Der Mord

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Es war eine mondhelle Nacht. Auch nicht der leiseste Windhauch. Keine einzige Wolke am Himmel. Ein Junge saß in seinem Bett und weinte. Er saß schon die ganze Nacht so da. Hatte sich nicht gerührt. Nicht das kleinste Bisschen. Sein bebender, muskulöser Oberkörper ruhte auf seinen Knien, die Arme hatte er fest um die nackten Beine geschlungen. Die Tür zu seinem Zimmer war abgeschlossen. Niemand störte ihn bei seinem lauten Schluchzen, niemand interessierte sich dafür. Außer einem kleinen, schwarzen Hund, der neben ihm lag und in die Dunkelheit jaulte. Der Junge hob kurz den Kopf und man sah im Mondschein sein Gesicht. Dunkelblonde Haare, buschige Augenbrauen und dunkelblaue Augen, die in die Leere starren zu schienen. Er lächelte den Hund kurz an. Seltsam. Die Augen des Hundes glichen seinen und auch in ihnen lag dieser leere Glanz. Da drehte sich der Junge auf die Seite und fing an zu schnarchen. Der schwarze Hund beobachte ihn eine Zeit lang mit großen Augen. Blauen Augen. Eisblauen Augen, die sich langsam schlossen.
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Als der nächste Morgen anbrach, war der Junge schon längst wach und zerrte sich sein ledernes Wams über, während er mürrisch das Zimmer musterte, in dem er sich befand. Es war nicht groß, hatte ein kleines Fenster, einen Schreibtisch, ein mittelgroßes Bett mit zerfledderter Matratze und einen Kleiderschrank, worin alles war was er besaß. Es war nicht viel, genug um in seinen Rucksack zu packen. Während der Junge tagträumend mit dem Anziehen beschäftigt war, regte sich hinter ihm ein kleiner, dunkler Schatten. Shadow, sein wertvollsten Bestitz. Der kleine Hund streckte sich und wedelte müde bellend mit dem Schweif. Der Junge schenkte ihm ein Lächeln und sagte: "Guten Morgen Kleiner. Na? Gut geschlafen?". Der Junge sprach mit einem schwingenden, eleganten Akzent, der seine Worte schon fast in ein Lied verwandelte. Shadow bellte abermals und schmiegte sich an das Bein des Jungen. So blieben die beiden Gefährten eine Weile sitzen. Als sie sich lösten, stand der Kerl auf und ging zur Tür, dicht gefolgt von Shadow. Er schloss sie auf und ging die schmalen Treppen hinunter, als er plötzlich nach Luft schnappend stehen blieb. Vor ihm lagen Körperteile. Wild übereinander gestückelt. Direkt vor im lag eine Hand. Daneben ein unidentifizierbares, blutiges Körperteil, das an ein Eichhörnchen erinnerte. Der Bursche stolperte, drehte sich um und übergab sich. Da wurde plötzlich alles schwarz und die Welt drehte sich um. Ein dumpfer Schmerz. Dann nichts.
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Der Junge wachte auf, ächzte und erhob sich unter Schmerzen.
Sein Kopf fühlte sich an, als hätte ihm ein Sïotr, ein Riese, einen Kinnhacken verpasst. Er tastete nach der Stelle und fand eine knöchelgroße Beule auf der Stirn. Vor sich hin brummend sah er sich nach Shadow um und streifte wieder die Leichen seiner niedergemetzelten Adoptiveltern. Wieder kam in ihm ein Würgereiz hoch, den der Junge aber bewusst runterschluckte. Da sah er seinen kleinen Welpen in einer Ecke kauern. "Komm Kleiner. Na komm!", lockte er ihn zu sich. Ein leises Tapsen kam aus der Ecke als das Hündchen mit hängendem Schwanz angelaufen kam. Die Beiden setzten sich an den Esstisch, der nicht mit Blut besudelt war, und dachten schweigend über das Geschehene nach. Der junge Mann fing ganz von vorne an. Er hieß Aran, war 15, und hatte gerade seine Adoptiveltern verloren. Seine echten Eltern hatte er nie gekannt. Seine Adoptiveltern hatten ihn als kleinen Säugling im Èlfanesá, im Wald der Elfen gefunden. Seither lebte er am Rand des Waldes in dieser kleinen Holzhütte. Er hatte seine Mutter nie geliebt, aber sein Vater war wie ein richtiger Vater mit ihm gewesen. Er hatte ihm den Wald gezeigt, obwohl seine Mutter immer strikt dagegen war, ihm etwas von der Außenwelt vor die Augen zu führen. Aber dann hatte sie ihn immer in ihre Arme genommen und ihm Geschichten über alte Völker und längst gefallene Legenden erzählt. Als er gesten jedoch Shadow mit nach Hause brachte, schlug ihn sein Vater zusammen und herrschte ihn an, diesen sofort in den Wald zurückzubringen. Aran hatte sich geweigert, war mit pochendem Herzen auf sein Zimmer gerannt, hatte sich eingeschlossen, und die ganze Nacht weinend auf seinem Bett verbracht. Doch das hatte er nie gewollt. Nie. Er war allein. Ein massiver Zorn wallte in dem Jungen auf, als er sich schwor, den zu finden, der das getan hatte und zur Strecke zu bringen. "ICH HASSE DICH!", schrie er und fing an zu weinen. Shadow stimmte ein und das Schluchzen des Jungen vermischte sich mit dem Jaulen des Hundes zu einem gespenstischen Heulen.

Die Waldläufer des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt