Drei Wochen war er nun hier.
21. Tage und jeder davon hatte sich wie eine ganze Woche angefühlt.
Remus wusste, er musste jeden Moment auf der Hut sein. Jedes unbedachte Wort, jede noch so kleine Geste könnte ihn theoretisch als Spion entlarven. Und damit seinen Tod bedeuten.
„Denk einfach daran: Immer wachsam sein!" wie ein nicht verhallendes Echo hallten die Worte in seinem Kopf wider, die Mad-Eye ihm zum Abschied gesagt hatte.
Er konnte also vor nichts hier die Augen verschließen. Weder vor der Hoffnungslosigkeit in den Augen der einen Werwölfe noch vor der Grausamkeit in denen der anderen.
Vielleicht sollte er dieses Leben einfach als sein Schicksal annehmen. Vielleicht war das schon immer sein Schicksal gewesen, seit der gebissen wurde. Hier zu leben, unter seinesgleichen. Vielleicht waren all die Jahre als Kind bei seinen Eltern, mit seinen Freunden in Hogwarts und später im Orden, diese endlosen zwölf Jahre der Einsamkeit, das Jahr in Hogwarts und die Zeit im zweiten Orden doch bloß ein Aufschub seines unweigerlichen Schicksals gewesen. Vielleicht sollte er einfach auf Greyback hören und das hier als sein neues Zuhause akzeptieren.
Doch wenn das hier richtig war, wieso fühlte es sich dann so falsch an.
Wenn das hier richtig war, wieso schrie dann alles in ihm er solle den Auftrag zu Ende bringen und dann so schnell es ging, wieder verschwinden. Verschwinden zu den Menschen zu denen er gehörte.
Wenn er unter Menschen war, redete Remus sich immer ein, er dürfte nicht vergessen, dass er ein Monster war. Und hier unter Werwölfen, unter Monstern- denn anders wollte er Greyback und seinen Kreis aus Auserwählten nicht nenne- redete er sich ein, er dürfte nicht vergessen, dass er ein Mensch war. Dass er nicht so war wie sie. Zumindest die meiste Zeit nicht.
Dumbledore hatte ihm genau beschrieben, wie er die Werwölfe finden würde. Wobei eher sie ihn gefunden hatten als er sie.
Greyback war zwar grausam und skrupellos, aber weder dumm noch leichtsinnig, wie Remus festgestellt hatte. Er hatte bereits einige Kilometer von der Ruine entfernt Werwölfe als Späher und Wächter postiert. Remus war einem direkt in die Arme gelaufen. Und dieser Werwolf hatte ihn scheinbar sofort als einen von ihnen erkannt und in den Unterschlupft mitgenommen. Remus wusste nicht, wie der andere ihn schon in den wenigen Sekunden, in denen er vor ihm gestanden hatte, als Werwolf erkannt hatte. Aber er war heilfroh, dass Hexen und Zauberer diese Fähigkeit nicht besaßen, dass hätte ihm sein Leben in der Vergangenheit noch schwerer gemacht, als es ohnehin gewesen war.
Ehe er es sich versehen hatte, hatte er vor Greyback gestanden. Und bei Merlins Bart hatte er sich vor dieser Begegnung gefürchtet. Greyback hatte ihm vor über dreißig Jahren das Leben zerstört, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. Greyback hatte ihm die Chance auf einen guten und anständigen Job genommen, die Chance auf eine eigene Familie. Jahre lang hatte Remus sich ausgemalt, was er tun würde, wenn er Greyback wieder gegenüber stehen würde. Sirius und James hatten damals auch einige Vorschläge gemacht.
Nichts von alldem, was er sich all die Jahre ausgemalt hatte, hatte Remus in diesem Moment getan, er hatte auf Greybacks Fragen nur genickt und unterwürfig auf den Boden geschaut. Und ein oder zwei Dinge gemurmelt, von denen er ahnte, dass Greyback sie gerne hören würde. Dinge, die er nicht hatte lauter sagen wollen, weil er sie unter anderen Umständen nicht einmal denken wollte.
„Na, bist du es nach all den Jahren doch satt, von den Zauberern wie Dreck behandelt zu werden?" hatte Greyback gefragt. Alleine seine Stimme war zum Fürchten.
Remus hatte nur genickt.
„Hast du es auch endlich geschnallt, dass du keiner von ihnen bist?"
Remus hatte nur genickt.
„Hast du endlich gemerkt, dass es dich nicht zum Zauberer macht, wenn du dich wie einer benimmst?"
Remus hatte nur genickt.
„Wirst du mir und deinen Brüdern und Schwestern ab jetzt helfen, gegen die Zauberer zu kämpfen und uns unsere Rache zu holen, die wir verdienen? Rache für das, was sie uns angetan haben und immer noch antun."
Remus hatte nur genickt.
„Und hör endlich auf damit, nur zu nicken. Ich will eine Antwort verdammt. Oder ich gebe dich gleich an die Syncrons. Die brauchen jemanden, an dem sie ihre Krallen schärfen können"
Remus hatte keine Ahnung gehabt, wer die Syncrons waren, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Es hatte ihm all seine Willenskraft abverlangt Greyback ins Gesicht zu sehen und zu sagen: „Ja, ich werde meinen Brüdern und Schwestern helfen, sich an den Zauberern zu rächen."
„Sehr schön." hatte Greyback nur gesagt. „Du kommst schon noch zur Vernunft. Das sind sie alle bisher."
Das hatte Remus sich nicht zweimal sagen lassen und war so schnell es ging aus Greybacks Nähe verschwunden. Ein kleiner Junge- augenscheinlich nicht älter als acht- hatte ihm gesagt, er solle sich einfach ein leeres Zimmer suchen. Am besten im Keller. Die Zimmer weiter oben wären für Greyback und seinen engen Kreis.
Scheinbar waren die Schlafplätze nach der hierarchischen Ordnung von unten nach oben geordnet.
Remus hatte für sich ein Zimmer im Keller gefunden. Es sah sogar recht bewohnbar aus, zumindest im Vergleich zu den anderen, an denen er vorbeigekommen war. Zumindest hatte es eine Tür, einen offensichtlich funktionierenden Wasserhahn im Badezimmer, einen Schrank mit Tür und Fächern und satt einer einfachen Matratze auf dem Boden sogar ein Bett.
In seiner ersten Nacht hatte er im Bett gelegen und versucht nicht auf die Schmerzensschreie und das Stöhnen zu hören, dass aus den Zimmern neben, über und sogar unter ihm kam. Er wollte sich gar nicht erst vorstellen, was mit den Leuten passiert war oder gerade passierte, dass sie solche Laute von sich gaben. Und als ihm klargeworden war, das diese Laute größtenteils von Kindern stammen müssten, war an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen. Was war das nur für ein Ort, an dem er gelandet war?
Irgendwann in den langen dunklen Stunden dieser Nacht hatten sich noch andere Geräusche unter das Stöhnen und die Schreie gemischt. Das unverkennbare Johlen einer Menge, die zwei gegeneinander antretende Parteien anfeuerte und ausbuhte. Remus hatte so etwas in seinen Jahren in Hogwarts bei den Quidditchspielen miterlebt und wenn James und Sirius sich wieder über Snape hergemacht hatten. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was hier das Grund für das Johlen war.
Greyback würde vielleicht von ihm erwarten, dass er nach oben ging und ebenfalls zusah. Ebenfalls anfeuerte und ausbuhte. Doch er brachte es einfach nicht über sich.
„Ich liebe dich, Tonks" hatte er in die Dunkelheit geflüstert „und deshalb will ich nicht, dass du dasselbe Leben führen musst wie ich. Du hast ein anderes Leben verdient. Und ich bin es verdammt noch mal nicht wert, dass du den Leben für mich ruinierst."
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Of Monsters and Humans
FanfictionAuf Dumbledores Wunsch hin, schließt Remus Lupin sich den Werwölfen im Untergrund an. Dort trifft er nicht nur auf Fenrir Greyback, sondern auch auf Werwölfe, die nur darauf brennen, sich an den Zauberern zu rächen. Und er sieht, was mit den Kinder...