Wie machte diese Frau das? Ich riskierte doch wieder einen Blick zu ihr. Während sie redete, unterstützt sie Gesagtes mit Gesten. Ich liebe es, wenn Leute das machen.

Diese Art zu reden unterstreicht Gesagtes und offenbart eine Leidenschaft hinter den besprochenen Themen. Diese Handbewegungen sind schon ziemlich flink.

Wie sie sich wohl anstellen würde?

Als hätte man mir Wasser übergegossen, schüttelte ich mich kurz, um diesmal wirklich bei der Sache zu bleiben und die Gedanken endlich loszuwerden.

Ein Grinsen schmuggelte sich auf Sahras Lippen, als sie das aus dem Augenwinkel wahrnahm. Ich blickte umher und fand, wonach ich suchte. Die Digitalanzeige.

Noch zwanzig Minuten. Danach könnte ich entspannt etwas trinken, auf Toilette gehen, um mich abzukühlen und wäre trotzdem noch pünktlich zu Hause, um den Heizungsableser reinzulassen.

Sahra müsste einfach mal den Mund halten, dann wäre sie so eine schöne Frau. Wie könnte ich ihr näher kommen, damit ich sie zum Schweigen bringen kann?

Unterbewusst biss ich mir auf meine Unterlippe, während ich darüber nachdachte und hing wieder an Sahras Lippen.

'Alice, reiß dich bitte zusammen, bitte!' Auf die innere Stimme hätte ich jetzt verzichten können.

Ich wechselte meine Sitzposition und überschlug meine Beine. Um irgendetwas anderes zu tun, leerte ich das Wasserglas, welches vor mir stand. Ich wusste langsam nicht mehr wirklich, wohin mit mir.

Mir war warm, ich war abgelenkt und die Themen waren sowieso langweilig. Meine Finger fuhren in die Tasche meines Anzugs und griffen nach Sahras Feuerzeug. Ich begann, mit dem Zündrädchen zu spielen.

Nach einem wiederholten, unauffälligen Blick zur Digitaluhr wusste ich - noch fünf quälende Minuten.

in another life - weidelknechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt