Das unbekannte Vertraute, Teil 1

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Haus konnte man es nicht wirklich nennen, es war eine kleine Hütte, welche offensichtlich ziemlich alt zu sein schien. Sämtliche Häuser und Hütten im Dorf waren von Familienangehörigen der jeweiligen Vorfahren selbst erbaut. Es war ihr Glaube, dass nur das Werk der eigenen Familie Glück bringen konnte. Florence war dies also schon gewohnt. Diese Hütte jedoch bescherte Florence Gänsehaut. Ein Schauer machte sich in ihr breit. Das war neu für sie.

So oft kam sie nun schon an Alendusas Hütte vorbei, sah sie bei Dorffesten persönlich. Doch nie hatte sie sich zuvor so unbehaglich gefühlt wie in diesem Moment.

Wind kam auf, es schien als würde der Wind mit ihr reden. Wie ein leises wispern, das jemand versucht, ihr zukommen zu lassen. Langsam und sanft streifte der Wind durch ihre schwarzen lang gelockten Haare. So ungefährlich sich der Wind auch anfühlte, Florence hatte das Gefühl, er wolle sie vor etwas warnen. Das waren schon zwei deutliche Zeichen für sie, die sie nur darin bestätigte, dass sie sich das nicht auch antun sollte. Mit wilden Flügelrauschen setzte sich nun ein Rabe auf das Dach der Hütte. „Jetzt wird es klischeehaft" dachte sich Florence. All dies konnte kein Zufall sein. Würde es nach ihr gehen, würde sie auf all die Warnungen achten und wieder Kehrt machen.

„Du nimmst das alles viel zu ernst Shiva!"

Die Stimme ihres Vaters riss Florence aus ihrer Trance heraus. Er versuchte mit seiner Frau Schritt zu halten. Shiva jedoch war fest davon überzeugt, dass die Einhaltung der Traditionen wichtig sei. Mittlerweile ignorierte sie ihren Mann und lief zielstrebig weiter.

Desto weiter sie an Alendusas Hütte kamen, desto lauter wurde die innere Stimme in Florence, die sie warnte. Sie war schon fast nicht mehr zu ignorieren. Ihr schwirrte der Kopf. Es war als ob eine Horde von Menschen zugleich auf sie einredeten.

Die Hand ihrer Mutter packte sie am Arm. „Ich bin so aufgeregt, was meinem Mädchen bevor steht". „Da bist du aber auch schon die einzige" dachte sich Florence. Hilfesuchend schaute sie ihren Vater Teebert an. Doch dieser zuckte verzweifelnd mit den Schultern und flüsterte ihr ins Ohr „Ich schulde dir dafür was, aber tu ihr bitte den Gefallen, du weißt sie gibt sonst nie Ruhe". Florence brummte ein mürrisches „Mhm" und atmete tief ein.

Alendusas Bestimmungen waren der Lebensinhalt der Dorfbewohner von Lexandria. Ohne sie würden die Leute nicht wissen, was sie im Leben zu tun hätten. Es war das, was sie leitete und voran trieb. Was Florence daran störte, war die Tatsache, das ihnen allen der freie Wille geraubt wurde und sie es nicht mal wussten. Sie selber wusste immer, es müsste auch einen anderen Weg geben. Einen freien Willen geben. Selbstbestimmung. Der Grund für ihren Glaube war ihr Vater. Als sie noch ein Kind war, begleitete Florence ihren Vater auf einen Jagd und Campingausflug. Dort erfuhr sie sehr viel über sein Leben, bevor er auf ihre Mutter traf. Teebert stammte von einer benachbarten Insel namens Movana. Dort gab es so etwas wie Bestimmungen, die einem vorhergesagt werden nicht. Jeder hatte seinen freien Willen. Anfangs verstand Florence nicht, was ein freier Wille war, bis es Teebert ihr erklärte.

„Bei einem freien Willen, entscheidest du selber was du machen möchtest und was nicht. Was für dich richtig ist und was nicht. Ohne das dir jemand vorgibt, was du sein möchtest, sagen oder machen möchtest. Was du anziehen oder essen möchtest. Einen freien Willen zu haben, bedeutet sich sein Leben so zu gestalten, wie man es selbst für richtig erachtet."

Florence fragte ihren Vater, warum es in Lexandria so dermaßen anders war.

„Weißt du Flo, andere Dörfer, andere Sitte. Das müssen wir respektieren, ob es uns gefällt oder nicht. Ich bin für den freien Willen. Ich finde es schön zu sehen, wie jeder Mensch sich selber entwickeln kann. Sich frei entfalten kann. Aber manche Menschen brauchen diese Hilfe vielleicht. Sie wollen sich eventuell davon inspirieren lassen. Wer weiß." An diesen zwei Tagen erfuhr Florence viel über die Beziehung ihrer Eltern. Sie war schon immer sehr wissbegierig gewesen. Ihr Vater war immer erstaunt und begeistert darüber was und wie viel seine Tochter wissen wollte. Florence konnte sich nicht vorstellen, jemanden gerne zu haben oder gar jemanden lieben zu können, der nicht möchte, das Menschen einen eigenen Willen haben. Als sie ihn eines Abends fragte, wie er Mama bei so einer wichtigen Einstellung dennoch lieben und mit ihr leben könne, lächelte er.

„Eines Tages wirst du es verstehen können. Mit viel Glück im Leben triffst du auf einen Menschen, der so viel mehr aus dir macht, ohne dich jedoch von Grund auf zu verändern. Gutes natürlich. Eine Person, die dich liebt wie du bist, mit allen Macken. Jemand, der mehr positive Seiten an sich hat, als negative. Und wenn du die Person wirklich liebst, und diese negativen Seiten nur Kleinigkeiten sind, dann kannst du viel leichter drüber hinweg sehen. Dann beschäftigt man sich nur mit dem guten. Weil man weiß, ohne die Person, wäre das Leben nur halb so schön. Deine Mutter, hat aus mir einen neuen, mutigen Menschen gemacht. Einfach in dem sie da war, als es sonst keiner war. Mir zuhörte, als es sonst keiner tat. Sie stärkte mich in meinen Wünschen und Träumen und nahm mich als einzige ernst"

Von ihrer Mutter an der Hand gezogen betritt sie nun Alendusas Hütte. Sie ist finster und strahlt eine finstere Aura aus. Florence hatte bisher nie auf so etwas wie eine Aura geachtet, doch hier stimmte etwas für sie ganz und gar nicht. Von der Decke hingen schwarze Traumfänger. Noch nie hatte sie diese in schwarz getaucht gesehen. Die Hütte war nur wenig mit Tageslicht beflutet. Es gab ein mittelgroßes Fenster, welches sich rechts vom Eingang befand. Dort hatte man einen direkten Ausblick auf den Marktplatz, wo das meiste Geschehen in diesem Dorf sich abspielte.

Links vom Eingang war ein großer Rundbogen in der Wand eingearbeitet, der womöglich in einen anderen Raum führte. Verdeckt wurde der Übergang von einem schwarzen Vorhang, bestickt mit unzähligen kleinen Perlen. Die Decke war ausgeschmückt von einem riesigen Netz. Dort lagen viele Decken mit schwerem Gepäck drin. Zu gerne würde Florence wissen, was dort versteckt war. Die Dorfälteste hatte mit Sicherheit viele dunkle Geheimnisse.

An den Wänden waren überall Meter hohe Regale, gefüllt mit breiten Gläsern. Allesamt verschlossen. Merkwürdige Geschöpfe waren dort in Gelee getaucht. Gegenüber der Eingangstür befand sich ein mittelgroßer, runder Tisch auf dem ein Kessel platziert war. Aus diesem tauchte immer wieder ein merkwürdiger Rauch auf, getaucht in den unterschiedlichsten Farben. Mal lila, mal aquamarinblau, mal grün,gelb alles war dabei. Um den Kessel herum standen kleinere Gefäße aus Ton, mit verschiedenen Pulver darin. Ein Mörser lag daneben. Florence runzelte die Stirn. All das erschien ihr so vertraut. Als sei sie bereits hier gewesen. Doch wusste sie, das sie nie zuvor hier gewesen war.

„Florence sei nicht so neugierig, benimm dich wie eine Frau und warte bis du dran bist" ermahnte sie ihre Mutter. Doch sie hörte Shiva kaum. Florence wollte wissen, was sie umgibt. Sie wollte auf alles vorbereitet sein. Sie traute Alendusa nicht. Doch dann schweifte ihr Blick vom Kessel ab und wurde von etwas anderem angezogen.

Zwischen den Regalen befanden sich Gemälde an der Wand. Florence konnte ihre Bedeutung nicht erkennen. Ihre Mutter erzählte immer, das die Gemälde in dieser Stadt eine Geschichte erzählten. Die meisten Bewohner des Dorfes hatten Gemälde ihrer Familiengeschichte an der Wand hängen. So konnte nie in Vergessenheit geraten, was alles im Laufe der Jahre passiert war und was ihre Familie ausmachte. Auf diese Art konnte sich jeder an die Traditionen halten.

Florence näherte sich dem größten Gemälde in dem Raum. Es hing an der Wand, über dem sich der Kessel befand. Kleinere Gemälde umringten das große Gemälde. Sie mussten zusammen gehören. Doch viele von ihnen waren umhüllt, wie von einem Nebelschleier. Einige andere befreiten sich von ihrem Schleier als Florence sich ihnen näherten. Sie erkannte die Umrisse einer jungen Frau, mit langen Haare, es sah aus, als sei sie hektisch in Bewegung. Raben folgten ihr durch die Lüfte und die Umgebung sah wie ein dunkler, gruseliger Wald aus. Eine innere Stimme wollte, dass sie dem auf dem Grund geht. Sie wollte erfahren, was es damit auf sich hat. Irgendetwas kam ihr so vertraut vor. Es schien so, als ob sie ein Anrecht darauf hätte, diese Geschichte zu erfahren. Florence streckte ihre Hand nach einem der Gemälde aus,eine innere Stimme ermahnte sie, doch ihr Bauchgefühl musste es wissen.

„Deine Bestimmung wirst du dort nicht finden! Die bekommst du nur von mir! Man verliert nach der Zeit seinen Verstand, wenn man sich zu sehr mit Dingen beschäftigt, die nicht für einen bestimmt sind! Also halte dich lieber fern von meinen Sachen, du junges Ding!" donnerte eine dunkle, alte und zornige Stimme direkt hinter Florence los.

Florence drehte sich vorsichtig um und schaute auf.

Alendusa stand ihr nun gegenüber.

Florence Magische SucheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt