Kapitel 1

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Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel. Meine Haare umspielten mein Gesicht und fielen in großen Wellen über meine Schultern. Mein Seitenpony bändigte ich mit einer Haarklammer und steckte es nach hinten. Anschließend richtete ich meinen Seitenscheitel und legte nochmals mit dem Mascara an. Meine langen Wimpern umrahmten meine rehbrauen Augen, welche weder zu klein noch zu groß waren (wofür ich sehr dankbar war).

Ich wollte gerade die Haustür öffnen, als mein Handy begann das Lied New Thang zu spielen. Ich zog es aus meiner kakifarbenen Jacke mit den schwarzen Ärmeln und schaute auf das Display. Der Name Sarah erschien darauf und ich musste automatisch lächeln.

"Ja?", fragte ich mit einem immer größeren Grinsen im Gesicht.

"Lexi? Bist du noch daheim?", kam es von der anderen Seite schnaufend.

"Japp"

"Okay, super. Ich bin nämlich gerade in deinem Viertel und ich dachte, wenn du noch daheim bist, könnten wir gemeinsam zum AFJ gehen?"

Das AFJ war der Treffpunkt fast aller in unserem Alter, welcher sich in der Nähe eines Waldes befand. Mal wurden dort Geburtstage oder Abschlüsse gefeiert oder man traf sich im Sommer zum Grillen. Eben 'Alles Für Jugendliche'.

"Ja klar. Treffen wir uns einfach am Ende meiner Straße, okay? Ich bin gleich da.", antworte ich.

"Bis gleich"

Ich drückte die schwere Klinke hinunter und trat hinaus. Die Sonne blendete mich, weshalb ich meine Sonnenbrille von Calvin Klein aus der großen Ledertasche, die an meiner Schulter hing, heraus kramte und aufsetzte. Ich lief durch unseren kleinen Vorgarten und bog dann rechts ab. Ich lief an einer ganzen Reihe von Häusern vorbei, die in den verschiedensten Farben gestrichen waren. Von sonnengelb bis mausgrau war alles dabei. Nach ein paar Minuten sah ich eine schlanke Gestalt am Ende der Straße stehen. Sarah. Ihr blondes glattes Haar glänzte golden im Licht der Sonne. Sie war etwas kleiner als ich, hatte aber dafür mehr Kurven. Als ich bei ihr ankam, umarmten wir uns zur Begrüßung. Nach dem wir uns lösten, schaute ich sie einen Moment lang an. Ihre himmelblauen Augen strahlten Wärme und Freundlichkeit aus und hinter ihrem Lächeln konnte man strahlend weiße Zähne erblicken. Sie trug wie immer ihre roten Chucks und dazu eine capriblaue Jeans, die eng an lag, was ihre langen Beine zur Geltung brachte. Das Oberteil war eher weit und bestand aus einem feuerroten glatten Stoff, dass durch den leichten Wind ein wenig umher wehte. Sie war einfach nur bildhübsch, was sie aber strickt verneinte.

Wir liefen Richtung Osten, die Sonne schien uns auf den Rücken.

"Irgendwie ist es total komisch, dich mal wieder mit einer normalen...", Sarah korrigierte sich, "ich meine natürlichen Haarfarbe zu sehen."

Ich grinste. Für mich war jede Haarfarbe normal, weshalb ich mir mal die Haare leuchtrot, giftgrün oder saphierblau gefärbt hatte. Das war einfach eine kleine Macke, was mich aber nicht sonderlich störte. Vor ein paar Tagen habe ich mich für etwas Natürlicheres entschieden. Nämlich Schokobraun, was gut mit meinen Augen zusammen passte. Meine Mutter hatte mich gebeten, dass ich mir meine Haare blond färbe, da diese meine Naturhaarfarbe war, doch entschied mich dagegen. Ich konnte diese Farbe bei mir einfach nicht ab. Das war eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich eigentlich damit angefangen habe, mir die Haare zu färben. Mit meiner jetzigen Haarfarbe war ich sehr zufrieden, sie passte gut zu mir. Aber ich kannte mich schon selbst gut genug, dass es mir schnell langweilig wird und ich mich für eine neue Farbe entscheide.

"Ja, ich weiß. Aber in ein paar Wochen wirst du dich wieder daran gewöhnen müssen."

"Was für eine Farbe hast du so im Sinn?", fragte Sarah neugierig.

"Ich denke, es wird etwas in Richtung violett." Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

"Was wird deine Mum dazu sagen?" Ihre Stimme klang etwas ängstlich.

"Entweder wird sie wie jedes mal versuchen mich zu überreden, dass ich mir die Haare blond färbe oder sie gibt endlich auf. Ich hoffe auf Letzteres"

Mir entfuhr ein kleiner Seufzer. Ich liebte meine Mutter wirklich, dennoch ist der Streit bei uns Alltag. Sie lässt mir keine Freiheit, behandelt mich wie eine sechsjährige und hat kein Verständnis. Sie erfüllte das komplette Bild einer besorgten Mutter, die nicht einsehen wollte, dass ihr Kind erwachsen wird. Ich hoffe, dass es eines Tages besser wird, doch diese Zukunft lag in den Sternen.

"Das wird schon wieder, Lexi. Gib dem allem etwas Zeit, okay?", versuchte Sarah mich zu trösten.

"Lass uns einfach das Thema wechseln"

Wir hatten das Wohngebiet hinter uns gelassen und liefen auf einem Feldweg neben der Schnellstraße. Man konnte schon die Musik und die Geräusche anderer Jugendlichen vernehmen.

"Okay. Dann kann ich dir ja erzählen, dass ich Lydia in der Stadt getroffen habe und du hättest diese potthässliche Hose sehen sollen, die sie anhatte. Sie hat schon bekannter weise einen Entenarsch, aber mit der Hose hat sie ihn um das Zehnfache vergrößert"

Sarah's Stimme wurde immer schriller und ich musste lauthals loslachen. Sie konnte mich wirklich immer auf andere Gedanken bringen. Vor allem wenn es um Lydia ging. Sie war meine offizielle Erzfeindin, obwohl ich immer versuchte mit allen so gut wie möglich klarzukommen. Sie war eine Ausnahme. Das schlimmste von allem war, das wir früher beste Freundinnen war, doch sie hatte den schlimmsten Verrat begangen, den man bei mir begehen konnte. Sie log und zwar wie gedruckt. Bei Lügen sah ich einfach rot, weshalb ich ihr auch die Freundschaft gekündigt hatte. Lydia ist daraufhin ausgeflippt, hatte gemeint, dass ich komplett übertreibe und hatte mir geschworen, mir das Leben zur Hölle zu machen. Meine Antwort darauf hin war ein einfaches okay, dann hatte ich ihr den Rücken zugekehrt. Manchmal schaffte sie es, ihre Drohung wahr zu machen. Dennoch brachte ich sie öfters auf die Palme, da es mich einfach nicht juckte, was sie tat oder sagte. Während sie ihre Rachepläne schmiedete, genoss ich mein Leben.

Die Musik wurde immer lauter und auch die anderen konnte man immer mehr hören. Der Pfad, welchen wir entlang liefen, ging in den Wald hinein und schlängelte sich direkt zum AFJ. Das AFJ war eine Lichtung, etwas tiefer im Wald und damit der perfekte Ort für uns.

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