Kapitel 3 - Eins (UClara)

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Mein Blickfeld wurde schwarz. Ich konnte nichts mehr erkennen. Nichts mehr sehen außer der einnehmenden Schwärze um mich herum. Hören konnte ich auch nichts mehr, weder von Tonio noch von oben irgendein Geräusch. Ich spürte nur noch diese seltsame Anziehung, die aus meinem Inneren heraus zu kommen schien. Dann sah ich auf einmal einen kleinen Jungen. Er schwebte über mir und es war wie in einem Traum, nur dass er viel zu real wirkte.

„Du darfst dem Druck nicht nachgeben", flüsterte er. Er hatte blonde Engelslocken und blaue Augen. Ich hatte ihn noch nie gesehen. „Wenn es zu spät ist, komm in den Petersdom. Dort wird jemand sein, der dir hilft. Ich muss gehen. Sei stark." Die Worte hörten sich komisch an aus seinem Mund. Sie passten nicht zu ihm.

„Warte, wer bist du?", brachte ich hervor. „Nenn mich Balduin. Ich hoffe auf ein Wiedersehen." Und dann war er weg. Dafür war mit einem Mal wieder der Keller um mich herum da, Tonio stand wieder neben mir und ich lag wieder festgeschnallt auf dem Operationstisch. Dann sah ich aus den Augenwinkeln wie Paul die schmale Treppe runter und auf mich zu kam. Er hatte ein Messer in der Hand.

„Paul", flüstere ich „Weißt du, wer Balduin ist?" Aber Paul sah mich nur weiter aus leeren Augen an. Er hob das Messer. „Paul! Nein!", schrie ich, aber er durchtrennte nur meine Fesseln. Jetzt wurde diese Anziehung, die sich anfühlte, als käme sie direkt aus meinem Herzen, beinahe übermächtig.

„Was war das eben? Tonio, was hast du da gesungen? Wie lange war ich weg? Rede mit mir, bitte! Was ist das für ein Pulver? Paul! Was ist los?"

Ich hielt mich mit aller Kraft an dem Operationstisch fest und versuchte dem Ziehen in meiner Brust nicht nachzugeben. Aber sowohl Tonio als auch Paul starrten mich nur schweigend an. Ich hörte Schreie von oben. Es klang nach Isabella und Luca. Oh Gott, was war da nur los? Meine Hände wurden schwitzig. Ich spürte, dass ich dem Sog nicht mehr lange stand halten konnte.

„Helft mir, verdammt. Was ist nur los mit euch?" Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Dann hörte ich wieder Schritte auf der Treppe. Die Anziehung wurde noch stärker. Meine Hände zitterten. Ich drehte mich ganz langsam um und die Person, die die Treppe hinunter gekommen war, war niemand anderes als Eleria. Ich keuchte. Vielleicht war das Training von Tonio doch zu was nütze gewesen. Ich hatte mehr Kraft, als die meisten anderen in meinem Alter.

„Lass los. Komm zu mir, mein Kind", sagte Eleria und ihre Stimme hörte sich an wie flüssiges Gold. Ich wollte fragen, was mit Isabella und Luca passiert war, was sie mit Paul und Tonio angestellt hatte, was das Ganze hier zu bedeuten hatte, aber es kam kein Wort mehr über meine Lippen. Und dann geschah etwas Seltsames. Eleria lächelte. Aber es war kein gewöhnliches Lächeln. Es erreichte ihre Augen nicht. Sie zog nur ihre Mundwinkel ein wenig nach oben. Es hatte kein bisschen Fröhliches an sich. Es war als würde sie sich mit diesem Lächeln über mich lustig machen. Dieses Lächeln gab mir den Rest. Ich konnte mich nicht länger halten. Ich ließ die Tischkante los und wurde augenblicklich zu Eleria hingezogen. Meine Füße berührten dabei den Boden nicht. Ich schwebte auf sie zu und statt gegen sie zu prallen schwebte ich in sie hinein. Ich war Eleria und Eleria war ich. Wir waren in einem Körper zusammen gefangen und es waren jetzt nicht mehr Elerias sondern meine Lippen, die spöttisch auf Tonio und Paul hinunter lächelten.

„Es ist vollbracht", sagten wir.

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