I - Der Bahnhof

4 3 0
                                    

Die purpur-roten Stufen, welche sich direkt vor mir aufbauten, waren längst nicht so hoch wie jene, welche ich bereits aus dem alten Kellergewölbe kannte. Dennoch fühlte sich jeder Schritt genau gleich an. Jeder Schritt war ein Schritt ins ungewisse. Langsam arbeitete ich mich die altmodisch, mit Quarz verzierten Stiegen des Bahnhofgebäudes nach oben, wobei eine falschherum angebrachte Fließe meine Aufmerksamkeit erregte. Die Aufwändig gestaltete, vermutlich handbearbeitete Fließe, war wie ein Trauerspiel der Gesellschaft. Jeder bestaunte das Kunstwerk, doch nur die wenigsten bemerkten, dass etwas nicht stimmte. Doch auch die, die es merkten, weilten nicht lange und zogen weiter. So stieg auch ich weiter die endlosen Stufen -  meinem Ziel entgegen. Umso weiter ich ging, desto mehr bemerkte ich, wie ich doch wie diese Fließe war. Einer von vielen, hektisch, keine Zeit für ruhe, mittendrin. Einsam im dunkeln, während andere das Licht schluckten, von welchem ich bislang noch nicht kosten durfte. 

Nach einer endlosen Weile erreichte ich das Ende der nicht enden wollenden Treppe. Es fühlte sich an, als würde jemand einen gebunden Sack voller Körnern öffnen. Zwar war ich noch immer am Boden des Sacks aber dennoch bemerkte ich, dass sich etwas tat und es ganz oben heller wurde, wie ein Schimmer Hoffnung in der dunkelsten Stunde. Ich setzte mich in Bewegung. Ich wollte wissen was es war. Was war es, dass mir so viel Hoffnung verlieh. Was war es, dass mir die Tore der Welt öffnete? Ich war auf der Suche nach einem Punkt an dem mir niemand das Licht nehmen könnte. Ich strich über den preislos teuren Boden, umzingelt von Lärm. Die Stimmen von Menschen. Hektisch und leblos. Ein Gong, dann eine Durchsage. Doch auch diese wurde übertönt von den Geräuschen der Menschen. Es war ein Chaos. Genau wie ihre Stimmen liefen auch sie kreuz und queer und traten beinahe auf mich. Doch nichts brachte mich von meinem Weg ab. Ich lief immer weiter, wich aus und suchte nach etwas, woran ich hochklettern könnte. 

Nach einigen Minuten des Chaos wurde mein Weg lichter und ich erkannte zwischen den Füßen und Beinen der dunkelsten Farben einen Automaten. Er war blau und rot. Was dort geschrieben war, konnte ich natürlich nur erahnen, denn lesen konnte ich nicht. Ich näherte mich und Tatsache. Daneben stand eine vergoldete Bank, über welche ich auf den veralteten, aber dennoch gepflegten Automaten springen konnte. Auf der Maschine erwartete mich das ungebrochene Licht, welches nur durch die gläserne Decke gestört wurde. Zwar traf ich hier oben wie gewohnt auf keine Seele, doch verdreckte der Staub mein gepflegtes, weißes Fell. Als ich einen Blick über die Leute wagte, welche getrieben von unerklärlichen Kräften, in kürzester Zeit durch die scheinbar wändelosen Hallen strebten, schoss mir der Geruch von süßem Karamell und klebrigem Eis durch die Nase. Während ich meinen Blick etwas nach rechts neigte, um in Richtung des Eis-Creme Verkäufers zu blicken, bemerkte ich, wie sich jemand am Automaten unter mir zu schaffen machte. Ein jüngerer Herr, etwa 20 Jahre alt, mit braunen Haaren und einer schwarzen Jacke. Doch ehe ich ihn ansah, war er bereits wieder verschwunden. Wieder hallte es durch die Hallen. Diesmal verstand ich jedoch was gesagt wurde. 

» Achtung am Bahnsteig 7 - Der Zug nach Cervello wird jeden Moment einfahren! «

Verwundert darüber, dass jeder wusste wo er hinmusste, erblickte auch ich endlich die Steine, welche nur für mich in den Boden gelassen wurden. Ich sprang vom Automaten, wobei ich fast einer älteren Dame direkt vor den Füßen landete und rannte los. Den weißen Steinen entlang. Zwar war ich nun wieder im dunkeln, doch leuchteten die Steine wie helle Sterne am Nachthimmel. Nichts konnte mich nun mehr aufhalten meinem Weg zu folgen. Weder Menschen, welche fast auf mich traten, noch der unwiderstehliche Fischgeruch vom Händler auf der linken Seite. Ich war fest entschlossen mein Ziel zu erreichen. Eine weitere Durchsage hallte durch die weite. Wieder verstand ich nichts, doch diesmal wusste ich, dass es an mich gerichtet war. Die himmlischen Steine bogen nach rechts zwischen zwei Gleise. Welche es waren, wusste ich aufgrund meiner nicht vorhanden Lesefähigkeit natürlich nicht. Ich merkte wie ein Zug einfuhr - direkt zu meiner linken. Ich folgte den Steinen, mit dem Zettel in meinem Mund, welchen ich schon seit geraumer Zeit bei mir trug, bis die Steine nach links auswichen und direkt auf die Gleise zeigten. Sie zeigten auf den Zug, welcher eben eingefahren war. Ich sah sie. Die Tür. Die weiße Tür am schwarzen Zug. Sie öffnete sich nur für mich. Und ich stieg ein. 

Die Reise zum HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt