Kapitel 7 - Überfall (liberty2001)

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"Wa-was?", Balduin lachte über meinen entsetzten Gesichtsausdruck. Er und sein Bruder wechselten sich damit ab meinen Rollstuhl zu schieben. "Vierhundertvierundvierzig Jahre- das ist doch gar nichts. Wo ist dein Problem?", Aelia zwinkerte mir verschmitzt zu. "Geister sind nicht die einzigen Unsterblichen in Rom. Das kann als Segen oder als Fluch gesehen werden, je nachdem." Na großartig. Jetzt fehlen nur noch ein paar Gespenster und natürlich Graf Dracula, dann sind wir komplett. Fassungslos starrte ich Aelia nach. Ein Mädchen, das heute seinen vierhundertvierundvierzigsten Geburtstag feierte. Und das nicht älter aussah als dreizehn oder vierzehn Jahre. Ich fass es nicht. Ich fass es nicht! In was war ich da nur wieder reingeraten?

Die Tür, die Aelia aufschob war aus dunklem Holz und mit einem alten silbernen Türklopfer versehen. Als ich über die Schwelle trat, regestrierte ich, dass der Klopfer wie ein großes Auge geformt war, und der Ring mit dem man gegen die Tür schlug nichts anderes als eine Träne. Das Auge stierte mich bösartig an. Brrr. "Kommt!", Aelia strahlte uns an. Wir setzen uns zu ihr an den Tisch. Oder sollte ich sagen, an die Tafel? Denn Tisch wäre eindeutig untertrieben. "Es gibt Pfannkuchen!", sie klang so freudig, dass ich grinste. Clyde rollte meinen Rollstuhl neben Aelia, welche mich in diesem Moment besorgt musterte. "Du magst doch Pfannkuchen?" Ich nickte und sie jauchzte: "Wunderbar!" Mannoman, dieses Mädchen war aber ziemlich begeisterungsfähig. Die nächste Zeit beobachtete ich, wie die drei so viel aßen, dass es für halb Rom gereicht hätte. Sie plappern über belangloses.
Da höre ich etwas. "A-ahh" ich schlug auf den Tisch. Sie verstummten. "Hört ihr das auch?", fragte ich. Sie lauschten. "Was?", fragte Balduin ratlos zurück. "Tot...schon viel zu lange.." Ich war erstarrt. Da sah ich sie. Die Frauen. Verwesende, entstellte Gesichter, die Münder zu schrecklichen Löchern geöffnet. Und es waren viele.
"Töte sie"

"Ich sehne mich nach Blut"

"Kommt, Schwestern..."

"Nach so langer Zeit"

Ich war erstarrt. Konnte nichts tun, nur zusehen, wie eine skelettartige Hand sich aus der Menge löste. Und nach Balduin griff.

"Endlich...."

"LAUFT!", kreischte ich, mein Schrei schmerzte in meinen eigenen Ohren.
Clyde sprang auf. "Was ist?" "WEG DA! MACH SCHON!" Meine Panik steckte ihn an und er packte seinen Bruder. Zerrte ihn mit sich. "Da lang!", rief ich hektisch und zeigte auf die Hintertür. "Aelia! Los!", Mit Entsetzen in ihren Augen rannte sie Clyde nach. Sie sah zu den Frauen hin und japste entsetzt auf. Dann schlug die schwere Tür hinter ihnen zu. Und ich erkannte die Schwachstelle in der Flucht. Ich! Ich konnte nicht laufen!

Die Augenhöhlen der Untoten waren jetzt auf mich gerichtet. Aus dem gefährlichen Raunen war ein wütendes Gezischel geworden. Ich hatte ihrer sicher geglaubten Beute zur Flucht verholfen. Mir wurde schlecht. Sie mussten wohl mit mir vorlieb nehmen.

Die Hand der Toten war nur noch Zentimeter von meiner Brust entfernt. Da donnerte es plötzlich. Sie hielt kurz inne. Das war meine Chance. Ich warf mich mit einem Hechtsprung aus dem Rollstuhl. Die Betäubung meines Beines hatte nachgelassen und ich fühlte mich als ob mir jemand ein glühendes Stück Eisen in mein Bein pressen würde. Aber ich war bei Tonio aufgewachsen. Ich hatte gelernt mit Schmerz zu leben. Ich raste auf die Tür zu, bei jedem Schritt explodierte ein Feuerwerk aus Schmerz in meinem Kopf. Das Heulen der Monster übertönte kurz das Dröhnen meines Blutes in meinen Ohren, ich war zwar verletzt und erschöpft, aber ich lief auf Adrenalin. Entkommen. Das war mein letzter Gedanke und ich klammerte mich verzweifelt daran fest wie an einem Rettungsring. Nicht aufgeben!
Ich stemmte die Tür auf und stolperte hindurch. "Hilfe!"

Hinter mir stöhnten die Untoten. Ich hetzte vorwärts. Aber ich konnte sie nicht abhängen, sie folgten mir wie ein Rudel Bluthunde.

Hilfe, dachte ich verzweifelt, als ich um die Ecke bog. Ich war am Ende. Irgendjemand? Ich fiel auf die Knie. Tränen liefen mir die Wangen herunter. Eisige Kälte kroch mir in die Schulter, jemand hatte mich fest gepackt. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass es eine der Frauen war. Ich würde sterben.

Nein!

Da krachte es. So laut, dass der Boden zu beben schien. Ein grelles Licht strömte in den finsteren Flur, eine Tür flog auf und knallte gegen die Wand. Ich hob den Blick und sah die blutrote Klinge eines Schwertes durch die Luft sausen. Plötzlich war die Hand auf meiner Schulter nicht mehr da. Clyde zog mich auf die Füße, in der einen Hand noch die Waffe. Die Frauen wichen erbost zurück und flohen in den Gang. "Alles ist gut", tröstete Clyde mich, als ich anfing zu heulen. Aber so richtig. Er hielt mich so lange umarmt, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Gott, wie peinlich. Dann stützte er mich und wir gingen durch den Flur. "Wo sind Aelia und Balduin?", fragte ich nach einer Weile. "In Sicherheit", sagte Clyde sanft. "Und wir auch gleich." Ich atmete auf. Am liebsten würde ich jetzt in Ohnmacht fallen und von Clyde getragen werden, wie irgendeine Märchenprinzessin. Und er wäre der Prinz. Mara!, ich gab mir in Gedanken eine Ohrfeige. Hör auf so einen hirnrissigen Unsinn zu verzapfen! Wahrscheinlich hätte ich jetzt angefangen von Clyde zu schwärmen wie ein verknallter Teenie, wenn sich nicht mit einem Schlag die Atmosphäre geändert hätte. Eisiger Wind strich uns über die Gesichter. Und es waren Schritte zu hören. Langsame, gemessene Schritte aus der Dunkelheit. Clyde hob sein Schwert. Ein Mann tauchte aus der Finsternis auf. Rote glühende Augen erfassten mich. Ein Wimmern kam aus meinem Mund. "Gibst du sie kampflos auf wirst du leben. Verteidigst du sie, wirst du sterben.", murmelte er an Clyde gewandt. "ich habe keine Angst!", fauchte der den Fremden an. Dieser lächelte. "Gut. Es macht keinen Spaß, Feiglinge zu töten."

Sie griffen einander an wie wilde Tiere. Das Schwert blitzte auf, es schien die Schatten zu zerfetzen, doch auch Clydes Gegner hatte eine Waffe. Funken sprühend prallten die Klingen gegeneinander, die Beiden umkreisten sich. Es war wie ein Tanz, sie umflogen den jeweils anderen und versuchten dessen Deckung zu durchbrechen und einen Treffer zu landen. Plötzlich klirrten die Schwerter und das von Clyde wirbelte in die Dunkelheit hinter ihnen. Ich erstarrte. Aber Clyde hatte blitzschnell die Hand des Mannes gepackt und zwang ihn dazu seine Waffe loszulassen. Clyde trat das Schwert außer Reichweite. Jetzt gingen sie mit den Fäusten aufeinander los. Ein Schlag gegen die Brust und Clyde fiel nach hinten, er landete auf den Händen und riss die Füße hoch. In einer tödlichen Demonstration von Capoeira wirbelten seine Beine herum, er traf Genick, Schläfe und die Kehle. Sein Widersacher würgte und taumelte zurück, doch binnen Sekunden hatte er sich wieder auf Clyde gestürzt. Seine schwarze Pranke schloss sich um den Hals meines Freundes.
Clyde!
Sein Gesicht wurde blau. Wenn ich nichts unternahm war er gleich mausetot. Links von mir lag das Schwert des Schattenmannes. Mit einem Satz hatte ich es in der Hand und stieß es seinem Besitzer bis ans Heft in die Brust.


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