Kapitel 4 - Clyde (Sternenglasperle)

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Alles fühlte sich falsch an.

Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.

Die Außenwelt wirkte wie durch Nebel. Mein Mund sprach ohne mein Zutun.

Es war falsch. Ich wollte das nicht.

Ich versuchte mich zu wehren, kämpfte gegen meinen eigenen Körper.

Elerias Geist drängte mich immer weiter zurück, drängte mich aus meinem eigenen Kopf, übernahm meine Gedanken und zwang mich zurück zu weichen.

Ich kämpfte dagegen an, drückte gegen ihren Geist, versuchte ihr Schmerzen zuzufügen, aber nichts half. Ich merkte wie mein Erhaltungstrieb immer schwächer wurde, wie mein Lebenswille zurück ging und meine Seele drohte zu erlöschen. Was hatte ich denn schon für das es sich zu kämpfen lohnte? Ich führte ein erbärmliches Leben. Jeder Tag war ein Kampf ums nackte Überleben. Ich würde es niemals zu etwas bringen in meinem Leben. Ich würde irgendwann als Mutter von fünf ungewollten Kindern in einer verwahrlosten Drogenhöhle enden ohne Aussicht auf Hoffnung. Was hielt das Leben schon für mich bereit?

Kämpfe gegen sie. Du kennst deinen Körper besser als sie! Nutze es!

Eine dritte Stimme erklang in meinem Kopf. Sie klang ruhig und sanft und spendete mir Kraft. Eleria begann zu schreien oder schrie ich? Ich wusste es nicht. Kannte ich meine Schwächen?

Willst du als leere Hülle enden? Tu endlich etwas!

Ich wehrte mich gegen den Drang einfach nachzugeben. Ich musste denken. Denken. Es viel mir so schwer. Da war so wenig Platz in meinem Kopf. Zwei Seelen waren einfach zu viel. Mein Kopf drohte zu platzen. Ich kämpfte um die Aufmerksamkeit meines Körpers bis ich ihn zumindest ansatzweise wieder spüren konnte.

Zwing sie deinen Körper wieder zu verlassen!

Ertönte die Stimme in meinem Kopf. Wie denn? Wie sollte ich sie dazu bringen? Sie war viel stärker und bösartiger als ich!

Füg ihr Schmerzen zu. Bring ihren Geist dazu lieber körperlos zu sein, als diesen Schmerz zu fühlen.

Ich konzentriere mich auf diese Worte, suchte nach einer Schwachstelle. Suchte nach einer Lösung. Ich wollte meinen Körper zurück. Einem inneren Impuls folgend schnappte ich mir das Messer, dass an Tonios Gürtel baumelte und rammte es in meinen Oberschenkel, dorthin wo der Hauptnervenstrang entlang lief, wie ich aus Erfahrung wusste. Wir keuchten beide auf. Warmes Blut sickerte aus dem tiefen Einstich, als sie mit einem Ruck das Messer hinaus zog. Der Schmerz ließ uns in die Knie gehen. Aber es hatte sie so sehr abgelenkt, dass ich Stückchen weiter die Oberhand hatte übernehmen können. Sie begann in meinem Kopf zu kreischen. Schrill und durchdringend. Mein Kopf begann zu schmerzen. Ich schrie auch, aber mit meiner Stimme. Sie klang gruselig verzehrt und gar nicht mehr nach mir.

Es reicht noch nicht! Du musst in ihre Seele eindringen und sie dort verletzen. So schadest du euch beiden.

Die Stimme gab mir Kraft. Ich spürte sie in mir. Ihren Geist, der gegen meinen drückte und versuchte ihn einzunehmen. Ich tastete sie ab, suchte nach einer Schwachstelle in der undurchdringlichen Mauer, die sie um ihre Seele errichtet hatte.

Wehr dich nicht dagegen. Lass sie dich überrennen. Sie wird gar nicht merken, dass du in ihrem Geist bist. Lass es geschehen und zerstöre sie von innen.

Ich wollte das nicht! Meine Seele war das einzige in meinem Körper, dass noch ganz mir gehörte. Sie würde sie nicht bekommen! Ich verstärkte die Mauer um meinen Geist.

Du musst es zulassen! So wird sie dich überwältigen!

Die Stimme hatte Recht. Ich spürte bereits wie der Wall an einigen Stellen bröckelte. Ich versuchte loszulassen, aber es war schwerer als erwartet. Mein Geist klammerte sich mit aller Kraft an diese Mauer und ich musste mich erst selbst aufgeben um mich selbst zu überwinden. Dann, mit einem Ruck riss ich die Mauer nieder und Elerias Geist füllte meinen Kopf komplett aus. Was sie jedoch nicht bemerkte, war, dass ich jetzt in ihr war. Ich zuckte zurück. Ihre Boshaftigkeit war nicht zu beschreiben. Alles in ihr war erfüllt von einem glühenden Hass auf jedes lebendige Wesen. Mit einem Mal wusste ich wie ich sie besiegen konnte. Ich dachte an die einzige glückliche Erinnerung die ich hatte. Ich beschwor sie herauf, durchlebte sie noch einmal und pflanzte sie auch Eleria ein.

Tausend WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt