Kapitel 1

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Norajas Puls raste. Dunkelheit umgab sie und die Kälte der Umgebung drang immer tiefer in ihren Körper ein. Der Geruch von verbranntem Fleisch kroch durch ihre Nase und vermischte sich mit dem Geschmack von Kupfer in ihrem Mund. Der reißende Schmerz, der sich über ihren Körper legte, brachte ihren Verstand an den Rand des ertragbaren und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie spürte die Klinge, die tief in ihr Fleisch drang und vernahm die Wärme ihres Blutes, welches langsam über ihre ausgekühlte Haut kroch.
„Bitte", flehte sie, wie schon unzählige Male zuvor.
Doch nichts als weiterer Schmerz war die Antwort auf ihr Anliegen und Stück für Stück, Zentimeter um Zentimeter wurde das Messer tiefer durch ihre Haut getrieben. Norajas Körper bebte unter der Belastung und es sollte nicht mehr lange dauern und er würde den Kampf ums Überleben aufgeben. Doch langsam drang eine leise Melodie zu ihr durch. Eine Melodie, die etwas in ihr auslöste. Etwas Vertrautes. Noraja versuchte, sich darauf zu konzentrieren und die Schmerzen nur für einen Moment zu vergessen. Ihr Herzschlag wurde schneller, das Rauschen in ihren Ohren schien intensiver zu werden und doch wurde die Melodie immer lauter und deutlicher. Und da war er, der Schmerz, der sie ein letztes Mal aufschreien ließ und schlagartig war die Dunkelheit um sie herum verschwunden.
Noraja riss ihre Augen auf und starrte an die weiße Decke ihres Schlafzimmers. Sie war schweißgebadet und zitterte. Ihr Blick wanderte unruhig hin und her und es dauerte einige Augenblicke, bis sie erkannte, wo sie war. Zu Hause. In Sicherheit.
Sie schlug die Decke zurück und sofort legte sich ein kühler Lufthauch über ihren erhitzten Körper. Sie atmete tief ein und versuchte so, ihren rasenden Puls zu beruhigen. Jede verdammte Nacht durchlebte sie ihre persönliche Hölle und sie hatte das Gefühl, dass es von Traum zu Traum intensiver wurde. Völlig erschöpft rieb sie sich übers Gesicht, als wieder diese Melodie ertönte.
Sie seufzte und starrte weiter an die Decke, in der Hoffnung, dass sie das Klingeln ihres Handys einfach ignorieren konnte. Aber wer auch immer da gerade anrief, war hartnäckig und so stöhnte sie genervt auf, rollte sich zur Seite und griff zum Nachttisch.
Melina stand auf dem, immer wieder aufleuchtenden Display und widerwillig nahm Noraja das Gespräch an.
„Wo verfluchte Scheiße steckst du? Sag mir ja nicht, dass dein Arsch noch im Bett liegt. Es ist 12 Uhr!", wurde Noraja ins Ohr gefaucht.
Noraja musste schmunzeln, denn sie sah Melina soeben bildlich vor sich, mit ihrem wütenden Blick und wie sie sich an ihren Ohrringen spielte, um nicht völlig die Fassung zu verlieren.
„Ich versteh die Frage nicht. Wir wissen beide, dass ich noch im Bett liege", erwiderte Noraja und ließ sich wieder auf den Rücken fallen.
„Wir haben ein Bewerbungsgespräch. Jetzt!", schrie Melina sie an.
Noraja biss sich auf die Lippe. Das hatte sie wohl vergessen oder eher ignoriert.
Sie rieb sich erneut über das Gesicht und seufzte.
„Ähm, ja. Ich weiß und ich bin quasi schon auf dem Weg", sagte Noraja und beendete das Gespräch.
Sie ließ das Handy neben sich fallen, drehte sich auf die Seite und da war er wieder. Dieser Schmerz, der durch ihr Herz schoss. Diese Schwere, die sich auf ihren Körper legte und die Gewissheit, dass sie diesen Albtraum niemals verlassen würde. Ihr Blick wanderte über die leere Bettseite. Er war nicht mehr da und an dieser Tatsache würde sich nie wieder etwas ändern.
Sie spürte, wie sich Trauer und Hilflosigkeit in ihr regten und versuchten an die Oberfläche zu dringen, aber dafür hatte sie heute keine Zeit.
Fünf Jahre war es nun schon her, dass sie fast ihr Leben verloren hatte und ihr Herz zerrissen worden war. Fünf Jahre trug sie diese Dunkelheit in sich und jeder Tag fühlte sich an, als wären die Geschehnisse gerade erst passiert.
Noraja starrte jeden Morgen auf die leere Bettseite und fragte sich, warum ihr dieses Schicksal auferlegt wurde? Und jeden verdammten Morgen stand sie auf und machte weiter. Sie hatte sich verändert über die Zeit, sie hatte begonnen, das Leben nach ihren Spielregeln laufen zu lassen. Denn wenn sie eins aus dem dunkelsten Tag ihres Lebens gelernt hatte, dann war es, dass niemand ihr jemals wieder zu nahekommen würde und dass das Böse in jeder verdammten Ecke lauerte.
Tja, und wenn das Gute, das Böse nicht besiegen konnte, dann musste man halt selbst zum Bösen werden.

Noraja - Dead Or Alive ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt