Ich sehe ihn nicht wieder. Weder einen Tag später, noch zwei oder drei Tage später. Es ist, als wäre er vom Erdboden verschlungen worden, und das treibt mich nach und nach in den Wahnsinn. So oft ich auch versuche mich davon abzulenken, an etwas anderes zu denken...er kämpft sich immer wieder zurück an die Oberfläche meiner Gedanken. Es ist, als würde er nur noch mit einem Finger an einer Klippe hängen, und dann, bevor er fällt, reicht ihm mein Kopf eine ganze Hand und zieht ihn zurück in Sicherheit. Dorthin, wo er bereits einen warmen, geborgenen Platz hatte. Dorthin, wo immer ein Platz für ihn frei sein wird.
Die Tatsache, dass ich in mir immer Platz haben werde, um sein Herz an meines zu lassen, macht mich müde. Ja, es ermüdet mich wortwörtlich ständig an ihn denken zu müssen.Nach 5 Tagen, in denen ich ihn weder gesehen noch irgendwo vermutet habe (und ich bin die Straßen oft genug abgefahren), versuche ich ihn offiziell aus meinem Kopf zu verdrängen. Am Ende des Tages, beim Abendessen allein an meinem Esstisch, höre ich einen Song im Radio, der mich an ihn erinnert.
Ich hab das Radio ausgeschaltet.Nach 7 Tagen, in denen ich versucht habe weniger an ihn zu denken, kann ich abends nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, denke ich, dass er dort stehen wird wenn ich sie öffne. Mit einer Waffe in der Hand, die er auf meine Stirn richtet. Ich bekomme Gänsehaut wenn ich daran denke wie er mich angeschrien hat. Wenn ich darüber nachdenke, dass er wieder Drogen konsumiert und vielleicht irgendwo in einer Ecke liegen könnte. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich ihn mir so vorstelle. High oder betrunken...beides...vollgepumpt mit Kokain oder irgendwas anderem.
Nach 13 Tagen sagt mir Phil, dass ich blass im Gesicht aussehe und etwas Farbe vertragen könnte. Er sagt mir auch, dass ich irgendwie das Glänzen in meinen Augen verloren habe, was mir Sorgen machen sollte - aber das tut es nicht. Wir sind auf Streifenfahrt und er sieht neben mir zum Fenster raus. Eigentlich wollte er fahren, doch ich hab darauf bestanden zu fahren, damit ich mich auf etwas konzentrieren kann.
„Ich sag ja nur...du wirkst so anders."
Ich sehe kurz zu ihm rüber.„Ich hab einfach eine Menge Gedanken."
„Das merke ich. Ich kenn dich."
Kennt er mich wirklich? Oder kennt er nur die Version von mir die ich jedem hier zeige? Die Jade, der niemand was anhaben kann. Die Jade, die zu stolz ist um zu sagen was sie empfindet, und nicht die, die zu viel Angst hat ihre Gedanken preiszugeben. Alle kennen nur das, was ich sie sehen lasse. Keiner hat mich hier jemals so verletzlich gesehen...
„Rote Ampel"
„Ich seh's"
Es ist bei uns immer so. Gespräche die er und ich führen laufen selten über unsere Arbeit hinaus, und wenn sie es tun, dann bin ich tatsächlich die, die immer abblockt. Wenn ich ihn lassen würde, dann wäre er sicher gar kein schlechter Kerl.
„Wir sollten mal auf ein Date gehen."
„Phil..."
„Ich meine, wir hatten zwar unseren Spaß und ich weiß auch dass du willst, dass es keiner rausbekommt, aber wir sollten mal auf ein Date gehen."
„Ich date keine Kollegen."
„Vielleicht solltest du das mal."
„Das gehört sich nicht."
„Jade, du kannst doch gar nicht wissen, was alles aus uns werden könnte, wenn du uns keine Chance gibst."
Ich halte am Fahrbahnrand nahe der Stadt an, um ihn vernünftig ansehen zu können. „Ich sag ja nur..."„Siehst du das hier?", ich zeige auf meine Uniform, dann auf seine, „Das ist der Grund wieso wir nur Sex hatten, mehr nicht. Und selbst das hätten wir nicht haben sollten. Wir sind Kollegen und du kennst doch sicherlich das Sprichwort-"
„Komm mir nicht mit irgendwelchen Sprichwörtern. Du weißt so gut wie ich, dass wir gut funktionieren würden." Seine Augen funkeln als er das sagt, und ich möchte mich gerne einfach nur von einer Brücke stürzen. Ich mag ihn. Ich mag ihn wirklich. Das Problem ist...ich werde Tj einfach nicht los.
„Bitte sag was."„Was soll ich denn sagen?"
„Dass du mich magst, dass ich mich verpissen soll, irgendwas..."
„Okay Phil, ich mag dich." Er grinst. „Ich mag dich, aber ich mag dich nicht genug, um mit dir auf Dates zu gehen und das auf seriöse und ernste Weise anzugehen. Wir hatten Spaß, du bist mein Kollege und ein guter Freund, aber das war's. Ich mag dich nicht auf diese Weise."
„Okay"
„Okay?" Das ist alles?
„Ja, alles gut. Vielleicht änderst du deine Meinung ja irgendwann."
„Ich denke nicht.", lache ich. „Aber lieb gemeint."
„Dieser Typ nach dem du gesucht hast...das ist nicht einfach irgendwer, stimmt's?"
„Nein...es ist nicht einfach nur irgendwer."
xxx
20 Tage sind vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, und mittlerweile stelle ich mir immer mehr Fragen. Ich sollte mir weniger stellen, aber meine Besorgnis wird größer. Einerseits ist es 6 Jahre her gewesen ohne ein Wort von ihm, andrerseits ist er ein Künstler im Überleben. Wenn nicht er alleine klarkommt, wer dann?
Oder nicht?„Guten Morgen", grüße ich meine Kollegin Ally, als ich zu Phil ins Auto steige. Streifenfahrt. Er fährt. Seit unserem Gespräch letzt hat er nie wieder ein Date erwähnt und ich bin mehr als froh darüber. Noch einmal ertrage ich so ein unangenehmes Gespräch nicht.
„Und? Was kriegen wir heute wohl rein?"
„Diebstahl, Lärmbelästigung...", liste ich all das auf, was hier täglich so los ist. „Betrunkene"
Und in genau dem Moment kriegen wir eine Nachricht durch, dass es eine Schlägerei gegeben hat - nicht weit entfernt von uns. Eine Streife wird benötigt.
„...um 8 am Morgen", murmelt Phil kopfschüttelnd. Ich zucke mit meinen Schultern. Mich wundert es nicht. Gar nichts wundert mich in dieser Stadt.
Nach 10 Minuten kommen wir am Ort an. Eine aufgewühlte Dame schaut aus ihrem offenen Fenster und scheint bereits auf uns zu warten.
„Da lang, da lang!", ruft sie aufgebracht und Phil rennt voraus. Ein paar Meter weiter entdecken wir einige Jugendliche die wie ein Häufchen Elend zusammengekauert an einer Hauswand stehen und zwei Kerle, die vor ihnen stehen.
„Polizei! Hände hoch!", ruft Phil ihnen zu, während er sich ihnen immer mehr nähert. Die beiden Typen schauen in unsere Richtung, beide mit Kapuze bekleidet, und suchen direkt das Weite.
„Das reicht mir.", sage ich zu Phil und sprinte hinterher. „Kümmer du dich um die Jungs!", rufe ich ihm zu, und dann verschwinde ich in der nächsten Straße.
Die Typen sind schnell, aber ich kann ihnen locker folgen.
„POLIZEI! STEHEN BLEIBEN!"Sie verschwinden in eine andere Straße, ich will hinterher, aber werde plötzlich nach rechts gezogen und befinde mich in der nächsten Sekunde zwischen einer Hauswand und dem Gesicht von Tj, das eine blutige Lippe und eine Platzwunde auf der Wange vorweist. Er steht keinen Meter von mir entfernt und hält mir den Mund zu. Mit weit aufgerissenen Augen schaue ich ihn an.
Seine Augen sind weit offen. Er sieht relativ clean aus.„Könntest du mal aufhören meine Lieferanten zu verfolgen?", zischt er, und ich traue meinen Augen und Ohren kaum.
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LIGHTNING | Buch 2 der Shadows-Reihe
FanfictionJade's Traum war's immer, eine waschechte Polizistin zu werden, doch als sie Tj kennenlernte, änderte sich dieses Vorhaben, denn er ließ sie dunkle Welten kennenlernen, in die sie lieber nie abgetaucht wäre. Jetzt, 6 Jahre später, ist sie tatsächlic...