Kapitel 7

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Irgendwann am späten Vormittag hatte ein junges Mädchen an seiner Tür geklopft und ihm mittgeteilt, er solle mit ihr kommen. Remus wusste sofort, wo das Mädchen ihn hinführen würde. Zu Greyback ins sein Audienzzimmer.
Remus kannte das Mädchen nicht, das ihn diesmal durch die Ruine führte, er konnte sich nicht daran erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben. Sie sprach sachlich aber distanziert mit ihm. Andere hätten ihr Verhalten abweisend gefunden, an diesem Ort war es jedoch fast schon höflich.
Remus vermutete, dass seine Begleitung zu einem der oberen Zirkel gehörte, vielleicht war sie sogar den Syncrons unterstellt. Die machten sich gerne einen Spaß daraus, ihre Leute herum zu scheuchen.
Doch die Tatsache, dass man diesmal dieses Mädchen statt Lucy oder Layla Syncron geschickt hatte, machten ihm Hoffnung, dass er Greyback nicht enttäuscht hatte. Das und dass man ihn erst jetzt zu Greyback zitierte. Obwohl Remus nie darüber nachgedacht hatte, ob Greyback und seine Favoriten nach Vollmond auch erst mal schlafen mussten. Logisch wäre es. Eine schlaflose Nacht war einen schlaflose Nacht, egal in welchem Körper.
Remus war so in Gedanken versunken, dass er es fast nicht mitbekam, dass er schon vor Greybacks Audienzzimmer stand. Seine Begleiterin klopfte dreimal an die Tür und öffnete sie. Das Mädchen trat einen Schritt zur Seite und gab Remus ein Zeichen, dass er eintreten sollte.
Er war kaum über die Türschwelle, da gab Greyback dem Mädchen auch schon ein Zeichen, dass es die Tür wieder schließen sollte. Remus war nicht wohl bei dem Gedanken, mit Greyback alleine in einem Raum zu sein. Allerdings stand diesmal wenigstens keine Lucy Syncron hinter ihm an der Tür.
Greyback schien bestens gelaunt zu sein. Er grinste über sein ganzes Gesicht, was seinen Anblick angesichts seiner langen, gelblichen Zähne nur noch furchteinflößender wirken ließ. Greyback fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sei ihm gerade der Gedanke an ein besonders leckeres Festmahl gekommen. Vermutlich hatte er ein solches letzte Nacht verspeist. Nur dass ein Festmahl in Greybacks Vorstellung weniger aus raffiniert zubereiteten Speisen, sondern mehr aus rohem Fleisch bestand, dass er selbst gerissen hatte.
Remus fragte sich halbherzig, wie Greyback es schaffte so kurz nach Vollmond so wach und fit auszusehen. Obwohl er den ganzen Vormittag über geschlafen hatte, hätte Remus innerhalb von Sekunden wieder einschlafen können.
„Meine Jagd letzte Nacht war erfolgreich." sagte Greyback und verzog das Gesicht zu einem noch breiteren Grinsen. Fast meinte Remus den Geifer von seinen Lefzen rinnen zu sehen, so viel Ähnlichkeit hatte Greyback in diesem Moment mit einem echten Wolf.
„ Und da du doch einen gewissen Anteil daran hattest, sind deine verachtenswerten kleinen Zaubererfreunde und du vor mir und den Syncrons in Sicherheit." Remus wollte schon einen lautlosen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, als Greyback noch zwei Wörter hinzufügte. „Vorerst zumindest"
Remus wusste sofort, was er damit meinte. Greyback würde ihn wieder testen, wieder und wieder herausfordern. Bis er eines Tages versagte oder versuchte abzuhauen. Und dann würden Greyback und seine Favoriten erst recht ihre grausamen Späße mit ihm treiben.
„Dank dir haben wir wieder ein Rudelmitglied mehr. Und dann auch noch eines im perfekten Alter. Dafür bekommst du eine Belohnung. Ich bin ja kein Unmensch." Beim letzten Wort stieß Greyback ein freudloses Lachen aus.
Remus wagte es kaum, sich vorzustellen, um was für eine Belohnung es sich wohl handeln würde.
„Für heute bekommst du dasselbe Essen, wie ich und mein innerer Kreis. Was du willst und so viel du willst. Aber du isst trotzdem unten bei den anderen Kellerasseln. So was wie du hat an meinem Tisch nichts zu suchen."
„Danke" sagte Remus. Mehr brachte er im Augenblick nicht heraus. Er hatte mit einer schlimmeren „Belohnung" gerechnet. Und wenn er ehrlich war, war der Gedanke an ein gutes Essen wirklich verlockend.
Greyback entließ ihm mit einer Bewegung seiner riesigen Pranke. Das Mädchen war verschwunden, als Remus das Audienzzimmer verließ.
Die Sitzordnung im Speisesaal richtete sich nach der Lage der Zimmer. Greybacks engster Kreis, der die Zimmer ganz oben bewohnte, saß mit ihm selbst am schönsten und besten Tisch gleich am Eingang, sodass jeder unweigerlich an ihnen vorbei musste. Und dabei einen Blick auf ihr Essen werfen konnte. Das Essen auf ihrem Tisch war zwar meist einfach, aber oftmals kein Vergleich zu dem, was für die Werwölfe übrig bleib, die im Keller schliefen. Auf Greybacks Tisch, gab es immer genug Essen für alle. Meist sogar mehr als genug, so dass sie es an die unteren Tische verschenkten, wo sich die Werwölfe dann regelrecht um die Reste prügelten. Beim Anblick von dem, was man ihm vorsetzte, hatte Remus es schon mehr als einmal vorgezogen, aufs Essen zu verzichten. Ein Tag ohne Essen erschien ihm dann doch besser, als eine Vergiftung zu riskieren.
Doch so schlecht das Essen auch war, zumindest einen Vorteil hatte es, dass Remus im Keller wohnte. Niemand interessierte sich dafür mit wem und worüber er redete. Im letzten Monat hatte er neben der Spionage für Greyback losen Kontakt zu anderen Rudelmitgliedern geknüpft, die ebenfalls im Kellergeschoss schliefen. „Die Kellerasseln" wie Greyback und seine Favoriten sie gerne nannten.
Auch Faola hatte Remus ab und an beim Essen gesehen. Sie war nicht mehr so schüchtern und ängstlich, wie bei ihrem ersten Treffen. Aus dem, was sie ihm erzählt hatte, konnte Remus schließen, dass sie es im Moment fast ebenso schwer hatte, wie er. Nachdem sie kurz nach ihrer Ankunft aus dem Kreis von Greybacks Favoriten gefallen war, musste sie sich jetzt wieder beweisen. Es schien ihr sehr schwer zu fallen, sich so wölfisch zu verhalten, wie die Syncrons es von ihr verlangten. Aber sie hatte im Grunde keine andere Wahl, als hier zu bleiben. Ohne Gedächtnis an ihr bisheriges Leben, konnte sie nicht mehr fort von hier. Sie kannte noch nicht einmal ihren richtigen Namen. Außerhalb dieser Ruine, außerhalb dieses Rudels hatte sie keine Chance. Und da sie wohl oder übel für den Rest ihres Lebens hier bleiben musste, wäre es besser, wenn sie in Greybacks Achtung ein wenig höher aufstieg. Das hatte Remus ihr auch geraten, als sie ihm eines Tages von dieser Überlegung erzählt hatte.
Greyback hatte einem Jungen, augenscheinlich nicht älter als acht oder neun Jahre, aufgetragen, Remus heute so viel zu Essen zu bringen, wie er wollte. Eine erfolgreich ausgeführte Mission führte also noch lange nicht dazu, dass er sich Greybacks Tisch auch nur nähern durfte. Im Grunde war er froh, sich seine Belohnung nicht vor den Augen von Greybacks Lieblingen von ihrem Tisch nehmen zu müssen.
Der Junge hatte gerade einen Topf dampfend heißen Eintopf vor Remus auf den Tisch gehievt, als Faola sich auf den Stuhl, ihm gegenüber fallen ließ. Sie hatte den Blick auf den Boden gerichtet und schien gleichzeitig traurig, wütend und müde zu sein.
„Ich will das nicht mehr" sagte sie so leise, dass niemand anderes sie hören konnte. Remus musste gar nicht erst fragen, was sie meinte. Um über seine Antwort nachzudenken, schöpfte er sich einen großen Löffel Eintopf auf den Teller. Ihm kam der Verdacht, dass es bei Greyback am Tisch heute etwas anderes gab. Aber anständiges Essen, war anständiges Essen.
Faola hob den Kopf und ihre Augen weiteten sich beim Anblick des Topfes auf dem Tisch.
Ohne weiter darüber nachzudenken, zückte Remus seinen Zauberstab und beschwor einen Teller herauf. Er füllte eine große Portion hinein und schob ihn Faola zu.
„Für mich?" fragte sie verblüfft.
„Ja" sagte er und lächelte. Er hatte schon oft bemerkt, wie dünn Faola wirkte.
„Als Belohnung, weil ich einen Auftrag für Greyback erfolgreich ausgeführt habe" sagte Remus auf Faolas fragenden Blick hin. Er wollte lieber nicht genauer ins Detail gehen, um was für einen Auftrag es sich gehandelt hatte. Er selbst versuchte es so gut wie möglich zu verdrängen ,dass er sich diese Mahlzeit damit erkauft hatte, dass ein kleiner Junge seine Chance auf ein normales und glückliches Leben verloren hatte.
Faola schaufelte das Essen in sich hinein, als habe sie tagelang nichts mehr zu Essen bekommen. Was gar nicht so abwegig war, wenn man bedachte, wie die Syncrons mit Untergebenen umgingen, die nicht so waren, wie sie es sich wünschten.
Nachdem sie zwei Teller in Rekordgeschwindigkeit aufgegessen hatte, begann Faola davon zu erzählen, was sie letzte Nacht getan hatte. Zuerst langsam und stockend, dann jedoch immer schneller.
Sie war in der Nacht nicht in ihrem Zimmer gewesen, sondern oben bei den anderen Werwölfen. Die Syncrons hatten sie gezwungen, sich oben mit den anderen zu verwandeln. Und diesmal konnte sie sich sogar daran erinnern, was sie getan hatte, nachdem sie sich in einen Wolf verwandelt hatte. Sie hatte mit den anderen Wölfen gekämpft. Mal jeder gegen jeden, ohne jede Ordnung, dann wieder gezielt zwei gegeneinander, wobei sich die Syncrons und andere ranghohe Wölfe jederzeit auf die Kämpfenden stürzen könnten. Das schlimmste sei es aber gewesen, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen. Ein kleines Mädchen, scheinbar nicht älter als sechs oder sieben, sei in einer Blutlache gelegen und habe sich nicht mehr geregt. An dieser Stelle ihrer Erzählung brach Faolas Stimme und sie verstummte abrupt. Sie schien kurz dafür in Tränen auszubrechen.
Remus fiel jedoch beim besten Willen nichts ein, was er hätte sagen können, um sie zu trösten.
Auch wenn sie nicht wusste, wie alt sie genau war, Faola musste etwa im Hogwartsalter sein. Sie sollte nach Hogwarts gehen und dort Freunde finden, sich im Schloss verirren, an den Wochenenden über das Schlossgelände streifen, über Hausaufgaben brüten und Scherze über Lehrer und Mitschüler reißen. Stattdessen saß sie hier und musste Dinge über sich ergehen lassen, die kein Kind jemals erleben sollte.
Remus hätte ihr gerne gesagt, er würde sie nach Hogwarts bringen. Doch selbst wenn Dumbledore das arrangieren könnte, er hatte keine Möglichkeit sie hier rauszuholen.
Wenn er die Mittel und Wege dafür gehabt hätte, hätte er ihr versprochen, sie könne mit ihm kommen, wenn seine Ordensmission hier abgeschlossen war. Er spielte halb mit dem Gedanken, sie am Ende einfach mitzunehmen und zu adoptieren. Sie könnte seinen Nachnamen tragen und sich einen Vornamen aussuchen und könnte nach Hogwarts gehen, wie er es selbst einst getan hatte. Doch er hatte keine Mittel und Wege dazu. Und ein Leben außerhalb dieses Rudels würde für Faola wahrscheinlich noch schwerer werden, als es für ihn war. Sie hatte keine Freunde in Hogwarts, keinen Dumbledore, keinen Orden, keine Eltern.
Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als Faola ein Taschentuch zu reichen und so zu tun, als würde er ihre Tränen nicht bemerken.

Of Monsters and HumansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt