Count Down

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10:00 Uhr
Ich war schon lange wach. Schon bevor die ersten Sonnenstrahlen sanft mein Gesicht wärmten. Schon bevor das warme Wasser angestellt wurde. Und lange bevor der Anruf kam.

11:00 Uhr
Frühstück bekomme ich nicht runter. Heute steht für mich ein Leben auf dem Spiel. Jeder muss sterben. Aber heute ist zu früh.
Lieber Gott, bitte gib ihr doch wenigstens das Wochenende.
18:00 Uhr haben sie gesagt. Dann schafft sie es.

12:00 Uhr
Mit kalten Händen und starrem Blick verharre ich vor dem Telefon. Aber kein Anruf.
Status: Still alive.

13:00 Uhr
An essen ist nicht zu denken.
Wenn sie es nicht kann, kann ich es auch nicht. Kann sie nicht essen, kann ich es nicht. Kann sie nicht atmen, schnürt es mir die Brust zu. Kann sie nicht leben, kann ich es auch nicht.

14:00 Uhr
Kein Anruf. Ich weiß, sie lebt. Aber ich weiß auch, nicht mehr lange.

15:00 Uhr
Ich habe Bauchschmerzen vor Hunger. Aber ich kann nicht essen. Allein von dem Gedanken geht es mir schlechter. Es tut weh. Ob sie schmerzen hat?

16:00 Uhr
Eigentlich dürfte ich zu ihr. Die Besuchszeit ist noch nicht vorbei.
Aber ich glaube, ich bin nicht stark genug.. sie leiden zu sehen, meine ich.

17:00 Uhr
In einer Stunde ist die Frist vorbei.
Meine Hände zittern, der Blick liegt matt auf dem Telefon.

18:00 Uhr
Kein Anruf. Sie hat es geschafft.
Das Wochenende. Montag wieder zittern.

19:00 Uhr
Das Telefon klingelt. Ich schlucke das Brötchen herunter und gehe dran.

Es dauert eine Stunde, bis ich es begreife. Dann kotze ich. Das Brötchen ist raus. Weg. Sie ist weg.
Es dauert eine weitere Stunde, bis ich es verstanden habe, noch eine, bis ich die Realität begreife. Eine weitere, bis ich weine. Und erst spät am nächsten Tag kann ich aufhören.

Nein, sie hat es nicht geschafft.
Ja, sie ist tot.

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