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Mit nicht all zu großer Begeisterung nahm ich das blaue Stück Papier in die Hand und faltete es auseinander. Neben mir hüpfte Pippa schon ganz aufgeregt herum, und strahlte mich hyperaktiv an. 
»Los, jetzt lies dir das mal durch!«, kreischte sie schon fast, weshalb ich den blauen Zettel ganz langsam richtig herum drehte und mir extra Zeit gab, ihn zu mustern. Meine beste Freundin hatte meine Spielchen natürlich durchblickt und starrte mich mit grimmigen, zu Schlitzen verformten Augen an. 

»Kay Winter, das ist nicht lustig!«, tadelte sie mich mit erhobenem Zeigefinger und grollender Stimme, was mir jedoch nur ein ersticktes Lachen entlockte. 

Doch so langsam wollte auch ich wissen, was das in meiner Hand war und ließ endlich meine Augen über das Papier schweifen. Keine drei Sekunden später stellte ich fest, dass es nicht einfach nur ein sinnloser blauer Zettel war auf dem jemand vielleicht für Pippa ein Herz gezeichnet hatte. Es war etwas komplett anderes, mit dem ich so gar nicht gerechnet hatte.
Denn es war ein Flyer, auf dem in schnörkeligen, goldenen Buchstaben ganz groß das Wort ›Maskenball‹ drauf gedruckt war. 

In Zeitlupe drehte ich meinen Kopf zu der Person neben mir, die mich immer noch erwartungsvoll beobachtete und zum Glück aufgehört hatte zu hüpfen  - das konnte einen nämlich ziemlich verrückt machen -, aber dafür sah sie mich nun mit so einem Blick an, den zu neunundneunzig Prozent kein Horrorclown besser hin bekommen hätte. 

»Wir gehen da übrigens hin«, teilte sie mir mit und fügte noch hinzu, falls ich es nicht gerafft hatte: »Wir beide.« 
Denn sie wusste ganz genau, dass ich auf keinen Fall da hin gehen würde, ›um mich zu amüsieren‹, wie Pippa es jetzt sicher ausgedrückt hätte. 

»Nie und nimmer geh ich da hin! Meine Eltern erlauben das ganz bestimmt nicht und ich hab da sicher keine Zeit.« Ich redete so schnell, dass mich Pippa nur mit Mühe verstehen konnte, aber ich hatte einfach die Hoffnung, dass wenn ich ganz schnell reden würde, sie aufgäbe und ich dort nicht mit hin musste. 

»Süße, denkst du nicht, dass deine Elter sich mal freuen würden, wenn du was unternimmst?«, sagte sie, und bevor ich was erwidern konnte, plapperte die Brünette weiter. »Und was solltest du denn bitte vorhaben? Kay, du hast immer Zeit!« 

Das waren miese Argumente, echt, sie wäre perfekt für einen Debattierclub geeignet. Doch so einfach gab ich mich ganz bestimmt nicht geschlagen! 
»Ich habe nicht immer Zeit«, fing ich trotzig an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich muss da sicher Simba füttern, oder treffe mich mit Max.« 

So stolz ich auch war, musste ich zugeben, wie schlecht meine Antwort gewesen war. Simba füttern? Auf so dumme Ideen kaum auch nur ich. Und, dass ich mich abends mit meinem Freund traf, war höchst unwahrscheinlich, und so wie ich meine Freundin kannte, wusste sie das auch. 

»Kay, also bitte. Du kommst mit und damit basta!« Pippa konnte echt eigensinnig sein! Anscheinend musste ich mich doch geschlagen geben, plötzlich aber fiel mir noch ein Gegenargument ein, was ich bringen konnte. 

»Aber Pippa, wir haben keine passende Kleidung für einen Maskenball. Oder jedenfalls ich nicht«, erklärte ich ihr ruhig, und betrachtete sie, wie sie nachdenklich auf ihrer Lippe herum kaute. In mir spross schon die leise Hoffnung, dass sie dieses Argument zu Fall gebracht hatte und sie es schlussendlich aufgab mich überzeugen zu wollen. 

Doch dann erhellte sich ihre Miene und meine Freundin lächelte mich triumphierend an. Bei diesem Anblick wurde mir sofort übel, der hatte noch nie etwas gutes für mich bedeutet. 
»Tja, dann wird unsere Kleidung halt passend gemacht! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!«, zitierte sie irgendjemanden - sie mutierte ja langsam tatsächlich zu meiner Mutter über -, was mir ein Stöhnen entlockte und genervt schlug ich meine Hand gegen die Stirn. 

Der Tag hatte doof angefangen, und so ging er anscheinend auch weiter. 

»Und wie wollen wir bitte was passend machen?«, fragte ich Pippa überhaupt nicht überzeugt, und man konnte deutlich meine Missbilligung aus meiner Stimme heraus hören. 
Beruhigend klopfte sie mir auf die Schulter, was es nicht gerade besser machte, und tippte mir auf die Nasenspitze.
»Mit Nadel und Faden.« 

Jetzt war meine Laune definitiv am Boden und sank immer tiefer ein. Kopfschüttelnd fragte ich ergeben: »Wie lange haben wir Zeit?«

Mit spitzen Fingern zupfte die Brünette mir den Flyer aus der Hand und ließ ihren Blick darüber schweifen. »Bis nächste Woche Freitag. Das müsste machbar sein.«

Also hatte ich noch knapp zwei Wochen Zeit, um mich innerlich auf diesen Schrecken vorzubereiten. Ich wusste jetzt schon, dass ich es bereuen würde, dort aufzutauchen. In meinem Gehirn spielte sich schon ein grauenhaftes Szenario nach dem anderen ab, denn ich wusste, dass ich da sicher nur dumm herum stehen und zusehen würde, wie Pippa sich amüsierte. 

»Steht da eigentlich eine Altersbegrenzung auf dem Flyer drauf? Für den Maskenball mein ich, denn ich bin nicht gerade motiviert dazu, mit uralten Männern zu tanzen«, fragte ich schnippisch und verzog mein Gesicht grimmig. 

Sie hob neben mir die Hand, um mir zu symbolisieren, dass ich kurz warten sollte. Noch einmal studierte sie den blauen Zettel mit zusammengekniffenen Augenbrauen und hielt ihn mir dann direkt vors Gesicht. »Ja, guck mal, hier in der Ecke steht ›Für einschließlich alle Sechzehn- bis Zwanzigjährigen‹, und wie alt bist du?«

Pippa wusste wie alt ich war, aber trotzdem antwortete ich missmutig: »Sechzehn.« 
Damit war mein Schicksal jetzt wohl endgültig besiegelt, aber immerhin hatte ich jetzt keine Angst mehr davor, mit alten Leuten tanzen zu müssen, oder die Sorge, die einzigen zu sein, die unter zwanzig waren.

Als ich wieder meinen Blick von dem Flyer - den mir Pippa immer noch vor die Nase hielt - abgewandt hatte, kam auch schon unsere Schule in Sicht, vor der sich die Jugendlichen in kleinen Trauben versammelt hatten und warteten, dass es endlich rein ging, um sich vor dem Mistwetter in Sicherheit zu bringen. 

Die Brünette und ich betraten ebenfalls den Schulhof, dann schloss Pippa ihr heiß geliebtes Fahrrad an, während meine Blicke suchend über das Gelände schweiften - in der Hoffnung, Max zu entdecken. 

Und da stand er, etwa zwanzig Meter von uns entfernt, mit seinen Freunden in einem kleinen Kreis. Fast hätte ich ihn übersehen, denn er hatte seine blonden, wilden Locken unter einer schwarzen Mütze versteckt, obwohl er Mützen hasste. Wahrscheinlich hatte seine Mutter ihn dazu gezwungen, eine aufzusetzen - was ich mir bei ihr gut vorstellen konnte. 

Ich beobachtete ihn schweigend von den Fahrradständern aus, bis Pippas Stimme mich herum fahren ließ: »Du kannst ihn doch mit zum Maskenball nehmen, Kay, da freut er sich sicher.« 


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